Gestern: Zur Theorie und Praxis

Aus der Lacandona an die Welt:

Gestern: Zur Theorie und Praxis

aus dem Italienischen bei:

Comitato Chiapas „Maribel“ Bergamo

Aus dem Notizbuch eines Katzenhunds

Von einer Dorfversammlung in den Bergen des Südostens von Mexiko. Es müsste in den Monaten Juli – August des noch nahen Jahres gewesen sein, als die Corona-Pandemie sich auf dem Planeten ausbreitete. Es war keine übliche Zusammenkunft: nicht nur wegen der Verwirrung, die sie hervorrief, sondern auch wegen des sichtlichen Abstands zwischen den Sitzen und auch, weil die Farben unserer Masken hinter dem transparenten Maskenschirm nicht mehr zu sehen sind.

Anwesend sind Mitglieder der politisch organisatorischen und einige Mitglieder der militärischen Führungsebene. Letztere sprechen nicht und sie werden auch nicht aufgefordert, sich zu einem bestimmten Thema zu äußern.

Gekommen sind mehr Leute als erwartet. Es waren mehr als sechs Majasprachen vertreten. Zum besseren Verständnis wird Spanisch und Kastilisch als Brücke der Verständigung benutzt.

Unter ihnen waren viele „Veteranen“, die am Aufstand vom 1. Januar teilnahmen. Sie gingen mit tausenden Compañeras und Compañeros hinunter in die Städte. Es wurden immer mehr.

Unter den Anwesenden der Versammlung sind auch die nach langer Ausbildung in die Leitung der Zapatisten neu aufgenommenen Frauen und Männer. Der größte Teil von ihnen sind Frauen jeglichen Alters und unterschiedlicher Sprachen.

Was die Versammlung, ihren Ablauf, ihre Zeit und Modi angeht, richtete sie sich nach denen, die in der Gemeinde abgehalten werden. Es gibt einen Moderator, der die vorher gemeinsam festgelegte Thematik vorgibt, die Konferenz koordiniert und die Wortmeldungen annimmt. Eine Zeitbegrenzung der Redebeiträge ist nicht vorgesehen und somit erhält die Zeit ihren eigenen Rhythmus.

Jemand erzählt eine Geschichte, eine Erzählung oder Legende. Und niemand kümmert es, ob das Vorgetragen real oder fiktional ist. Wichtig ist, was durch die Wahl der Form gesagt wird.

Und das ist eine Geschichte:

Ein Mann der Zapatisten geht durch das Dorf. Er trägt seine beste Kleidung und einen neuen Hut, was er damit begründet, dass er eine Verlobte suche. Der Erzähler imitiert Schritt und Gesten des Mannes soe wie in einem Film, der auf dem Filmfestival “Puy Ta Cuxlejaltic” lief. Die Versammlung lacht beim Erzählen und ahmt den Ton des Cochiloco (gespielt von Joaquín Cosío in “El Infierno”. Luis Estrada, 2010) nach.

Der Mann zieht zum Gruß seinen Hut vor einer Frau seiner Einbildung, die zusammen mit einem ebenso eingebildeten Maultier und ebenso beladenen eingebildeten Holz vorbeizieht. Der Erzähler vermischt sein Spanisch mit einer der Mayasprachen, sodass in der Versammlung ununterbrochen wechselseitig übersetzt wird.

Der Erzähler erinnert, dass die Zeit der Maisernte ist, was die Versammlung bestätigt. Und die Geschichte geht weiter.

Der Mann mit dem Hut trifft auf einen Bekannten. Sie grüßen sich. „Ehi, mit diesem eleganten Hut bist du nicht wieder zu erkennen“, sagt der Bekannte. Der Mann antwortet: „Ich bin auf der Suche nach meiner Verlobten“. Darauf der andere: „Und wie heißt deine Verlobte und wo lebt sie?“ Der mit dem Hut: „Das weiß ich nicht“. Der andere wieder: „Wie kommt das, dass du es nicht weißt?“ Der Hut: „Beh, weil ich gesagt habe, dass ich sie suche. Schau, ich hätte sie schon gefunden, wenn ich ihren Namen wüsste und wo sie wohnt“. Der andere bewertet für eine Sekunde diese treffende Logik und und stimmt stillschweigend zu.

Die Reihe ist wieder an dem mit dem Hut: „Und was tust du?“ Der andere antwortet: „Ich pflanze Mais, weil ich seine Kolben brauche“. Der Mann mit dem Hut schweigt einen Augenblick und schaut dem andern zu, wie er Löcher mit einem Besenstiel mitten in den Straßenschotter bohrt. Dann sagt er: „Ehi Compare, bei allem Respekt, du bist aber ziemlich dumm“. Darauf der andere: „Und warum? Ich mache das, weil ich Mais brauche, um mich zu ernähren“.

Der Mann mit dem Hut setzt sich, zündet eine Zigarette an, die er dem anderen weiterreicht. Darauf zündet er sich selbst eine an. Die beiden scheinen es nicht eilig zu haben: weder der, der sich eine Verlobte sucht, noch der, der Mais essen will. Der Nachmittag zieht sich dahin und entzieht der Nacht stückweise immer mehr Licht. Noch regnet es nicht, doch beginnt der Himmel, sich mit grauen Wolken zu bedecken. Der Mond versteckt sich hinter einem Baum. Der Mann mit dem Hut erklärt:

„Nun Compare, sehen wir mal, ob du mich verstehst: Zuallererst geht es um den Boden. In diesem Schotter kann der Mais keine Wurzeln entfalten. Der Samen wird unter dem Getrampel absterben und es wird keine Wurzeln geben. Kommen wir zu deinem Besen, den du als Hacke benützt. Besen ist aber Besen und Hacke ist Hacke. Also deshalb ist der arme Besen schon ganz in Stücken.“

Er prüft nun die Flicken, die der andere mit Klebeband und Schnur angebracht hat und sagt: „Wenn dich meine Mutter dabei erwischte wie du so ihren Besen ruinierst, jagte sie dich zum Schlafen in die Berge“.

Und er fährt fort: „Also das Maisfeld ist nicht überall Gevatter. Und man arbeitet auch nicht drauf los. Jetzt ist nicht die Zeit der Saat, sondern die Zeit der Ernte. Und damit es Zeit der Ernte ist, setzt die harte Arbeit auf dem Feld voraus. Da geht es nicht, dass du einfach ‚Ehi Frau, bring mir Wasser und Tortillas‘ schreist wie du das gewöhnlich tust. Nun solange die sich nicht den anderen Frauen anschließt? Dann hat es nämlich mit dem Schreien ein Ende. Aber das ist deine Sache Compare. Ich will damit sagen, dass man auf dem Feld keine Befehle gibt. Es wird erklärt, miteinander geredet, honoriert und es werden Geschichten erzählt, die Mut machen. Die Erde gehorcht nicht bei irgendeiner Jahreszeit. Sie hat wie es heißt, ihren Kalender. Es ist also notwendig, dass du die Tage und Nächte genau zählst, Erde und Himmel betrachtest um festzustellen, wann du aussäen kannst.“

„Hier liegt also das Problem, wie man sagt. Deshalb machst du alles falsch und nicht, weil du etwas machst, damit dein Verlangen gestillt wird. Was du notwendig hast, ist Wissen. Die Dinge lösen sich nicht allein dadurch, dass du beschließt, etwas zu tun. Es bedarf indessen der Wahl eines guten Bodens, der richtigen Werkzeuge und eben auch für jeden Arbeitsgang der richtigen Jahreszeit. Man kann auch sagen, es bedarf der Theorie und der darauf gestützten Praxis. All die Dummheiten, die du anstellst, könnten dir einiges Leid verursachen, weil dich alle beobachten und über dich lachen.“

„Und diese Blödmänner, die über dich lachen, haben keine Ahnung, dass deine Dummheiten sie auch betrifft. Denn die Löcher, die du gräbst, werden zuallererst überlaufen und Gevatter, das herausfließende Wasser wird Rinnsale bilden wie die Falten deiner Großmutter. Meine ist ja schon im Paradies. Die Folge wird sein, dass das Fahrzeug der Junta der guten Regierung nicht durchkommt. Es wird sich festfahren und das Abladen der Materialien oder Waren wird per Hand und auf der Schulter geschehen müssen. Dabei läuft man in den Rinnsalen, beschmutzt Stiefel und Hosen. Wenn man etwas bessere Kleidung trägt wie ich gerade, wird man daraufhin sicherlich keine Verlobte finden. Und dann Compare die Genossinnen. die sind dreist. Sie ziehen ihren Packesel hinter sich her und werden zu ihm sagen: Da gibt es einen, der ist noch dickköpfiger und dümmer als du. Dann werden sie dir zurufen: „Sei nicht beleidigt, wenn ich dummer Esel gesagt habe, ich spreche nur mit meinem Esel.“

Was soll das„, sagt der andere eingeschnappt, „willst du mich beleidigen?“

Darauf antwortet der mit dem Hut: „Nein, ich sag es bloß. Fass‘ es als Ratschlag auf oder als Hinweis. Es ist keine Ermahnung. Wie sagte schon der verstorbene Sup: Es ist besser du tust, was ich sage, wenn nicht, wird es schief laufen. Es ist mir unangenehm, was ich gesagt habe, aber es musste gesagt werden. Also hör auf mich Compare.“

Der andere: „Also ist der Boden hier nutzlos so wie meine Hacke. Und die Jahreszeit ist auch nicht gerade das Richtige.?“

Der mit dem Hut: „Nein, nein und nochmals nein.“

„Und wann ist also die richtiger Zeit?“

„Ups, die ist schon vorbei. Du musst also auf eine neue Runde warten, so um den April und Mai. Und vorausgesetzt, dass es genügend Wasser gibt wird die Erde dir dein Essen, ein Getränk gegen die Hitze, vielleicht auch eine Zigarette aus Blättern geben. Und wer ihr Früchte und das Gemüse erntet, hat sogar die Zutaten für einen Hühnereintopf. Aber die Suppe nur nicht mit Kürbis zubereiten. Das hat unser verstorbener Sup gesagt. Mit Kürbis wäre die Erde verärgert und schickt dir eine Schlange. Ich glaube aber nicht daran, und denke, er sagte das nur, weil er Kürbis nicht ausstehen konnte.“

„Wann also?“

„Mmm. du wirst gleich sehen: Wir sind wie man sagt, fast schon im Oktober, also in 6 Monaten, also im April, Mai. Das kommt drauf an.“

„Na gut und was mache ich, wenn ich ich jetzt den Mais will?“ Der andere überlegt und antwortet: “ Ich weiße es! Ich werde den Mais bei der autonomen Gemeindeverwaltung ausleihen“.

Darauf der Mann mit Hut: „Und wie entschädigst du sie“

„Nun, ich bitte die Junta um ein Darlehen von der Gemeinde und ich zahle damit zurück. Und um der Junta zurückzuzahlen, bitte ich Los Tercios um einen Kredit. Und um Los Tercios abzubezahlen, bitte ich die Behörden noch einmal um einen Kredit, am Ende wirst du sehen, dass ich zahle.“

Der Mann mit Hut kratzt sich seinen Kopf, sagt dann: „Verdammt Gevatter, das läuft ja wie im Film von Vargas, du entpuppst dich immer mehr als Bastard statt als Schönling. Du gehst die Sache wie die schlechte Regierung an. Du solltest Abgeordneter oder Senator oder Regierungsmitglied werden, einer von diesen Scheißkerlen.“

„Aber was sagst du da, Gevatter. Ich bin nur für Widerstand und Rebellion. Das wirst du noch sehen“

Der mit dem Hut: „Nun , dann gehe ich mal, ansonsten finde ich mein Mädchen nicht. Wir sehen uns, mein Freund.“

Der andere: Geh‘ mit Gott und solltest du dein Mädchen finden, frage sie, ob ihre Familie mir nicht mit Mais aushelfen könnte. Ich werde natürlich bezahlen.“

Der Erzähler dieser Geschichte fragt nun die Versammlung: „Was ist nun besser? Dem Gevatter Mais zu borgen oder, dass der sich beeilt, Theorie und Praxis bewusst anzuwenden.“

Die Zeit für das Pozol ist nun gekommen. Der SupGaleano sagt scherzhaft zum Subcomandante Moisés: „Mir schmeckt nur Popcorn“. Der entgegnet ihm: „Und was ist mit Salsa picante? SupGaleano antwortet nicht aber verzieht sich in eine andere Richtung. „Wohin gehst du?“, fragt SubMoy. Er erhält noch den Zuruf: „Ich will in den Laden der Insurgentas gehen, um mir etwas von der Salsa auszuleihen.“

Vertrauensvoll.

Miau-Guau.

Der Katzenhund.
(Nun gut, er hatte kein Geld und außerdem hängt am Eingang von La Montaña ein Schild, das Katzen, Hunden … und schizophrenen Käfern den Eintritt verbietet. )

Testo originale e foto, video: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2021/04/30/ayer-la-teoria-y-la-practica/

Übersetzt aus dem Italienischen, ein gato-perro aleman

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