Auch dieses Jahr wurde in Italien am 25. April den Aufständen gegen Faschismus und nazifaschistischer Besatzung gedacht. Aus Anlass folgt die Übersetzung eines Artikels des Chefredakteurs der Online-Plattform East Journal, der die grausame Realität von Besatzung und Widerstand, Leben und Tod der Partisan:innen reflektiert.

Leggendo una lettera di un partigiano condannato a morte
autore: Matteo Zola
Was dieser Tage sicherlich Sinn macht, ist die Rückkehr zu den Worten derer, die gekämpft haben. Es ist, wenn möglich, der Versuch sie als Menschen zu begreifen und an der vergoldeten Oberfläche des Martyriums zu kratzen. Es gilt die feierlichen Töne zu vermeiden und den psychologischen Gründen nachzugehen, die Ideale zu begreifen, die sie zum Kämpfen veranlassten. Vielleicht gilt es aber auch ganz einfach nur zu verstehen, dass die Heroen dieser Tage uns ähnlich, Geschwister sind. So könnten wir also möglicherweise ins Herz ihres geistigen und humanen Erbes vordringen: sie waren wie wir und wir sind wie sie. Sie waren keine unnachahmlichen und unerreichbaren Helden aber Menschen, die es uns ermöglichen so zu sein wie sie und täglich unsere gerechte Wahl treffen zu können. Ganz zufällig schlug ich heute Morgen eine Seite in einem Buch auf, das die Briefe gefallener Partisanen wiedergibt und ich stand vor einem Mann, der wenig älter als ich war und von dem ich kaum was weiß und ich befrage ihn zwischen den Zeilen über den Verlauf des Weges in meiner Stadt.
Das antifaschistische Turin

In dem besetzten Italien, das unter den Stiefeln der deutschen Invasoren und den italienischen Faschisten leidet, gibt es jemand, der Widerstand leistet. Und er ist dem Tod geweiht. Turin ist die erste italienische Stadt, in der sich ein Komitee der nationalen Befreiung (CLN) bildet. Es ist Bestandteil einer Kriegsregierung mit ihrem regionalen Ableger, einschließlich der Führungsgruppe, dem regionalen militärischen Komitee von Piemont. Am 31.März 1944 organisierte dieses Komitee in der Sakristei der Kirche San Giovanni eine Besprechung, die unerwartet von den Faschisten entdeckt wurde. Der Prozess, der Teilnehmer wenige Tage später gemacht wurde, ist selbst eine Episode im italienischen Widerstand. Die Hauptangeklagten verteidigen sich nicht. Sie klagen an, rechtfertigen ihre Aktionen und betonen ihren moralischen und zivilen Wert. Sechs Tage nach der Gefangennahme und zwei Tage nach dem erlassenen Urteil durch ein den Deutschen unterstelltem Sondergericht, werden neun Vertreter des Komitees – Arbeiter, Intellektuelle, Militärs – im Poligon Martinetto, das am Rande Turins liegt, erschossen. (Siehe auch: Sacrario del Martinetto, Wikipedia Italien)

Ein Brief von Giuseppe Perotti
Giuseppe Perotti war Angehöriger des Militärkorps. Als er erschossen wurde, ist er 48 Jahre alt und älter als die meisten der Partisanen, die zu den Waffen griffen. Am 3. April schreibt er seiner Frau einen Brief dem jegliche Rhetorik und Emphase fehlt. Bei jungen Gefallenen ist öfters ein naiver Wortreichtum und überzogene Idealität zu vermerken, die Sinn des Kampfes und Hoffnung auf die Zukunft beschreibt, welche sie zum Weg des Widerstands geführt haben. Der Brief Perottis ist hingegen ruhig und von einer profunden, erhellenden Schlichtheit. Er beschreibt die Sorge um die ökonomische Zukunft seiner Familie und das bringt ihn sogar zur Überlegung, dass sich seine Frau eventuell wiederverheirate:
“Nicht ich, sondern ihr, die ihr zurückbleibt, seid das Opfer. Ihr seid es, die jene schreckliche Erbschaft eines Lebens ertragen müsst, das nun ohne meinen kleinen Beitrag zu bewältigen ist. Ich, das habe ich Dir schon gesagt, sterbe ruhig. Ehe ich Dich verlasse, muss ich nochmals wiederholen, dass Du mir eine sehr sanfte, liebevolle, gute und gescheite Gefährtin warst, die ich mir nicht hätte erträumen können: ich bilde mir ein, dass ich immer versuchte, Dir etwas von den Gefühlen zurückgeben zu können, die Du in mir hervorriefst. Das Leben wird für Dich hart werden: wenn es das Schicksal will, das Du eine weitere Hilfe findest, nimm sie an, auch unserer Kinder wegen. “.
Die Dämme der Liebe
Ich schreibe über einen vertraulichen Brief, in dem der zentrale Gedanke sich um die Kinder dreht: „Auch gestern Abend, gelang es mir nicht, ihnen nahe zu sein, mich an ihnen zu erfreuen, und ich weinte aus Verzweiflung über mein Versagen.„. Der Gedanke, der vielleicht viele Eltern umtreibt, erhält hier den Sinn des Irreparablen. Als er sie zum letzten Mal sah, gelang es ihm nicht, sie an sich zu drücken, sie zu umarmen, obwohl er es wollte. Es waren Zeiten, in denen man die Kinder liebte, ohne die eigenen Gefühle zu zeigen. Meine Urgroßmutter sagte auf gute piemontesische Art zur Tochter, die gerade Mutter wurde: „Wenn Du die Kinder küssen willst, küsse sie nachts“ , wenn sie es nicht merken. Wer weiß, ob Perotti sie nicht auch in der Nacht küsste.
Die Bilanz eines Lebens
„Ich will mein Leben nicht bilanzieren: es endet auf derart tragische Weise, dass ich es nicht einzuordnen weiß. Ich schätze, dass ich schon immer ein Unglücksrabe war und der letzte Akt den Kreis entsprechend schließt. Anderseits aber habe ich immer versucht, und da bin ich mir sicher, mein Bestes zu geben, ohne jemanden zu schaden; wenn ich im Ergebnis gescheitert bin, liegt es nicht an meinen Intentionen, sondern an den fehlenden Mitteln, das Ziel zu erreichen.“ Ein Gescheiterter also, aber kein Besiegter. Ein schwerwiegendes Ereignis, das kein Mitleid braucht. Das Scheitern ist das Resultat, jedoch Perotti versuchte – das scheint er uns sagen zu wollen – zu kämpfen, zu lieben, die Person zu sein, die er als richtig erachtete. Er hat verloren, aber „man muss das akzeptieren […] , ich habe zumindest gekämpft.“
Das geistige Testament
„Das einzig geistige Testament, das ich Dir und meinen Kindern hinterlasse, ist der Gedanke, die Widrigkeiten des Lebens ruhig und sicher so anzugehen, dass das eigene Gewissen immer sagen kann, das mögliche getan zu haben. Ist das Resultat gut, erfreue man sich daran mit Bescheidenheit: ist es schlecht finde immer die Kraft es mit Ausdauer erneut anzugehen und sich nicht entmutigen zu lassen oder sich auf das Schicksal zu berufen..“ Bescheiden sein, vorwärtsgehen, wenig Worte machen, kein Klagelied anstimmen. Es scheint mir als sprächen die Alten dort auf dem Land, wo ich herkomme. Auch sie sind schon tot, aber sie sind in uns wie die Väter in den Söhnen. Also auch Perotti, war er nicht Vater?
Unterwegs träumen
„Ich nehme von Euch Abschied und ich hoffe, dass ihr meine schlecht geschriebenen Seiten verstehen könnt, weil auch hier das Licht recht spärlich und in unbeschwerter Ruhe liegt. Ich habe nicht das Gefühl für immer fortzugehen, sondern unterwegs zu sein wie ich es immer gemacht habe und dabei von Euch, meinem Haus zu träumen und an meine Rückkehr zur Familie zu denken. Ich bin sicher, dass mich dieser Sinn eines unbeschwerten Vertrauens bis zum letzten Gang begleitet.“ Und nun die Grüße, so wie man sich grüßt, wenn man stirbt.
Glücklich und zufrieden
„Für Euch alle die besten Wünsche, die ein liebevoller Vater und Geliebter äußern kann, um Euch glücklich und zufrieden zu sehen.“ Es klingt wie ein gutes Ende, weil es ein gutes Ende geben wird, denn es wird Freiheit und Friede sein. Davon scheint er überzeugt. Es ist sicherlich keine Fabel, denn in den Fabeln sterben die Guten nie, aber wir werden „glücklich und zufrieden“ sein. Das sollten wir auch sein und wir sollten dies als Preis für die vielen Leiden bewahren. Beim Umblättern der Seite kommen nun die letzten zwei Zeilen (die letzten Zeilen seines Lebens) und sein Signum. Das ist kein Name, aber die Substanz eines Mannes, die Zusammenfassung seines Lebens und dessen Sinn. Sein Leben ist vor allem eines der Aufopferung und gerade deshalb: für die Zukunft und für die der Kinder. „Und ich bin mir sicher, dass ihr glücklich und zufrieden leben werdet und immer an mich denkt
Papà“
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