Il mondo di QAnon: come entrarci, perché uscirne. Seconda parte
Wu Ming 1, scrittore, 18 settembre 2020
Die Zweite Folge einer Analyse über QAnon in zwei Teilen. Der erste Teil ist hier zu lesen.
Einige Tag nach dem Erscheinen der ersten Folge dieser Analyse, äußerte ein Beitrag auf Buzzfeed, dass QAnon unter conspiracy theory einzureihen, unzulänglich sei. Die Journalisten der Plattform gebrauchen seither den Begriff collective delusion (kollektiver Wahn), um zu betonen, dass man sich jenseits nicht begründeter Annahmen und Theorien befindet. Diese Entscheidung ist riskant: nicht nur wegen des sprachlichen Gebrauchs psychiatrischer Terminologie außerhalb des spezifischen Fachgebiets, welche die Anwendung pathogener und medizinischer Erklärungsmuster auf Gesellschaft und auf das Leben fördert. Sie ist außerdem riskant, wenn die Rettung von Personen beabsichtigt wird, die in den Rabbit Hole gestürzt sind und ihnen dabei gesagt wird, dass sie delusional, also vom Wahn befallen sind. Das könnte sich als kontraproduktiv erweisen und ihren Irrglauben verfestigen.
Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass QAnons Erzählung eine gemeinsame Halluzination ist. Die Frage ist: von wie vielen Menschen geteilt? Laut einer Umfrage des amerikanischen Instituts Civiq, die Anfang September veröffentlicht und in vielen Artikeln sofort zitiert wurde, glauben 16 Prozent der Amerikaner, dass das, was QAnon sagt mostly true sei (weitgehend wahr). Betrachtet man lediglich die nicht-hispanischen Weißen, so steigt die Zahl auf 19 Prozent. Wenn der Fokus auf republikanische Wähler beschränkt wird, steigt er sogar auf 33 Prozent. Bei den Demokraten liegt sie bei 5 Prozent, eine Zahl, die immer noch beträchtlich ist, wenn wir bedenken, über welche Erzählung wir sprechen. Wenn die Frage-Stichprobe repräsentativ ist, definieren etwa 52 Millionen Menschen (bei ca. 352,2 Mill. Einwohner, d.Ü.) QAnon als größtenteils wahr.
Die Zahl hört sich unglaublich an. Die Antwort in der Stichprobe könnte jedoch weniger einheitlich sein als es scheinen mag und zudem ist jede Umfrage mit der Pinzette anzufassen. Das Meinungsinstitut Civiq sieht in seiner Umfrage auch die Option „Teile der Erzählung von QAnon sind wahr“ vor. Die Antwort wurde von weiteren 16% der Befragten bejaht, jedoch derart vage, um glaubhaft zu sein. Alle Phantastereien der Verschwörung beinhalten Elemente der Wahrheit und da macht QAnon keine Ausnahme: Den Kinderhandel gibt es, der Missbrauch Minderjähriger idem, die amerikanische Politik wird über unterschiedliche Lobbys und Potentaten beeinflusst, ein Großteil der Mainstream-Information dient ökonomischen und politischen Interessen, einige Hollywood-Diven fröhnen geheimnisumwitterten Kulthandlungen (man denke an Scientology), etc. Auf diese Körnchen Wahrheit baut QAnon gotische Kathedralen der Lüge auf. Aber mit der Antwort „einige Teile sind wahr“, bezog man sich da auf die Körnchen Wahrheit oder auf die Lügen? Solch veranstaltete Umfragen taugen wenig.
Wie dem auch sei, man wird nicht auf 52 Millionen kommen, dass aber die Sekte Millionen Anhänger hat, ist glaubhaft. Laut Marc-André Argentino, einem kanadischen Wissenschaftler, der 179 repräsentative Facebook-Gruppen zu QAnon, von März bis Juli 2020 untersucht hat, ist in diesem Zeitraum die Gesamtzahl der Abonnenten von 213tausend auf 1 Million und 400tausend gestiegen. Das ist ein Anstieg um 600 Prozent. Laut einer internen Facebook-Untersuchung hatten QAnon-Gruppen bis Mitte August 2020 – wenige Tage vor ihrem teilweisen Verbot – insgesamt drei Millionen Mitglieder.
QAnon sucht sich seine Anhänger nicht allein unter Ignoranten oder Dummköpfen oder Personen mit mentalen Problemen. Das Problem so zu stellen, wäre ein schwerer Irrtum. Ebenso irrtümlich ist es zu glauben, dass die Sekte nur in der Rechten, innerhalb von Faschisten und unterschiedlichsten Reaktionären rekrutiert. Bildung, Intelligenz, mentale Gesundheit, Zugehörigkeit zur Linken: Nichts von allem macht automatisch gegen QAnon immun.
Ein weiterer zwiespältiger und wenig nützlicher Begriff ist irrational. Die Ideen, die sich im Kopf eines QAnon Anhängers formen, sind ihrem Inhalt nach zweifellos irrational und basieren auf unlogischen Verknüpfungen. Der Modus jedoch, wie sie sich formen folgt einer präzisen Logik. Er ist das Resultat des Funktionierens unseres Verstands unter gewissen Bedingungen.
Die Amygdala in sozialen Netzwerken während des Lockdown
Die Neurowissenschaften lokalisieren das, was wir als Argumentation bezeichnen, in der präfrontalen Hirnrinde. Ein sehr dünner Bereich – „Ein graues Taschentuch“, wie es der Schriftsteller und Wissenschaftsautor Massimo Polidoro definiert – des Neokortex, des Teils unseres Gehirns, der sich in jüngerer Zeit entwickelt hat. Emotionen hingegen befinden sich im limbischen System, einem viel älteren Bereich, das der Neurowissenschaftler Paul D. MacLean – bekannt durch die heute überholte Theorie vom „Triune Brain“ – wirksam Paleocerebellum nennt. Im limbischen Bereich ist die Amygdala sehr wichtig, eine Struktur, die die Aufgabe hat, auf Gefahren zu reagieren und Alarmsignale an den gesamten Körper zu senden.
Bei Vorhandensein eines Reizes kommen zuerst die Funktionen des Paleocerebellum ins Spiel, insbesondere die Amygdala, dann die des präfrontalen Kortex. Letzterer greift ein, um die Alarmsignale abzuwägen, Emotionen zu regulieren und uns zum Nachdenken zu bewegen. Auf dieser Grundlage führte der Psychologe Daniel Kahneman die Unterscheidung zwischen „schnellem Denken“ des limbischen Systems (emotional, impulsiv, automatisch) und „langsamem Denken“ des präfrontalen Kortex (analytisch, umsichtig, kontrolliert) ein.
Schnelles Denken ermöglichte es uns, als Spezies zu überleben. „Unsere Vorfahren, die in der Savanne lebten“, schreibt Polidoro in „Die Welt auf den Kopf gestellt„, „hatten mit Löwen, Panther und anderen Bedrohungen für ihr Überleben zu kämpfen und konnten es sich nicht leisten, zu viel nachzudenken. Es musste schnell entschieden werden, ob die dunkle Form, die zwischen den Blättern zu sehen war, ein Raubtier oder nur ein Spiel von Licht und Schatten sein konnte: Wenn dies nicht der Fall war, konnte dies zum Aussterben führen. Deshalb ist es besser, immer wegzulaufen… als anzuhalten und nachzusehen.“
Das Problem ist, dass unser Gehirn dazu neigt, auch in sehr unterschiedlichen Kontexten so zu funktionieren. In Zeiten von Stress, Angst oder Wut führt dies dazu, dass wir Fehler machen, schlechte Entscheidungen treffen oder unfaire Schlussfolgerungen ziehen, bevor langsames Denken eingreifen kann. Daraus leiten sich viele der Vorurteile (Vorurteile) ab, die unser Leben beeinflussen und die von Psychologie und Kognitionswissenschaften untersucht werden.
Im letzten Jahrzehnt hat der Kurzschluss zwischen dem kontinuierlichen und Angst auslösenden Nachrichtenfluss – sehr oft bei schlechten Nachrichten – und den Algorithmen sozialer Netzwerke, die sofortige Reaktionen hervorrufen, unsere Vorurteile verstärkt und Fehler nicht nur häufiger, sondern auch schneller verbreitet. Der Covid-19-Notfall hat die Situation weiter verschärft. Vor den Sperren war es für viele nicht möglich oder sogar vorstellbar, ihre gesamte Wachzeit online zu verbringen. Es gab Grenzen, in den Boden getriebene Pflöcke: Arbeit oder Schule, Sport, Angehörige, die Gesellschaft von Freunden, Beziehungen, die gepflegt werden mussten … der Notfall hat diese Einsätze untergraben. In langen Monaten haben die häusliche Haft, das Bombardement von Nachrichten und die zwingende Logik sozialer Netzwerke zu schnellem Denken geführt und uns dazu veranlasst, den Ton immer mehr zu erhöhen und drastische Entscheidungen zu treffen, ohne einen Moment nachzudenken.

Wir haben auf sensationelle Schlagzeilen, bereits widerlegte Nachrichten oder auf WhatsApp verbreitete Messages, wer weiß von wem verbreitet, reagiert. Wir zeigten auf Sündenböcke, beschimpften Passanten aus dem Fenster (fühlten uns wohl dabei) und riefen „Mörder!“ zu denen, die joggten oder den Hund „zu oft“ ausführten (filmten das Opfer, um es auf Facebook an den Pranger zu stellen), wünschten denjenigen, die mehr als einmal am Tag einkaufen gingen, dass sie ins Gefängnis kommen. Wir haben digitale Rudel gebildet und Zusammenarbeiten und Freundschaften aufgekündigt, auch solche die schon lange andauerten, und wir wurden zu Amokläufern eines Mechanismus, der uns dazu veranlasste, den „Verurteilten“, der gerade an der Reihe war, zu attackieren – d.h. eine Person anderer Meinung als die in der Gruppe dominierende. Manchmal genügte es, Zweifel zu wecken, auf die Irrationalität einer kommunalen Verordnung, auf die Rechtswidrigkeit einer Bestimmung, auf die Ungerechtigkeit einer Strafe hinzuweisen, um dann beschuldigt zu werden, dass man „die Toten verhöhnt“ und so schließlich mit auch mit den Nazis verglichen wurde. Diese Kommunikation war völlig limbisch gesteuert, in der die Amygdala den großen Herrn spielte. Und der präfrontale Kortex? Er wurde gefesselt und geknebelt in die Besenkammer gesteckt.
Heute sagen alle, dass „ein zweiter Lockdown um jeden Preis vermieden werden muss“. Beim ersten Lockdown sahen wir einen Kessel brodeln, der voller Angst, Wut, allgemeinem Misstrauen, Terror, qualvoller Einsamkeit, Ressentiments, Neurose, Paranoia und Psychose garte. Erst jetzt sehen wir die Konsequenzen: eine Zunahme von häuslicher Gewalt und gegen Frauen, von Selbstmorden und psychiatrischen Krankenhausaufenthalten, Verkauf von Psychopharmaka, Spielsucht, Alkoholismus, insbesondere bei jungen Menschen und Frauen, Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Der im Juni erwartete Tsunami psychischer Erkrankungen ist bereits vom Hafen aus sichtbar.
Die für Notfälle typische Diktatur des schnellen Denkens hat einen virozentrischen Reduktionismus auferlegt: Wir haben vergessen, dass Gesundheit nicht nur darin besteht, einen Virus zu vermeiden, und dass die Wissenschaft, auf die man hören sollte, nicht nur die der Virologen ist. Für eine eingehende Analyse und eine kritische Lektüre von links in dieser Phase verweise ich auf das im Juni letzten Jahres auf Giap veröffentlichte Notfallglossar und auf den jüngsten Artikel von Wolf Bukowski mit dem Titel „Pandemie: Der italienische Weg„.
Ich glaube, dass viele Ursachen für die Verbreitung von QAnon in unseren Breiten – aber auch generell die immer schnellere Verbreitung von Verschwörungsfantasien – in den psychologischen und existenziellen Auswirkungen von Lockdowns zu suchen sind. Manchmal kann der Prozess klar und in Echtzeit gesehen werden: Plötzliche Ernüchterung über die Erzählung „Wir sitzen alle im selben Boot“ (der Notfall hat Ungleichheiten verschärft und die soziale Kluft vergrößert), Unsicherheit über das Geschehen, Angst vor der Zukunft, Wahl neuer Sündenböcke, um auf sie Verdacht und Wut zu lenken. Nachbarn, die zuvor das Hashtag #iorestoacasa [#ichbleibezuhause, d.Ü.] wie einen Knüppel schwenkten und die Trikolore auf dem Balkon zur Schau stellten, beginnen nun zu sagen, dass „vielleicht alles eine Lüge war“ und machen sich daran, auf Verschwörungsfantasien zu verlinken, die über das im Labor hergestellte Virus und die von Bill Gates gewünschte Pandemie, über Lockdowns als Tarnung für die Installation von 5g-Boostern, soziale Kontrolle durch Impfstoffe usw. delirieren.
Was passiert in meinem Kopf, wenn ich einer Verschwörungs-Träumerei nachgebe? Lasst uns versuchen, das Schritt für Schritt nachzuvollziehen.
Verschwörungsfantasien in meinem Kopf
Der Primär-Effekt ist die Tendenz, sich an die ersten empfangenen Informationen zu erinnern und sie für wichtiger zu halten, als die später gelesenen oder gehörten. Er erfolgt auch, wenn ich ruhig bin, doch viel mehr, wenn ich intensive Emotionen fühle. Wenn ich Nachrichten empfange, während ich verärgert, wütend oder ängstlich bin, kann ich mich leichter daran erinnern. Dies wirkt sich auf meine spätere Verarbeitung und Entscheidungen aus. Selbst wenn der präfrontale Kortex in Aktion tritt, ist der Effekt aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik schwer zu korrigieren: Wenn ich mich an eine Sache erinnere, bedeutet mir dies, dass sie wichtig ist. Ich neige dazu, das für gültig zu halten, woran ich mich mit wenig Aufwand erinnern kann. Das geschieht auf Kosten dessen, was ich mit mehr Aufwand wissen könnte. Daraus ergibt sich ein verankertes Vorurteil: Der Denkvorgang entfernt sich nicht von dem anfänglich fixierten Punkt, von dem ich überzeugt bin, dass er den Ausgang des Problems darstelle, obwohl ich ihn in Wirklichkeit auf willkürliche Art ausgewählt habe.
Wenn die zu Beginn erhaltenen Informationen unter dem Motto „Nichts ist so, wie es scheint“ und mit der Idee behaftet sind, dass im Verborgenen eine Wahrheit okkulter Handlungen existiert, werde ich dazu neigen, in diesem Muster zu verweilen und reihe weitere Vorurteile und kognitive Verzerrungen aneinander. Die Tendenz der Intentionalität lässt mich denken, dass wenn etwas passiert ist – ein Unfall, eine Flut, eine Epidemie – jemand es gewollt und geplant haben muss. Das Vorurteil der Verhältnismäßigkeit überzeugt mich davon, dass ein Großereignis mit vielen Konsequenzen keine „kleine“ Ursache haben kann: Es muss notwendigerweise eine „große“ haben, die wiederum – basierend auf dem Vorurteil der Intentionalität – von jemandes Willen abhängen muss.
Der Pandemie könnte als auslösendes Moment nicht ein unmerkliches Vorkommnis wie das Übertragen eines Virus vom Tier auf einen Menschen zugrunde liegen, und dies noch infolge unpersönlicher, objektiver Prozesse, zu denen wir alle beitrügen: Entwaldung, Urbanisierung, intensive Landwirtschaft … Nein, es muss das Ergebnis eines globalen Plans sein, der ein Gesicht trägt. Und man verweist auf Bill Gates. Der ist sehr reich, der ging mir schon immer auf den Senkel, seine Wohltätigkeit ist scheinheilig, er hat etwas mit Impfstoffen zu tun, Windows stürzt immer ab … Okay.
An diesem Punkt setzt die Befangenheit in der Bekräftigung von Argumenten ein: Ohne es überhaupt zu merken, werden die Informationen ausgewählt, die meine Überzeugung stärken, und diejenigen verworfen, die sie in Krise bringen würde. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, dass der Dübel an seinem richtigen Platz angebracht wurde, bin zufrieden und stark und bin in der Lage, jedes Thema jeglicher Substanz zu beherrschen. Die Begeisterung verstärkt den Dunning-Krüger-Effekt: Jeder von uns neigt dazu, sein Wissen zu überschätzen, es als selbstverständlich zu betrachten. Warum sehen wir manchmal tagsüber den Mond? Warum ist es im Sommer heißer als im Winter? Was genau macht die Leber? Auf diese Fragen könnten die meisten von uns nicht sofort antworten. Ich gehe darüber hinweg und stürze mich in Debatten und führe komplizierte Dispute über Virologie, Ingenieurwesen, Ballistik, Chemie von Sprengstoffen oder Gasen, Astronautik, Religionsgeschichte …
Je mehr ich meine Fähigkeit, die Welt zu lesen, überschätze, desto mehr lässt mich meine Apophänie Verbindungen und Muster wahrnehmen, bei denen es keine gibt. Ich bemerke, dass Trump oft gelbe Krawatten trägt, und ich sehe das klare Signal: Er sagt, dass die Pandemie erfunden sei. Die gelbe Farbe signalisiert, dass auf dem Schiff keine infizierten Personen an Bord sind, und im internationalen Seecode steht Gelb für den Buchstaben Q. Es kommt alles zusammen.
Pareidolie ist auch mit im Spiel und zeigt mir versteckte Bilder, Symbole oder Gesichter, die im Hintergrund auftauchen, wie das Gesicht des Satans im Rauch der Zwillingstürme. Ich entdecke das Sars-Cov-2-Virus in einer Szene im Film Captain America – The First Avenger. Es ist unverkennbar das Coronavirus … und es steht neben einer Werbung für Corona-Bier! Der Film ist aus dem Jahr 2011, also wurde alles vorhergesehen. Es würde ausreichen, eine Minute anzuhalten, genauer hinzuschauen, und ich würde begreifen, dass dies kein Virus ist. Es sind Barilla Bucatini, die so angeordnet sind, dass sie einem Feuerwerk ähneln.

Donald Trump-Anhänger in Saint Paul, Minnesota, 22. August, 2020.
(Stephen Maturen, Getty Images)
Jedoch … aufhören? Davon kann keine Rede sein. Ich widme immer mehr Stunden des Tages und der Nacht den „Untersuchungen“. Die begreife ich darin, Elemente zu verbinden, zu diskutieren, Materialien zu verbreiten. Ich bin im Griff der Bias und intensiviere meine Bemühungen: Die Zeit und Energie, die ich investiert habe, erlauben mir nicht aufzuhören, geschweige denn, nicht ohne Konsequenzen für mein Ego, mein Selbstwertgefühl, meine Glaubwürdigkeit in den Augen anderer, den Kurs umzukehren. Jeder weitere Tag bedeutet hinsichtlich einer Veränderung der Haltung immer größere innerliche Mühen. Denn warum sollte ich es mir anders überlegen, wenn ich recht habe? Es beginnen die Rationalisierungen nach dem Kaufabschluss: Wenn ich viel investiert habe, bedeutet dies, dass der Deal gut war.
Wenn ich ab und zu eine kognitive Dissonanz verspüre, zum Beispiel zwischen meinem Selbstwertgefühl und der Tatsache, dass mich mein Verhalten geliebten Menschen entfremdet hat, versuche ich dies auf die am wenigsten anstrengende Weise aufzulösen: Ich rette das Selbstwertgefühl und beschuldige andere. Verliere ich Freunde, isoliere ich mich von Familie und Verwandten? Es ist ihre Schuld, sie wollen nicht „aufwachen“. Bleiben sie lieber in Unwissenheit? Lass sie dort bleiben. Wenn es aber nicht nur Unwissenheit ist? Wenn sie vielleicht Komplizen der Kabale sind, diesem äußerst mächtigen Zirkel von Teufelsanbetern und Henkern? Ein Glück, das sie sich jetzt von mir fernhalten. Ich habe sowieso eine neue Community. Und immer mehr Menschen teilen unsere Ideen. Und wenn immer mehr Menschen sie teilen, bedeutet dies, dass wir recht haben. Deshalb, zufrieden mit meinem Argument ad populum, mache ich weiter.
Wenn ich sage „Ich habe meine Nachforschungen angestellt“, bedeutet dies, dass ich im Netz all diesen Vorurteilen, Fehlern und Verkürzungen ausgeliefert bin. Ich habe ein paar Kommentare auf Facebook gelesen, mir schnell ein Foto auf Instagram angesehen, die ersten Seiten auf Google angelesen… Ich habe mir höchstens QAnon-Pseudodokumentationen wie Fall of the Cabal oder Out of the Shadows angesehen.
Und dann ist es so weit. Ich bin gerüstet. Ich muss in den „Nachforschungen“ noch etwas weitergehen. Um eine zunehmend hungrige Voreingenommenheit zu stillen und die Zustimmung meiner neuen Community zu erhalten, beginne ich, Beweise zu fabrizieren.
Von der Selbsttäuschung zur Verleumdung
Die Gläubigen von QAnon greifen sehr oft auf Fotos zurück, die retuschiert oder von falschen Bildunterschriften begleitet wurden. Wir haben gesehen, wie sie den Ort und das Datum eines Tweets des Komikers Patton Oswalt gefälscht haben, um ihn zu beschuldigen, Kinder in der Pizzeria Comet Ping Pong in Washington DC vergewaltigt zu haben. Wir haben gesehen, wie sie Fotos von Model Chrissy Teigen und ihrem Ehemann, dem Sänger John Legend, retuschiert haben, um sie auf Jeffrey Epsteins Privatinsel zu platzieren, die heute als „pädophile Insel“ bekannt ist. Wir haben gesehen, wie sie ein Foto des demokratischen Kongressabgeordneten Adam Schiff bearbeitet haben, der neben seinem 90-jährigen Vater posiert, wobei Letzterer schlichtweg durch Epstein ersetzt wurde. Und wir haben gesehen, wie sie wirre oder ad hoc veränderte Bilder verbreiteten und diese als Bilder aus einem nicht existierenden Film, Frazzledrip ausgaben, in dem man auch Hillary Clinton sehen würde, wie sie das Gesicht eines Kindes häutet und die Haut als Maske trägt. Es gibt Hunderte von möglichen Beispielen.
Jedes Mal dient die ablehnende Reaktion der Verleumdeten zum Beweis für die Wahrheit des Vorwurfs. Unter den digitalen Verfolgern von Chrissy Teigen haben wir den Schauspieler James Woods mit seinen zweieinhalb Millionen Followern auf Twitter gesehen, dessen Shakespeare dazu veranlasste, anzunehmen, dass Teigen sich vehement verteidigte. Hamlet, Akt III, Szene II: „Die Dame protestiert zu viel, dünkt mir“. In der Übersetzung von Cesare Garboli, nicht wörtlich, sondern sinngemäß: „Es scheint mir, Sie übertreiben ihre Eide“. Was auch immer sie tut oder sagt, das Opfer der Verleumdung ist gefangen. Und es passiert nicht nur bekannten Menschen, die alle Möglichkeiten haben, um sich zu verteidigen. Gezielte Belästigung kann aus den unterschiedlichsten Gründen jeden betreffen und aus den sozialen Netzwerken gelangen sie in den physischen Raum.
So bin ich auch im Rudel. Und ich fing an „Nachforschungen“ zu betreiben.
QAnon ist:
- ein alternatives Realitätsspiel, das monströs geworden ist;
- ein besonders zynisches Geschäftsmodell;
- eine Sekte, die Formen der mentalen Konditionierung praktiziert;
- eine reaktionäre Massenbewegung, die versucht, in Institutionen einzutreten;
- ein potenzielles terroristisches Netzwerk.
Die Hypothese ist, dass QAnon im 4chan-Forum als ein Scherz begann, eindeutig inspiriert von dem Roman Q. Ein Scherz, der bald als Ausgangspunkt für organisierte Trolle und Profiteure diente. Eine NBC-Untersuchung hat die Arbeit von insbesonders drei Personen – Coleman Rogers, Tracy Diaz und Christina Urso – in den Jahren 2017-2018 detailliert rekonstruiert, um QAnon zu verbessern, und es in ein „großartiges“ Alternate-Realität-Spiel (Arg) zu verwandeln und damit Profit zu machen. In der Zwischenzeit übernahm ein weiterer Kreis von Personen die Q-Signatur und übernahm die „Prophezeiungen“ auf 8chan.
Die nun jüngste Untersuchung beleuchtet die Rolle von Jason J. Gelinas, einem 40-jährigen aus New Jersey, einem Experten für Sicherheitssysteme für den Bankensektor. Gelinas ist der Mann hinter der Qmap-Site, einem wichtigen Knotenpunkt im QAnon-Netzwerk, in dem die Datenbank mit Qs Nachrichten und nützlichen Ressourcen gefunden wird, um sich im Spiel zu orientieren und es weiterzugeben: Glossare, Karten, ständig aktualisierte Dossiers über Personen, welche von der Sekte der Pädophilie beschuldigt werden… Dank Qmap sammelt Gelinas jeden Monat Spenden in Höhe von mehr als dreitausend Dollar. Es sind vielleicht keine Millionen, aber es ist ein respektables zusätzliches Einkommen. Einige Stunden nach Veröffentlichung der Untersuchung verschwand Qmap aus dem Internet.
QAnon ist eine partizipative Erzählung, die große Online-Communities zusammenfasst und viele für Args typische Merkmale aufweist: Fehlen einer zentralen Plattform, Mischung aus Realität und Fiktion, kollektive Suche nach Hinweisen und Verbindungen, Lösung angeblicher Rätsel, ständige Aktualisierung der Erzählung … Das Wu-Ming Kollektiv verglich QAnon bereits im August 2018 mit einem Arg. Zwei Jahre später behält es immer noch einen Teil seiner Spieldimension bei. Ein Spiel, bei dem die Teilnehmer die Grenzen nicht mehr erkennen und nach dem sie jetzt süchtig sind. Es ist ein reaktionäres, rassistisches, homophobes und antisemitisches Spiel.
Vor allem ist es ein Spiel in perfekter Symbiose mit den Algorithmen sozialer Netzwerke als Teil der nunmehr vollständigen Gamifizierung von Interaktionen. Der Social-Media-Nutzer ist ständig bemüht, nach Anzeichen von Zustimmung, Belohnungen, Highscores und persönlichen Daten zu suchen. Ein Fetisch aus Zahlen und quantitativen Daten, sei es Follower, Likes, Kommentare, Shares, Reaktionen, Retweets, Zitate, Ansichten eines Videos usw.
Im Zeitalter des Netzes braucht eine Sekte kein physisches Hauptquartier oder gar Gurus in Fleisch und Blut
In diesem Ökosystem, in dem jeder immer zu sehen ist und immer nach Anerkennung sucht. Dem Protagonisten der eigenen Realityshow, wächst auch die Nachfrage nach Produkten, die das Image stärken und den Lebensstil verbessern. QAnon-Gläubige kaufen T-Shirts, Sweatshirts und Hüte mit dem Q, um sich in Selfies und Videos zu präsentieren, Flaggen, die auf dem Balkon hängen oder bei den Aufläufen geschwenkt werden, Aufnäher für die Jacke, Anstecknadeln fürs Revers und Kaffeetassen immer präsent zum Wachhalten bei der „Nachforschung“. Und Bücher: Der Band mit dem Titel QAnon, An invitation to the great awakening ist 2019 in der Rangliste bei Amazon aufgestiegen.
Die Zahl derer, die von QAnon profitieren, hat dank der Komplizenschaft der sozialen Netzwerke sowie dem nicht wegdenkbaren Beitrag von Jeff Bezos Website von Amazon, die bis heute jede Art von Themenprodukten verkauft, stetig zugenommen. Das Internet hat jedoch nur ein bereits bestehendes Phänomen übertrieben: Verschwörung war schon vorher ein Geschäftsmodell. Mit der Kulturindustrie wurde auch eine Teilbranche der Verschwörungsfantasien geboren, mit ihren Bestsellern, ihren Statussymbolen, ihren Tricks und Intrigen. Umberto Eco beschrieb es in seinem Meisterwerk, Das Foucaultsche Pendel (1988) und in seinem vorletzten Roman, Der Prager Friedhof (2010). Heute erzielt die Website InfoWars, die persönlicher Gutsbesitz von Alex Jones ist, einen Umsatz von 20 Millionen Dollar pro Jahr und erzielt dank des Verkaufs von Nahrungsergänzungsmitteln und selbst ernannten alternativen Medikamenten einen Gewinn von fünf Millionen Dollar.
Die alles einnehmende Natur des entgleisten Spiels hat QAnon zu einem „Mind-Control-Kult“ gemacht, zu einer Sekte, die online rekrutiert und die Wahrnehmung seiner Konvertiten verzerrt und sie fast immer von ihrer Familie – es sei denn, sie schließen sich en bloc an – und von ihrer eigenen Freundschaften entfremdet. Über QAnonCasualties erreichen uns immer wieder neue Nachrichten. Konvertiten verfolgen Verwandte und Freunde, und sie versuchen, um jeden Preis die „rote Pille“ zu verabreichen, eine Metapher für die Entdeckung der Wahrheit aus dem Film The Matrix. Zahlreiche Geschichten sprechen von Stalking und Bedrohungen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Zerwürfnis unvermeidlich. Sich von den Ungläubigen zu isolieren, ist eine Art Initiationspassage, an deren Ende die Qultisten sagen: „Jetzt sind wir deine Familie“. Und die Gemeinde kann auch Unterstützung für Gläubige organisieren, die allein und in Schwierigkeiten sind.
All dies geschieht online: Im Zeitalter des Internets benötigt eine Sekte nicht unbedingt physische Büros oder gar Gurus, die in Fleisch und Blut vorhanden sind. Und wie alles, was online passiert, dauert es sehr kurze Zeit: Jessica Prim, 37, aus Illinois, hat Anfang April 2020 die rote Pille geschluckt; am 29. April wurde sie verhaftet, während sie mit einem Auto voller scharfer Waffen in Richtung New York fuhr, und live auf Facebook bekannt gab, „Joe Biden kaltzumachen“.

Apropos rote Pille: Es ist ulkig, dass QAnon, als lautstarke, homophobe und transphobe Bewegung eine ihrer wichtigsten Metaphern aus einem Film der Gebrüder Andy und Larry Wachowski entnimmt, die heute die Geschwister Lana und Lilly Wachowski sind. Nur zur Erläuterung: im August 2020 definierte Lilly die rote Pille und die diesbezügliche Trilogie als „Transgender-Allegorien“.
Ich benutze die Begriffe Kult und Sekte nicht leichtfertig. Das Risiko im Umgang mit ihnen besteht darin, ihre kriminalisierende Konnotation zu legitimieren, die im Laufe der Jahrhunderte dazu verwendet wurde, Verschwörungsfantasien zu verbreiten, Minderheiten zu verfolgen, auf öffentliche Feinde hinzuweisen und die Religionsfreiheit zu verweigern. Die Juden, die unter der „Blutanklage“ zu leiden hatten, waren eine Sekte; jeder auf dem Scheiterhaufen verbrannte Ketzer war Teil einer Sekte; für die Ermittler von Modena wurden die Eltern in den Ermittlungen gegen die „Diavoli della Bassa“ //Red.Erläuterung// als Teil einer Sekte angesehen. Auch QAnon beschreibt seine Feinde als Mitglieder einer Sekte. Nicht nur: Wenn es um geistige Konditionierung geht, müssen wir als Mahnung die Geschichte des Verbrechens zur Hörigkeit im Kopf behalten, das 1981 für verfassungswidrig erklärt und im italienischen Strafgesetzbuch beseitigt wurde.
Hier geht es jedoch nicht um die Meinungs- oder Religionsfreiheit einer verfolgten Minderheit. Wir sprechen von einer realen Sekte (QAnon), die an die Existenz einer imaginären Sekte (die Kabale) glaubt, beeindruckende Verleumdungen erfindet, ihre Gläubigen zu virtuellen Lynchmorden veranlasst und von Vernichtung träumt – im Augenblick so scheint es – durch Anrufung einer putschistischen Macht. All dies geschieht, während der Milliardär Donald Trump als mächtigster Politiker verehrt wird.
Der durch die Dimension der Sekte garantierte Zusammenhalt und die Leichtigkeit, mit der sie Proselyten findet, haben QAnon in eine Massenbewegung verwandelt, die in den Vereinigten Staaten innerhalb der Republikanischen Partei ihre Politik betreibt. Trotz einiger besorgter Stimmen in den oberen Rängen scheint die Parteibasis positiv zu reagieren. Warum sollte es nicht so sein, da Trump selbst Signale des Einvernehmens sendet? Dutzende von Gläubigen kandidierten in den republikanischen Vorwahlen für den Kongress. Einige haben gewonnen und werden um Plätze kämpfen, wie Marjorie Taylor Greene in Georgia. Die Kabale hält die Fäden der Welt, kontrolliert die Realität auf mehreren Ebenen, ist jedoch nicht in der Lage, eine derart banale Vorwahl zu sabotieren. Andere QAnon-Gläubige sind Kandidaten für Wahlen zu verschiedenen staatlichen Institutionen und kleineren gesetzgebenden Körperschaften, bei denen sie viel mehr Einflussmöglichkeiten haben. Seltsam, dass die Kabale ihnen nichts anhaben kann.
Der Widerspruch ist offensichtlich: Die Sekte, die Trump lobt und die an den Wahlen teilnimmt, ist dieselbe, die laut FBI und dem West Point Anti-Terror-Zentrum eine „interne terroristische Bedrohung“ darstellt. Von 2018 bis heute haben Anhänger von QAnon in New York und Seattle verschiedene Morde begangen, zwei Brandstiftungen begangen, von denen eine in Kalifornien verheerend war. Sie verwüsteten eine Kirche in Arizona und versuchten in Colorado die Entführung einer Person … Mit den gebührenden Unterscheidungen können wir das Massaker von Hanau Deutschland hinzufügen. Diese Menschen radikalisierten sich online und handelten allein ohne Organisation. Und wenn es immer noch wenige Episoden direkter Aktionen gibt, dann nur, weil die Rhetorik der Sekte auf Anordnung basiert. QAnon drängt darauf, „dem Plan zu vertrauen“: Trump führt gemeinsam mit dem Militär den Krieg gegen den tiefen Staat. Wir müssen sie unterstützen, im November abstimmen, um unseren Helden im Weißen Haus zu bestätigen, und in der Zwischenzeit helfen, die Kabale mit unseren „Nachforschungen zu entlarven“, die Pädophilen benennen und isolieren. Der Sturm wird kommen und wir werden das große Erwachen erleben.
Der Widerspruch ist offensichtlich: Die Sekte, die Trump lobt und die an den Wahlen teilnimmt, ist dieselbe, die laut FBI und dem West Point Anti-Terror-Zentrum eine „interne terroristische Bedrohung“ darstellt. Von 2018 bis heute haben Anhänger von QAnon in New York und Seattle verschiedene Morde begangen, zwei Brandstiftungen begangen, von denen eine in Kalifornien verheerend war. Sie verwüsteten eine Kirche in Arizona und versuchten in Colorado die Entführung einer Person … Mit den gebührenden Unterscheidungen können wir das Massaker von Hanau Deutschland hinzufügen. Diese Menschen radikalisierten sich online und handelten allein ohne Organisation. Und wenn es immer noch wenige Episoden direkter Aktionen gibt, dann nur, weil die Rhetorik der Sekte auf Anordnung basiert. QAnon drängt darauf, „dem Plan zu vertrauen“: Trump führt gemeinsam mit dem Militär den Krieg gegen den tiefen Staat. Wir müssen sie unterstützen, im November abstimmen, um unseren Helden im Weißen Haus zu bestätigen, und in der Zwischenzeit helfen, die Kabale mit unseren „Nachforschungen zu entlarven“, die Pädophilen benennen und isolieren. Der Sturm wird kommen und wir werden das große Erwachen erleben.
Der Rahmen bleibt prekär: Wir wissen nicht, was passiert, wenn Trump die Wahl verliert. Oder, wenn das Vertrauen in ihn im Laufe der Zeit nachlässt. Wie wird sich das QAnon-Phänomen entwickeln? Wird es Massenselbstmorde wie den im ‚Peoples-Tempel von Reverend Jones in Guyana am 18. November 1978 geben? Oder wird die Sekte ihre Botschaft abschwächen, um sich mit einem eher institutionellen Profil der „üblichen“ politischen Rechten anzupassen? Vielleicht werden wir beide Ergebnisse sehen und andere mehr, wenn die Sekte, wie es plausibel erscheint, Spaltung um Spaltung erleben wird.
Einige Hinweise auf die Zukunft von QAnon, hinsichtlich der weiteren sozialen und ideologischen Zusammensetzung gehen in Richtung einer schnellen Hybridisierung mit der Welt des neuen Zeitalters, des Wohlbefindens, der alternativen Medizin und der Spiritualität. In Studien dazu wurde der Neologismus conspirituality, Verschwörung + Spiritualität geprägt. In Wirklichkeit ist dies, wie die Religionshistoriker Egil Asprem und Asbjørn Dyrendal erklärten, kein neues Phänomen, sondern eine Rückkehr zu gemeinsamen Ursprüngen in der Esoterik des 18. Jahrhunderts und im Okkultismus des 19. Jahrhunderts.
Verschwörung setzt an einem echten Problem an, macht dann aber einen Sprung „vom Unbestreitbaren zum Unglaubhaften“.
Das New Age Ambiente war schon immer reaktionären Strömungen ausgesetzt, die mit Gurus, billiger Metaphysik und okkultistischen Tendenzen überfüllt waren. Dennoch haben viele dieser Menschen, Netzwerke und Subkulturen sich historisch als Teil einer weitverbreiteten Linken wahrgenommen und dargestellt. Genau das ist der Punkt: Durch Hybridisierung rekrutiert QAnon von links oder wird zumindest von Menschen, die sich bis gestern als Linke bezeichneten und sich vielleicht immer noch so sehen, als Weggefährten akzeptiert.
Wenn New Age und Wellness ein Viatikum sind, ist die Antiimpfhaltung in ihrer Art ein bevorzugter, gangbarer Weg. In „alternativen“ Umgebungen waren Verschwörungsfantasien zu Impfstoffen bereits vor der Pandemie sehr erfolgreich. Heute stehen viele, die sie – sowohl in Nordamerika als auch in Europa – propagierten Seite an Seite mit QAnon. In Italien geschah dies oft nach einem Zwischenschritt in der 5-Sterne-Bewegung, die eine echte „Überläufer“ – Partei darstellt.
Die laufenden chemischen Reaktionen sind in den Bildern der Demonstrationen Ende August in Berlin, London, Los Angeles und Rom tatsächlich auffällig. Es ist vereinfachend und falsch, sie als Ansammlungen von „Covid Gegnern“ oder „Nicht Masken“ zu beschreiben. Dies sind irreführende Ausdrücke, weil sie das zu sehende Feld einschränken. Die auf die Straße gebrachten Probleme gehen so weit über die Pandemie hinaus, dass Letztere ein Sprungbrett zu sein scheint, um über etwas anderes zu sprechen: Die satanistische Verschwörung, Trumps Kampf gegen den tiefen Staat, 5g … Es gibt eine Konvergenz in diesen Themen, die wir, wenn dies nicht ein abgenutztes Etikett wäre, als rotbraun definieren könnten. In einer sui generis rotbraunen Zwischenzone, in der sich Hippies und Ultra-Rechte treffen, spricht man über Aromatherapie und den Kalergi-Plan, liest man Tarotkarten und spricht über Qdrops (Q-Tropfen). In seinem Artikel mit dem Titel „Nazi-Hippies: Wenn sich das neue Zeitalter und die politisch extreme Rechte überschneiden“, erklärt der Philosoph Jules Evans, dass wir deshalb nicht überrascht tun sollten. Ich stimme zu, und das nicht nur aus den Gründen, die er anführt.
Verschwörungsfantasien der Linken
Jede Verschwörungsfantasie ist in ihrem Ergebnis reaktionär und führt daher, vereinfachend formuliert, „nach rechts“. Hier beziehe ich mich auf die Weltbilder, die historisch mit den Begriffen links und rechts verbunden waren. Ich spreche von Idealtypen. Wenn wir uns jedoch die konkreten Gruppierungen ansehen, die Menschen in Fleisch und Blut, die fühlen und sagen, dass sie zur einen oder anderen Seite gehören, dann ist es falsch zu sagen, dass die politische Linke weniger zu Verschwörungsfantasien neigt.
Unter denjenigen, die sich als Linke bezeichnen und verstehen – ein Spektrum von Positionen, das von den schwächsten Liberalen bis zu den radikalsten antikapitalistischen Strömungen reicht und durch verschiedene alternative Subkulturen geht – sind viele unbegründete Theorien weit verbreitet, und ist es auch üblich, sich große und perfekte globale Verschwörungen vorzustellen.
Gerade im Namen des Antiimperialismus sind links nicht wenige Verschwörungsfantasien aufgetaucht. In einigen Bereichen hat sich die Idee festgesetzt, dass George Soros jeden Demonstranten und jede Revolte in Ländern finanziert, dessen Regime als ein sogenannter „Feind des Imperialismus“ begriffen wird, so wie Syrien oder Weißrussland, aber auch Russland selbst oder China. Dass ein Volksaufstand von politischen Kräften oder ausländischen Mächten ausgenutzt werden kann, liegt in der Ordnung der Dinge; dass jeder Volksaufstand aber einfach eine Inszenierung eines großen Puppenspielers sei, ist dagegen völlig unplausibel.
Nicht nur das: Es ist eine Manifestation reaktionären Denkens. Egal wie autoritär und korrupt ein „antiamerikanisches“ Regime sein mag oder wie ausgebeutet die Arbeiter in diesem Land sind: Die Bevölkerung hat weder Anlass noch das Recht zu protestieren, der Arbeiter darf nicht streiken. Es findet keine Mobilisierung von unten statt, es ist immer eine Verschwörung von oben und die Demonstranten sind zwischen nützlichen Idioten und Krisenakteuren aufgeteilt, die im vorliegenden Fall von einem Juden bezahlt werden.
Die Tendenz, jegliche Handlungsfreiheit (Handlungsfreiheit) des Volkes zu verweigern, wenn sie politisch unerwünscht ist, ist sicherlich nicht neu: In den Siebzigerjahren prangerten die Führer der Kommunistischen Partei Italiens den Aufstieg der neuen Linken und der von der Partei autonomen Bewegungen als Teil einer amerikanischen Verschwörung und der Geheimdienste an. Die Kommunistische Partei in Bologna sah die Ereignisse im März 1977 als Superverschwörung eines mysteriösen subversiven Generalstabes, der sich sowohl mit den Roten Brigaden als auch mit den Neofaschisten verbündet hatte.
Noch heute ist die Frage „Wer bezahlt sie?“ angesichts unerwünschter Mobilisierungen häufig. Sie ist immer auch Anspielung auf eine Verschwörung. In der Linken gibt es diese Mentalität, die zumindest bis auf die stalinistischen Säuberungen zurückgeht. Aber man braucht nicht zu meinen, dass Liberale dagegen immun sind: das Referendum für den Brexit? Ergebnis einer russischen Verschwörung und Massengehirnwäsche. Die Bewegung der Gilets Jaunes? Idem oder auf jeden Fall ein Phänomen, das am Tisch und fremdbestimmt erzeugt wird. Und was ist mit dem angeblichen Russlandgate als nützliche Erklärung, um jegliche Verantwortung für Trumps Sieg im Jahr 2016 von sich zu weisen? Das alles sind gute Tricks, um das Unwohlsein zu beseitigen, den Groll auf die Eliten zu richten, die Neoliberalismus, Privatisierung und Sparmaßnahmen sowie eine Politik, welche Ausgrenzung und soziale Ungleichheit erhöht hat, zu verantworten haben.
Zurück zur radikalen Linken und ihrer Aktionen: In unseren Kreisen waren diejenigen, die über die falsche Flagge lästerten, immer erfolgreich, auch wenn dies die unplausibelste Erklärung ist. Wohlgemerkt, Operationen, die „unter falscher Flagge“ durchgeführt werden, um sie den Feinden zuzuschreiben, sind Realität. Das klassische Beispiel ist die erste Untersuchung über das Blutbad an der Piazza Fontana, die das Schwenken eines Rotschwarz-Banners benützte, um die Anarchisten für das dort verübte Attentat zu beschuldigen. Im Allgemeinen haben diese Operationen jedoch einen präzisen und begrenzten Fokus und werden normalerweise entdeckt. Die Erklärung „unter falscher Flagge“ auf zu viele Ereignisse auszuweiten, führt zu dem Denken, dass alles genau das Gegenteil von dem ist, was es scheint. Stattdessen ist ein Angriff islamischer Terroristen meistens wirklich so, wie es scheint: ein Angriff islamischer Terroristen.
Der Konspirationismus, schrieb der Historiker Richard Hofstadter, beginnt mit einem echten Problem, macht dann aber einen Sprung „vom Unbestreitbaren zum Unglaublichen“. Dass Al-Qaida und der Islamische Staat mit großer Verantwortlichkeit des Westens – insbesondere der Einmischung der USA in den Nahen Osten – geboren und aufgewachsen sind, ist eine fundierte und dokumentierbare Aussage. Die Schlussfolgerung, dass die beiden Gruppen in der Praxis nur als direkte Emanationen der CIA existieren, und dass alle ihre Angriffe „unter falscher Flagge“ laufen, ist ein logischer Sprung, der Verschwörungsfantasien erzeugt.
Denken wir an die Angriffe vom 11. September 2001. Wir begannen mit verständlichen Zweifeln an Elementen der offiziellen Version, die unklar schienen. Die Zweifel wurden nachträglich durch eine Tatsache verstärkt: Die Angriffe dienten als Vorwand – einschließlich falscher Beweise für die angeblich dem Irak zur Verfügung stehenden Massenvernichtungswaffen -, um den „endlosen Krieg“ von George W. Bush auszulösen. Dieser Krieg verwüstete den Nahen Osten und Westasien und begünstigte die Geburt der Gruppe Islamischer Staat.

Berlin, Deutschland, 28. August 2020. (Sean Gallup, Getty Images)
Von diesen völlig akzeptablen Prämissen aus begannen viele ohne Karte oder Kompass und – im Griff des Dunning Kruger-Effekts, der kognitiven Verzerrung und der anderen oben erwähnten Vorurteile – verloren sie sich auf dem Boden der Truther (den Verfechtern einer „reinen Wahrheit“ über den 11. September), dem Ort also, an dem jeder als Infrastrukturingenieur, Sprengstoffexperte, Fachmann für forensische Fotografie usw. improvisiert. Der Fokus der Kritik hat sich zunehmend auf den Versuch beschränkt, zu zeigen, dass der Einsturz der Zwillingstürme ein kontrollierter Abriss war und dass die Angriffe dieses Tages nichts weiter als ein Insider-Job waren. Ein Szenario, das notwendigerweise eine perfekte und weitreichende, grenzenlose Handlung impliziert, mit Hunderttausenden von Komplizen, die in verschiedenen Bereichen der Verwaltungen der wichtigsten Staaten tätig sind. Mit einem Wort: eine universelle Verschwörung.
Logischerweise musste sich die Komplizenschaft – zumindest passiv – auf die anderen Länder im UN-Sicherheitsrat erstrecken, einschließlich Putins Russland und China, denen eine solche Verschwörung sicherlich bekannt gewesen sei oder sie zumindest in sehr kurzer Zeit aufgedeckt hätten. Wenn „unabhängige Forscher“ wie Maurizio Blondet und Massimo Mazzucco sagen … Russland und China haben die offizielle Version akzeptiert, ist das eine Tatsache. Diese Implikation wird im Allgemeinen verdrängt, vielleicht weil sie den politischen Sympathien vieler Truther, die große Fans von Putin oder der Kommunistischen Partei Chinas sind, zuwiderläuft.
Freundinnen und Freunde, die der Trutherismus fasziniert, habe ich immer gefragt: „Brauchen wir dieses Zeug, um gegen die amerikanischen Kriege zu sein?“. Ich bin nicht überzeugt, aber sicherlich brauchen es diejenigen, die bei der „jüdischen Verschwörung“ andocken wollen. Die urbane Legende über die Abwesenheit von Juden in den Zwillingstürmen am Morgen des Angriffs spielt auf Letzteres an. Alle Juden wurden vom Mossad gewarnt, der damit auch zu den Architekten des Massakers zählt. In Wirklichkeit starben im World Trade Center mindestens 270 Juden, etwa zehn Prozent der Gesamtzahl. Der Prozentsatz entspricht dem der Juden unter den New Yorkern. Der Mossad hat bereits viele echte Missetaten hinter sich, ihm erfundene Missetaten zuzuschreiben, schaden begründeten Anschuldigungen und ernsthaften Ermittlungen, und es wird das Spiel derer gespielt, die Kritik an der israelischen Regierungen mit antisemitischer Couleur versehen.
Warum breitet sich diese Sichtweise nach links aus? Weil Verschwörungsfantasien vereinfachte – oft karikierte – Darstellungen des Kapitalismus vorschlagen und die Kritik des Systems ersetzen. Auf diese Weise besetzen sie ein Vakuum von Analyse und Initiative, sie führen zu mentalen Verkürzungen, sie lenken Unzufriedenheit ab, wo sie sich nur in hilflosem Murren ausdrücken kann, sie übernehmen keine Verantwortung.
Verschwörungsfantasien als Ablenkungserzählungen
Eine Maxime, die dem deutschen Sozialisten August Bebel (1840-1913) zugeschrieben wird, aber in Wirklichkeit apokryphisch ist, besagt: „Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle“. Der Inhalt ist wahr, aber der Ausdruck unglücklich: Es geht nicht um Dummheit, sondern um Projektion, einen psychologischen Abwehrmechanismus, dem wir alle erliegen können.
Mein Unwohlsein, ausgebeutet zu werden, „schlecht bezahlt, ausgeraubt, verspottet“ (wie Rino Gaetano in „mein Bruder ist ein einzigartiges Kind“ singt), hängt mit meinem Platz in den sozialen Beziehungen, strukturellen Ungleichheiten, der Konzentration von Wohlstand und der Funktionsweise des Arbeitsmarktes zusammen. Um diesen Zustand zu verstehen, sollte ich die Ideologie erkennen, die ihn rechtfertigt, und ihn als natürlich darstellt. Ich sollte also danach fragen, wie ich lebe, wie ich arbeite und über meinen Konsum, meine Mythen, die Zeit, die ich in sozialen Netzwerken verbringe, meine Widersprüche nachdenken. Das Bewusstmachen ist eine unbequeme Sache, das oft vermieden wird – oder im Laufe der Jahre verblassen darf -, selbst bei denen, die sich als politisiert und aktiv betrachten.
Wenn ich andererseits mein Unbehagen auf einen angeblich verborgenen Feind projiziere, kann ich eine unangenehme Selbstanalyse vermeiden und meine Routine fortsetzen. Ich würde sicherlich keine Verschwörungsfantasien brauchen, um wütend auf Milliardäre (einschließlich Trump), auf die Heuchelei des Philanthrokapitalismus, auf die amerikanische Demokratische Partei (und auf jene italienische), auf die Politik von Hillary Clinton, als sie Staatssekretärin war, zu sein, etc… Ich wähle Verschwörungsfantasien, weil sie im Vergleich zu einer Klassenanalyse der Gesellschaft und einer Kritik der politischen Ökonomie einfacher und bequemer sind.
Wenn ich andererseits mein Unbehagen auf einen angeblich verborgenen Feind projiziere, kann ich eine unangenehme Selbstanalyse vermeiden und meine Routine fortsetzen. Ich würde sicherlich keine Verschwörungsfantasien brauchen, um wütend auf Milliardäre (einschließlich Trump) zu sein, wie auf die Heuchelei des Philanthrokapitalismus [1], auf die amerikanische Demokratische Partei (und jene italienische demokratische Partei), auf die Politik von Hillary Clinton, als sie Staatssekretärin war etc… Ich wähle Verschwörungsfantasien, weil sie im Vergleich zu einer Klassenanalyse der Gesellschaft und einer Kritik der politischen Ökonomie einfacher und bequemer sind.
Der tiefe Staat ist eine karikierte Beschreibung der Klasseninteressen, die das Handeln von Regierungen und Staat beeinflussen und prägen. In ihrem Buch Republic of Lies enthüllt Anna Merlan den wahren Kern des Ausdrucks und beschreibt Dinge, die vielen von uns selbstverständlich erscheinen:
(The Deep State) „ist der Ort, an dem die Milliarden-Dollar-Industrie und die Regierungsbehörden, die sie regulieren sollen, von denselben Leuten geführt werden, die immer wieder durch dieselbe Drehtür gehen … Es ist der Ort, an dem hochgeheime Agenturen wie die NSA mit Technologiefirmen aus dem Silicon Valley, denen ethische Bedenken gleichgültig sind… Er ist der Ort, wo das Wahlsystem so mit Schmiergeldern überschwemmt wird, dass die meisten Amerikaner verzweifeln, es jemals wieder retten zu können.“
Für die Anhänger von QAnon ist der tiefe Staat aber viel mehr (das geheime Organigramm einer universellen Verschwörung) und viel weniger (denn das kapitalistische System ist viel größer und komplexer als jedes Organigramm oder jede Verschwörung). Heute kann der Ausdruck tiefer Staat nicht mehr von diesen Konnotationen getrennt werden. Wenn wir hören, dass er benutzt wird, signalisiert er ausnahmslos das Festhalten an einer Fantasy-Verschwörung.
Die Art und Weise, wie Verschwörungsfantasien die Rolle der Medien beschreiben, ist ebenfalls simpel und karikiert.
„Die Medien lügen“, aber nicht in der Art, wie es von QAnon erzählt wird
Es gibt gute Gründe, sich vor Mainstream-Nachrichten in Acht zu nehmen, aber sie sind nicht das, was QAnon sagt. Fernsehen und große Zeitungen sind nicht „in den Händen der Kabale“, sondern in den Händen von Kapitalisten. In Italien beispielsweise besitzen fünf große Industriekonzerne, die mit einer Handvoll Superreicher identifiziert werden können – die Familie Agnelli-Elkann, die Familie Berlusconi, Urbano Cairo, Francesco Gaetano Caltagirone, Andrea Riffeser Monti – fast alle nationalen und lokalen Zeitungen und die wichtigsten privaten Fernsehkanäle. Dann gibt es noch das staatliche Fernsehen, das von der Regierung kontrolliert wird. Wie das bekannte Sprichwort sagt, sind in jeder Gesellschaft die vorherrschenden Ideen die Ideen der herrschenden Klasse, und der Mainstream ist nur eine sanfte Art, dominant zu berichten. In Zeiten, die weniger anfällig für Euphemismen waren, wurden die großen Zeitungen als „die bürgerliche Presse“, und insbesondere die Zeitung La Stampa, die Fiat gehörte, von den Arbeitern als „La Busiarda“ [die Lügnerin, d.Ü.] bezeichnet.
Der Schutz politischer und wirtschaftlicher Interessen durch Information ist jedoch weder ein linearer noch ein einfacher Prozess. Es gibt keine Verschwörung, die alle dazu bringt, zuzustimmen, und die Informationen dienen auch nicht Propagandazwecken. Die herrschende Klasse ist in Sektoren, Machtgruppen und Konsortien unterteilt. In den Medien sehen wir also Spannungen, Konflikte und unterschiedliche Erzählungen. In diesem Szenario können Qualitätsinformationen auch ihren eigenen Raum finden: die gelegentliche ernsthafte und sorgfältige Untersuchung, die kritische und aufschlussreiche Sichtweise … – ein Job, den jemand beharrlich ausübt, auch wenn er zunehmend anstrengend und zunehmend ungeeigneter wird für ein „toxisches Geschäftsmodell“ der Informationsverbreitung. Und mit dem Covid-19-Notfall und der Diktatur der Amygdala ist die ohnehin schlechte durchschnittliche Informationsqualität weiter gesunken.
Es ist naiv, gleich denen die Verschwörungsfantasien auf den Leim gehen, zu glauben, dass alles, was der Mainstream sagt, inhaltlich falsch ist. Es kann durchaus vorkommen, dass die gemeldeten Fakten falsch sind, aber die meiste Zeit liegt die schlechte Information in der Darstellung der Nachrichten im Rahmen, d.h im narrativen Rahmen, in den die Fakten automatisch eingefügt und interpretiert werden. Ein Beispiel für solch einen Frame ist „Immigrationsnotfall“: Sobald dieser Frame aktiviert ist, werden keine falschen Nachrichten mehr benötigt, da selbst die wahrheitsgetreuen die Wahrnehmung verzerren. Jede Landung oder Rettung von Migranten auf See wird als etwas Gefährliches wahrgenommen.
Die Do-it-yourself-Forschung derer, die an Verschwörungsfantasien glauben, basiert hauptsächlich auf zwei Annahmen: 1) Mainstream-Informationen sagen das genaue Gegenteil der Wahrheit aus und daher ist das erste, was zu tun ist, die Aussagen umzukehren; 2) dass soziale Netzwerke etwas anderes seien als die Mainstream-Informationen, nämlich Orte, an denen man im Prinzip frei kommunizieren kann. Nach dieser Auffassung sind wir nicht nur einer kognitiven Verzerrung nach der anderen ausgeliefert, sondern auch Algorithmen, die jede Auswahl bedingen, jede Interaktion verfolgen, das Surferlebnis immer mehr personalisieren, von unserer Verwendung von Informationen profitieren und von der Kommunikation miteinander. Hier ist eine lange Untersuchung (der Text ist auf Italienisch und demnächst in Übersetzung, Anm. d.Ü.) dieser Dynamik, die auf Giap veröffentlicht wurde.
Soziale Netzwerke sind mittlerweile eine zweite Natur, Erweiterungen unserer Psyche, die wir für selbstverständlich halten. Aus diesem Grund wird Mark Zuckerberg nicht als Mitglied der Kabale vorgestellt: Die Vision des Systems, die Gläubige von QAnon haben, ist im Grunde die gleiche wie die eines jeden, der die meiste Zeit auf Facebook verbringt, vielleicht sogar gegen das System. Ich präsentiere mich als Feind der Macht, abgesehen von der überwältigenden Macht der Plattform, die ich benutze. Jedoch diese übermäßige Macht prägt die Umgebung meiner Kommunikation, ist für mich unsichtbar, wie die Luft, die mich umgibt. Nicht einmal Jeff Bezos wird von der Sekte ins Visier genommen, und der Diskurs ähnelt dem vorherig genannten: Lassen Sie uns über die florierenden QAnon-Geschäfte bei Amazon nachdenken und allgemein darüber, wie Lockdowns immer mehr amazonabhängige Menschen gemacht haben. Wenn Amazon und Facebook – und mit letzteren auch WhatsApp und Instagram – zur Kabale gehören würden, müssten die Anhänger von QAnon zu dem Schluss kommen, dass sie Komplizen sind, und ihre Gewohnheiten radikal ändern.
QAnon in Italien
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die QAnon-Websites auf Italienisch. Diejenigen, die sich ausschließlich der Sekte widmen, sind zwei: QAnon.it und Q Research. Zahlreicher und in vielen Fällen viel beliebter sind die Orte, an denen sich QAnon-Propaganda mit anderen Materialien abwechselt: Das am häufigsten erwähnte Byoblu, das auch über einen digitalen terrestrischen Fernsehkanal und ein soziales Netzwerk verfügt, in dem QAnon-Material im Überfluss verbreitet ist; die berüchtigte Imola Oggi von Armando Manocchia; Das neue Padania; Libre, Vereinigung von Ideen; Disinformazione.it; Wissen an der Grenze; Databaseitalia.it und so weiter, in einer langen Schlange von immer weniger relevanten Websites und Blogs – wie Mediterraneinews oder Awake! – aber das alles zusammen erhöht das Hintergrundgeräusch.
Die von Facebook ergriffenen Maßnahmen scheinen hauptsächlich Seiten in englischer Sprache betroffen zu haben: Die QAnon-Seite Italia ist immer noch online und hat fast 17.000 Abonnenten. Bei Twitter ist nicht bekannt, wie viele italienische Benutzer QAnon anhängen. Viele sind an den drei gelben Sternen neben dem Nickname zu erkennen. Im vergangenen August beschuldigte einer der aktivsten Propagandisten, Meri Q, das Modeunternehmen Gucci, seine Taschen mit der Haut von Kindern hergestellt zu haben, die von der Kabale getötet wurden. Heute ist sein Profil geschlossen. Auf YouTube wird mit rund 25.000 Abonnenten der Kanal Qlobal-change Italia betrieben, der auch die italienische Version des „Dokumentarfilms“ Fall of the Cabal anbietet. Ein weiterer Kanal, auf dem man gefälschte Nachrichten von QAnon finden kann, ist Inside the News mit 65.000 Abonnenten. Bei Telegram gibt es mehrere QAnon-Kanäle auf Italienisch: Die wichtigsten sind QAnonsItalia (5.500 Abonnenten) und Q Anon Italia Original (3.800 Abonnenten).
In Italien findet QAnon fruchtbaren Boden. Aus historischen und kulturellen Gründen die mit der Erbschaft der Inquisition und der Gegenreformation zu tun haben, hatten Verschwörungsfantasien über den Satanismus immer einen leichten Einfluss und erlebten seit den 1990er-Jahren eine Wiederbelebung, zu der die Institutionen, insbesondere die Justiz, beigetragen haben. Bestimmte juristische Theoreme, die von eifrigen Staatsanwälten der Republik aufgestellt wurden, stehen wenig den Geschichten über die Kabale und das Adrenochrom nach, und sie wurden dank der Position derjenigen, die sie befürworteten, in den Medien weit verbreitet. Selene Pascarella erzählte es ausführlich in ihrer Untersuchung „Satanisten töten samstags“ (in italienischer Sprache). Neben der Justiz waren es Parlamentarier verschiedener Parteien und verschiedene Minister, die mit Verschwörungsfantasien jonglierten – mit genau denen, die QAnon in seinen Erzählungen verwendet hat.
Dass Verschwörungsideologien auch ein wesentlicher Bestandteil der Weltanschauung und der Propaganda der identitären Rechte sind, erwähnen wir nebenbei, werden hier aber nicht weiter darauf eingehen. Stattdessen ist es interessant, die Rolle der 5-Sterne-Bewegung (M5) zu beleuchten. Nicht wie heute geschwächt und voll bürgerlich, sondern wie sie sich (obwohl dieser Zustand schon 2013 vorhersehbar war) vor zehn Jahren darstellte. Die Hypothese ist, dass viele QAnon-Gläubige von links in dem M5 eine Form von Aktivismus – wenn auch nur virtuell – durchlaufen haben. Eine Studie fehlt in dieser Hinsicht noch, aber es ist eine häufige Entwicklung, die aus ihren Profilen in den sozialen Netzwerken hervorgeht. Vor allem aber sind die Biografien der wichtigsten QAnon-Diffusoren in Italien sehr deutlich: Sehr oft kommen sie aus der Partei von Grillo und Casaleggio (der Erstere Gründer von M5, der zweite Internet-Marketing Unternehmer und strategischer Berater von M5, d.Ü.) wo sie wichtige Rollen und Positionen hatten. Senator Bartolomeo Pepe, heute in der gemischten Gruppe, war einer der ersten, der QAnon nach Italien brachte, wie die Online-Zeitung neXt bereits im September 2018 berichtete. Die ebenfalls bei den fünf Sternen ausgetretene Abgeordnete Sara Cunial hat Elemente der QAnon-Erzählung in ihrer Rede vor der Abgeordnetenkammer aufgenommen, und sie hat Beziehungen zur QAnon-Propagandistin Alicia Erazo. Claudio Messora, Gründer von Byoblu, war für die Kommunikation der M5-Gruppe mit dem Senat verantwortlich.
In den letzten zehn Jahren haben prominente Mitglieder der M5 – oder diejenigen, die aus der Partei ausgetreten sind, nachdem sie durch sie in die Institutionen gelangten – mit fast jeder alten und jüngsten Verschwörungsfantasie oder Hasslegende geflirtet. Senator Elio Lannutti würdigte die Protokolle der Weisen von Zion; der Abgeordnete Paolo Bernini bezeichnete Barack Obamas Gesundheitsreform als eine Verschwörung zur Kontrolle der Menschen durch unter die Haut implantierte Mikrochips. Senatorin Paola Taverna und andere Vertreter von Cinquestelle (5-Sterne, d.Ü.) haben die unbegründete These über Impfstoffe als Ursache von Autismus erneut veröffentlicht. Der Stadtrat von Rom, Massimiliano Quaresima, führte eine Zunahme der Homosexualität auf Impfstoffe zurück und verbreitete verschiedene Pseudountersuchungen zu Chemtrails. Die stellvertretende Tatiana Basilio verurteilte eine Verschwörung des Schweigens, die darauf abzielte, die Existenz der Sirenen (nicht die der Krankenwagen: der Frauenfische) zu verbergen, und die gesamten M5 ritten auf dem Fall Bibbiano herum und beschuldigten die Demokratische Partei, an der Spitze des Kinderhandels zu stehen. Den Vorwurf musste er zurücknehmen, nachdem er selbst das Regierungsbündnis mit dem Pd (demokratische Partei, d.Ü.) beschlossen hatte.
In einem solchen Potpourri war der Schritt zu QAnon kurz. Im Jahr 2018 war der Fuß noch halb in der Luft: Marcello Foa, kurz bevor er mit den Stimmen der M5 Präsident von Rai (Rai – staatl. TV +Rundfunk, d.Ü.) wurde, schrieb Tweets über „satanische Abendessen“, basierend auf „Menstruation, Sperma und Frauenmilch“, bei denen auch Hillary Clinton anwesend war.
Nachtrag
Viele Aspekte konnten hier nicht untersucht werden. Warum ist Deutschland der schlimmste QAnon-Hotspot auf dem alten Kontinent und was sind die Auswirkungen auf den Rest Europas? Was sind die Wahrheitskerne der Verschwörungsfantasien von Covid-19 und wie kann man von diesen Kernen ausgehen, um zu verhindern, dass Unwohlsein und Wut von Fantastereien der Verschwörung erfasst werden? Das sind entscheidende Fragen. Die Beantwortung ist dringend und eine Aufgabe für uns alle.
Doch jetzt ist er auf dem Boden angekommen.
Anmerkungen:
Diavoli della Bassa modenese: Die Teufel oder Pädophilen im Unterland von Modena ist die journalistische Bezeichnung für eine mutmaßliche Sekte gewesen. Sie soll in den Jahren 1997/98 in den Orten Mirandola und Massa Finalese satanische Riten praktiziert haben, in deren Folge Kinder missbraucht und ermordet wurden. Auf die Anzeige eines Kindes hin erfolgte die Entfernung von 16 Kindern aus ihren Familien und die Einleitung weitreichender Ermittlungen. Im Prozess erhärtete sich die Vorwürfe von satanischen Ritualen und Mord jedoch nicht. Vielmehr wurde vermutet, dass die Vernehmungstechniken bei den Kindern zu solch nicht realen Erinnerungen führten. Im Jahr 2000 wurden alle 15 Angeklagten verurteilt, wovon im Laufe des Rechtsweges 7 verblieben, gegen die wegen häuslicher Misshandlung mildere Strafen verhängt wurden. 2013 bestätigte das italienische Kassationsgericht (ähnlich dem Bundesgerichtshof in Deutschland) die vorangegangenen 8 Freisprüche von 15 Angeklagten. In der Begründung rügte das Gericht mit harten Worten die absolut unprofessionelle Vorgehensweise bei der Befragung der Kinder. ↩
Philanthrokapitalismus: Der Begriff wurde besonders durch Matthew Bishop and Michael Green: Philanthrocapitalism – How the rich can save the World –New York: Bloomsbury Press, November 2008 (link bei http://www.philanthropy-impact.org ) bekannt und schnell zum Modewort (obwohl es schon einige Jahre vorher gebraucht wurde). Gemeint ist die philanthropische Praxis kapitalistischer Unternehmen, systemisch produzierte Erscheinungen und Probleme der globalen Armut auf der Grundlage des Profitsystems anzugehen. mehr dazu:
↩