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[Der Beitrag stammt aus der Feder des Wirtschaftshistorikers Adam Tooze. Er lehrt an der Columbia University Geschichte und ist Autor von Der Preis der Vernichtung, Fall und Aufstieg der Nazi-Ökonomie. Vor zwei Jahren verfasste er Der Absturz, 2008-2018. Wie ein Jahrzehnt der ökonomischen Krise die Welt veränderte. Das Buch beschreibt die profunde Dimension der Krise in ihren gestörten Beziehungen der menschlichen Natur zur Natur und deren weitreichende Auswirkungen auf die Ökonomie, die in heutigen Zeiten mit dem Ausbruch der Pandemie zur Diskussion steht.] weiterlesen…
Stiamo vivendo la prima crisi economica dell’Antropocene
Pubbichiamo questo articolo uscito qualche giorno fa sul sito del The Guardian, scritto dallo storico dell’economia Adam Tooze, autore, due anni fa, del monumentale “Lo schianto. 2008-2018. Come un decennio di crisi economica ha cambiato il mondo”. Il merito del testo è quello di cogliere la dimensione profonda di una crisi che, anche se letta ancora come economica, ha le sue radici nello sconvolgimento dei rapporti tra natura umana e natura non-umana e il loro complessivo incorporamento nell’economico, che oggi però viene messo in discussione dall’irruzione della pandemia.
‚We are living through the first economic crisis of the Anthropocene‘
Forget the butterfly effect, this is the bat effect – our stranglehold on nature has unleashed the coronavirus outbreak. And the pandemic is forcing us to rethink how to run our networked world
Die Stadt Washington DC ist jeden April Gastgeber der Frühjahrskonferenz des IWF und der Weltbank. Im vergangenen Monat hat die leitende Direktorin des IWF Kristalina Georgieva per Video an ihre Kolleg*innen gewandt. Sie erklärte: „Die Welt bewältigt gerade eine Krise ohnegleichen.“ Seit es verfügbare Erhebungen gibt, ist dies das erste Mal, dass die Welt-Ökonomie einen Rückgang erlebt und dies sowohl in den reichen wie den armen Ländern.
Es sind nicht so sehr die unmittelbaren Auswirkungen, welche diese ökonomische Krise beispiellos machen. Es ist ihre Genesis. Sie ist nicht die von 2008 und ihrem Zusammenbruch des nordatlantischen Bankensystems. Sie ist auch nicht vergleichbar mit den 30-iger Jahren; es war ein Erdbeben, das auf die konsequenten Bruchlinien des Ersten Weltkriegs zurückzuführen ist. Die Krise 2020 wird vom Covid-19 diktiert und sie ist das Resultat massiver globaler Anstrengungen, um eine unbekannte, letale Krankheit einzudämmen. Es ist sowohl eine befremdliche Demonstration unserer kollektiven Macht, die Wirtschaft zu stoppen, als auch eine schockierende Erinnerung daran, dass unsere Kontrolle über die Natur, auf der das moderne Leben ruht, zerbrechlicher ist, als wir denken. Was wir durchleben, ist die erste Wirtschaftskrise des Anthropozän.
Dies ist die Ära, in der die Auswirkungen der Menschheit auf die Natur auf unvorhersehbare und katastrophale Weise auf uns zurückfallen. Die große Beschleunigung, die das Anthropozän definiert hat, mag 1945 begonnen haben, aber 2020 stehen wir vor der ersten Krise, in der ihre Druckwelle unsere gesamte Wirtschaft destabilisiert. Sie erinnert daran, wie umfassend und unmittelbar diese Herausforderung ist. Während der zeitliche Ablauf des Klimanotstands in der Regel in Jahren gemessen wird, umkreist Covid-19 den Globus in wenigen Wochen. Und der Schock ist tief. Durch die Infragestellung unserer Beherrschung über Leben und Tod erschüttert die Krankheit die psychologische Basis unserer sozialen und wirtschaftlichen Ordnung. Er wirft grundlegende Fragen über Prioritäten auf; er stellt die Diskussion auf den Kopf. Weder in den 1930er Jahren noch nach 2008 bestand die Frage, ob es richtig wäre, die Menschen wieder zum Arbeiten zu bewegen.
Die Betonung des beispiellosen Ausmaßes des Covid-19-Schocks bedeutet nicht, dass die durch die Finanzkrise von 2008 aufgezeigten Probleme heute nicht mehr bestünden. Als die Pandemie im März 2020 eskalierte, war die Anfälligkeit der Finanzmärkte nur zu offensichtlich. Wenn die Lockdowns von einer anhaltenden Rezession gefolgt werden, was mehr als wahrscheinlich ist, werden die Banken schweren Schaden erleiden. Ebenso wenig impliziert die Betonung der Einzigartigkeit des Covid-Schocks, dass geopolitische Spannungen zwischen China und den USA keine Rolle spielen; das tun sie. Der chinesisch-amerikanische Konflikt stellt die Zukunft der Weltwirtschaft infrage, und dies ist umso alarmierender, als sich die Spannungen über die Politik des Virus täglich verschärfen.
Aber der entscheidende Punkt ist, dass Finanzstabilität und Geopolitik nun mit einer Herausforderung verbunden sind, die, wie der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, anthropologisch ist: Worum es hier geht, ist der Kompromiss zwischen Wirtschaftstätigkeit und Tod. Eine zufällige Mutation im ökologischen Dampfkocher Zentralchinas hat all unsere Fähigkeit gefährdet, unser tägliches Geschäft auszuüben. Es ist eine bösartige Version des Schmetterlingseffekts. Nennen Sie es den Fledermauseffekt.

Covid-19 hat die Zeitlinie des Fortschritts durcheinander gebracht. Hoch entwickelte Krankenhäuser in China, Italien und den USA wurden auf den Zustand chaotischer, impotenter Verzweiflung reduziert. In New York griffen Krankenschwestern darauf zurück, sich in Müllsäcken zu wickeln. Gesichtsmasken wurden von Hand an Nähmaschinen hergestellt. In den USA stapelt man die Toten in Kühlwagen.
Wir müssen der Möglichkeit ins Auge sehen, dass wir in einer charmanten Zwischenzeit gelebt haben. In dem Jahrhundert seit der Spanischen Grippe von 1918-19 fand der miteinander verflochtene Anstieg der Globalisierung und der nationalen Wohlfahrtsstaaten vor dem Hintergrund relativ harmloser Krankheiten statt. Dank verbesserter Ernährung, sanitären Einrichtungen und Wohnungen, der öffentlichen Gesundheit, der Pharmakologie und der High-Tech-Medizin haben wir bemerkenswerte Fortschritte in der menschlichen Lebenserwartung gesehen. Die Pockenausrottung im Jahr 1977 war dafür sinnbildlich. Das Gefühl, dass Infektionskrankheiten der Vergangenheit angehören, machte das Schutzversprechen zunichte. Mit Covid-19 sind die Kosten für diesen Schutz deutlich gestiegen. In einer schrecklichen Bewusstseinsverzerrung sehen sich die Industrieländer plötzlich mit der Art von Dilemma konfrontiert, mit dem arme Länder gewöhnlich konfrontiert werden. Es fehlen die Werkzeuge. In der armen Welt, ist das alltägliche Ergebnis daraus, dass Kinder in der Entwicklung gehemmt und Familien verarmt sind. Millionen sterben für fehlende Behandlung. Covid-19 hat der reichen Welt davon einen Vorgeschmack gegeben.
Wir können nicht sagen, dass wir nicht gewarnt wurden. Seit dem berühmten Bericht Limits to Growth des Club of Rome Thinktank im Jahr 1972, haben Experten die natürlichen Kräfte hervorgehoben, die den triumphierenden Weg des Wirtschaftswachstums unterbrechen könnten. Im Gefolge der Ölschocks der 70er Jahre war die Verknappung der Ressourcen ein großes Problem. In den 80er Jahren wurde die Klimakrise immer stärker. Doch im selben Moment löste der HIV/Aids-Schock das Bewusstsein für eine andere Art von Rückfall aus der Natur aus: die Bedrohung durch „neu auftretende Infektionskrankheiten“ und insbesondere durch zoonotische Mutationen.
Ausgehend von einer berühmten Konferenz an der Rockefeller University im Jahr 1989 wurde immer wieder argumentiert, dass dies kein Zufall sei. Sie ist das Ergebnis der unerbittlichen Einbindung von Tierleben in unsere Nahrungskette. HIV/Aids, Sars, Vogelgrippe, Schweinegrippe und Mers könnten alle diesem gefährlichen Appetit zugeschrieben werden. Wie die Klimakrise sind Epidemien nicht nur Naturunfälle, sie haben anthropogene Triebkräfte.
Die Auswirkungen dieser Analyse sind radikal. Aber die Ärzte und Epidemiologen, die sie machen, sind keine Revolutionäre. Was sie nachdrücklich gefordert haben, ist eine globale öffentliche Gesundheitsinfrastruktur, die den Risiken der Globalisierung gerecht wird. Wenn wir riesige Bestände an domestizierten Tieren halten und immer tiefer in die letzten noch verbliebenen Reservate an wild lebenden Tieren eindringen wollen; wenn wir uns in Großstädten konzentrieren und in immer größerer Zahl reisen wollen, dann geht das mit viralen Risiken einher. Wenn wir Katastrophen vermeiden wollen, sollten wir in die Forschung, in die Überwachung, in die grundlegende Volksgesundheit, in die Herstellung und Lagerung von Impfstoffen und wesentlichen Ausrüstungen für unsere Krankenhäuser investieren. Aber es war immer klar, dass die Kosten riesig sein würden. Die Grippe-Pandemie von 1918, bei der 50 Millionen Menschen ums Leben gekommen sein sollen, stellt eine hohe Hürde dar. Wenn eine Pandemie ausbrach und durch Quarantäne eingedämmt werden musste, war es immer klar, dass die Kosten in die Billionen von Dollar gehen würden.
Mit der Klimakrise wissen wir, was einer angemessenen Reaktion im Wege steht: Fossile Brennstoffe sind für unsere Lebensweise unerlässlich. Mächtige Geschäftsinteressen haben einen großen Anteil an der Leugnung des Klimawandels. Die strategischen Interessen der USA, Saudi-Arabiens und Russlands liegen allesamt in Öl-Investitionen. Die Verringerung der CO2-Emissionen ist teuer, technisch kompliziert und die Vorteile sind diffus und langfristig. Während man vernünftigerweise sagen kann, dass gigantische Strukturen wie Kapitalismus und Geopolitik der Bewältigung der Klimakrise im Wege stehen, gilt dies nicht für Covid-19. Die Kosten für die Impfung der ganzen Welt werden auf etwa 20 Milliarden Dollar geschätzt. Das entspricht etwa zwei Stunden des globalen BIP, einem winzigen Bruchteil der Billionen, die die Krise kostet. Die Tatsache, dass es zugelassen wurde, dass dieses Virus zu einer globalen Krise wird, ist nicht im Hinblick auf massive gegnerische Interessen erklärbar. Es ist in erster Linie ein Versagen der Regierung.
Es stellt sich heraus, dass wir die Weltwirtschaft stoppen können, aber wir stehen nun vor der unglaublichen Verantwortung, sie wieder zu öffnen,
Da dies relativ billig war und das Ausmaß des Risikos enorm ist, hatten alle großen Länder tatsächlich Pandemie-Vorkehrungen getroffen. Keiner war so umfangreich, wie wir es uns jetzt wünschen mögen, aber an Orten wie Südkorea, Taiwan und Deutschland hat man daran gearbeitet. Gute Pläne zu machen, sie durchzuziehen und die grundlegenden Dinge richtig zu machen, hat sich als wichtig herausgestellt.
Die Bewältigung der Klimakrise stellt die beängstigende Herausforderung dar, das gesamte System zu verlangsamen. Covid-19 lehrt, dass nicht nur das Gesamtbild zählt. So eng verbunden ist unser globales System, dass kleine Fehlschläge in der Regierungsführung in einigen entscheidenden Punkten jeden auf der Welt betreffen können.
Das Bemerkenswerte an Covid-19 ist, dass es die Risiken des Anthropozäns für jeden einzelnen von uns mit nach Hause bringt. Die Lockdowns waren nicht einfach eine Maßnahme der Regierung von oben nach unten. Es waren die Menschen selbst, die in Massen ihre eigene Antwort auf die Bedrohung gegeben haben, oft vor ihren Regierungen. Dies spiegelte sich am dramatischsten auf den Finanzmärkten wider, die einen weltweiten Ansturm auf Sicherheit einleiteten. Es war das, was zuerst die Zentralbanken, dann die Parlamente und die Regierungen zum Handeln veranlasst hat. Es stellt sich heraus, dass wir in der Lage sind, die Weltwirtschaft zum Stillstand zu bringen, aber wir stehen nun vor der unglaublichen Verantwortung, sie wieder zu eröffnen. Wenn Georgieva Recht hat, dass dies eine Krise wie keine andere ist, so ist sie es auch beim Problem des Neustarts. Es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen. Auf der einen Seite sind die großen medizinischen Risiken; auf der anderen Seite ist eine katastrophale Wirtschaftskrise. Wie können wir den Kompromiss erzielen? Es ist verführerisch, die Entscheidung als unmöglich oder falsch abzulehnen. Das ist jedoch nicht nur nicht richtig, es bestreitet auch die Tatsache, dass wir unter normalen Umständen routinemäßig Leben- und Todeskompromisse eingehen. Selbst in den wohlhabendsten Gesellschaften werden jeden Tag finanziell motivierte Entscheidungen getroffen, die über die Sterbewahrscheinlichkeit aufgrund von Arbeitsunfällen, Umweltverschmutzung, Autounfällen, Krankenhausfinanzierung, Arzneimittelbeschaffung und Krankenversicherung entscheiden.
Aber nie zuvor wurde die Frage so direkt für ganze Nationen gestellt. Das Ergebnis ist vorhersehbar entzweiend. Die USA führen derzeit einen Crash-Test durch, bei dem republikanische Staaten des Südens wie Georgien, trotz unzureichender Tests oder medizinischer Unterstützung, Fortschritte erzielen. Auf Initiative des Präsidenten selbst besetzten bewaffnete Milizen die Hauptstadt des Bundesstaates Michigan und forderten „Befreiung“ vom Lockdown. In der Zwischenzeit hat Angela Merkel in Deutschland ihre Rolle in der Eurozonen-Krise durch den Versuch, jede Diskussion zu ersticken, neu erfunden. Dies war kein Moment für „Orgien der Debatte über die Wiedereröffnung“, betonte sie. Margaret Thatchers „Es gibt keine Alternative“ war wieder einmal der Tagesordnungspunkt.

Die magische Kugel wäre eine medizinische Lösung – Antikörpertests, wirksame Behandlungen, ein Impfstoff. Es hat fünf Jahre gedauert, bis ein Impfstoff für Ebola entwickelt wurde, obwohl dieses Problem erheblich umfangreichere Ressourcen erfordert. Aber was wir erwarten, darf nicht mit der Tagesordnung verwechselt werden: Wir haben nie erfolgreich einen Corona-Impfstoff entwickelt. Wir setzen nicht auf normale Wissenschaft, sondern auf ein modernes Wunder, ein „wissenschaftliches Wunder“. Und selbst im besten Fall, wenn ein Impfstoff 2021 eingeführt wird, können wir uns der Logik der Risikogesellschaft nicht entziehen. Wir wissen jetzt, was diese Art von Bedrohung tun kann. Wir wissen, dass wir einen großen Teil von 2020 verloren haben. Wie kommen wir von hier aus voran?
Die offensichtliche Lösung besteht darin, die Investitionen in die globale öffentliche Gesundheit zu tätigen, welche Experten seit den 1990er Jahren fordern. Es wird politische und kommerzielle Hindernisse zu überwinden geben. China und die USA stehen im Konflikt und scheinen entschlossen, die Pandemie zu politisieren. Hinzu kommt, dass die enormen finanziellen Kosten der Krise über uns hängen werden. Riesige Schulden werden wahrscheinlich Gespräche über Sparmaßnahmen fördern. Seit den 90er Jahren hat eine marktorientierte Wirtschaftspolitik im öffentlichen Sektor die Gesundheitssysteme weltweit geschwächt. Letztlich wird die Politik entscheidend sein, und die letzten sechs Monate haben zu vernichtenden Niederlagen für die Linke auf beiden Seiten des Atlantiks geführt. Der politische Tenor der Krise war bisher konservativ und nationalistisch.
Angesichts der Krise haben Jair Bolsonaro und Donald Trump lächerliche Zahlen gestrichen. Aber sie bringen einen tiefen Wunsch zum Ausdruck, die Bedeutung des Schocks zu leugnen. Wer würde nicht lieber denken, dass dies einfach die Grippe war? Mit dieser Versuchung ist das, dem wir entgegensehe nur eine gemilderte Alternative. Covid-19, wie die beispiellosen Hurrikane und die verheerenden Brände von 2019, wird als eine Laune der Natur abgetan werden. Das ist beruhigend. Es wird kurzfristig gut für das Geschäft sein, aber es bringt uns in eine andere Krise. Wenn es richtig ist, dass Covid-19 eine Krise wie keine andere ist, ist zu befürchten, dass es mehr davon geben wird