von Wu Ming, 25.04.2020
Dal dirupo di Sabbiuno, 25 aprile 2020. Come e per cosa lottare nelle fasi 2 e 3 dell’emergenza coronavirus
[Der von mir übersetzte Artikel zum 21. April, dem Jahrestag der Befreiung Bolognas ist nicht nur lesenswert wegen seiner wertvollen historischen und zeitpolitischen Informationen. Seine glaubwürdige und theoretisch aufgezeigte Verbindung zwischen gestern und heute, zwischen Widerstand, Andenken und politischer Verpflichtung, sind auch in neuerer deutscher Realität der Demonstrationen gegen Notstand und Demokratieabbau von Interesse. G.M.]
Monte Sabbiuno (Bologna), 21 aprile 2020, h. 19:30. Monument für die im Dezember 1944 von den Nazifaschisten grausam Hingerichteten.
von Wu Ming
1. Monte Sabbiuno ♦
2. Un reading itinerante in pieno lockdown ♦ Eine Wanderlesung bei vollem Lockdown
2b. L’apparizione della C. ♥ Das Auftauchen der C.
3. In base a cos a hanno recluso in casa i nostri bambini? ♦ Mit welcher Berechtigung haben sie unsere Kinder zuhause eingesperrt?
4. L’epidemia più duratura e letale ♦ Die härteste und letalste Epidemie
5. Pensiero reazionario e pensiero della liberazione ♦ Der reaktionäre Gedanke und der Gedanke der Befreiung
6. Il «nulla più come prima»: un’iperbole antistorica e un alibi ideologico ♦ Dieses „nichts bleibt wie es früher war“ ist eine ahistorische Hyperbel und ideologisches Alibi
7. Dieci punti fermi per il futuro ♦ 10 feste Stichpunkte für die Zukunft
8. Ritorno da Sabbiuno ♦ Rückkehr vom Sabbiuno
Es ist kurz vor sieben Uhr abends am 21. April 2020. Von der Piazza Cavour aus nahmen wir die Buslinie 52 und wir fuhren die Hügel hinauf zum Monte Sabbiuno. Die Grenze der Gemeinde Bologna haben wir zwar nicht überschritten, wir sind aber über die Grenzen der gesetzten Normen hinaus gegangen: So weit weg von zuhause, war im Formular für Eigenangaben zum beabsichtigten Weg nicht vorgesehen. Aber wir waren sicher, auch nach legalen Maßstäben, im Recht zu sein.
Zum Notstandsdekret gab es so auch seitens einiger Anwälte kritische Positionen, die sich mit dem Chaos der Verordnungen, der Rechtswidrigkeit bestimmter Einschränkungen und dem großen Ermessensspielraum der Ordnungskräfte auseinandersetzten… Hier auf dem Giap-Nesletter antwortet Luca Casarotti (d.Ü.: Jurist a.d. Uni Pavia) seit Wochen auf Zweifel und Bedenken derer, die unter solchen Bedingungen mit wirrer Begründung bestraft wurden,
Drei Stunden vor unserer Abfahrt veröffentlichte die Nachrichtenagentur ANSA einen offenen Brief von neun Magistratsmitgliedern in Aosta, unter ihnen auch der Gerichtspräsident. Der Brief prangerte die Absurdität der Strafverfolgung an – v.a. solcher Personen, die in Wäldern oder außerhalb der Stadt spazieren gehen – und befasste sich mit der rigiden Menschenjagd, die sich mit dem Szenario vieler Helikopter und Drohnen abspielte:
«Mit starkem Unbehagen – hauptsächlich moralischer Natur – sahen wir – und sehen immer noch – der umfangreichen Entfaltung von Maßnahmen einer rechtswidrigen Strafverfolgung zu, obwohl eine Straftat gegen das geschützte rechtliche (und soziale) Interesse offensichtlich nicht vorliegt»
Wir sind zunehmend davon überzeugt, dass es sich um eine betrügerische Ersetzung von dem Slogan „bleib (von der Arbeit) zuhause“ nach einem „bleib im Hause“ handelt.
Diesem Trick ist zu verdanken, dass ein Großteil der Fabriken ohne Arbeitsschutz geöffnet blieben, während Millionen Personen zum Hausarrest gezwungen wurden. Das hieß auch in Gebieten mit null Ansteckungsgefahr, jene in Berg und Wald mit niedrigstem demografischen Index, von jeglichem Infektionsherd weit abliegende Gebiete, wie z.B. die Inseln etc…
Als wir am Bergkamm, welcher Renotal und Savenatal trennt, die Linie 52 verließen, schauten wir uns um und fragten uns quasi unisono: „Warum sollte hier jemand zuhause bleiben?“.

Das Monument am Monte Sabbiuno gedenkt der Partisanen und politischen Gefangenen, die von den Nazis an diesem Ort erschossen wurden. Die Erschießungen wurden ab Mitte Dezember 1944 mehrmals wiederholt vollzogen, wobei die zu Exekutierenden aus dem Gefängnis San Giovanni in Monte a Bologna geholt wurden. Zusammengetrieben auf dem Grat des Berges, wurden sie niedergeschossen und ihre Körper rollten in den Abgrund. Bruno Levi bezeichnete die dort errichtete Gedenkstätte, ein Beispiel von land art sowie „eines der überzeugendsten und wertvollsten unter Hunderten „Memorials“ für die Gefallenen des europäischen Partisanenkampfes“.
Am ersten Jahrestag der Ermordung von Carlo Giuliani publizierten wir auf Giap – damals noch ein gewöhnlicher Newsletter – einen Artikel mit dem Titel „20. Juli 2002, ein kleines laizistisches Wunder. Exkurs des unteren Bologneser Apennin auf der Piazza Alimonda, der ausgeht von…“. Viele der Motive, warum Sabbiuno für uns eine besondere Ausstrahlung hat, werden in diesem Text dargestellt:
„Am Sabbiuno gibt es eine Gedenkstätte. die immer offen und nicht monologisch ist. Sie hat weder etwas Rhetorisches noch Bürokratisches an sich. […], ein kleines Wunder. Zum 30. Jahrestag des Gemetzels, zum Gedenken jener hundert antifaschistischen Kämpfer, wurden am Rand der Schlucht Felssteine von kleiner und mittlerer Größe gesetzt, wobei in jeden der Namen eines Partisanen eingraviert wurde. Das war eine sanfte und harmonische Aktion, land art, die so perfekt der Umgebung angepasst war, dass ihr Ergebnis natürlich schien.
Jene Felsbrocken hatten eine Sprache, die befragt tausend Antworten gaben.“
Weiter unten in der Schlucht beim Gebirgsausläufer des Pliozäns, entlang dem rechten Ufer des Reno, verläuft die erste Etappe der Via degli Dei (Weg der Götter). Vor zwanzig Jahren, als der Weg noch nicht angelegt war und die erste Etappe in der Gemeinde Sasso Marconi begann, musste man ausgehend von der Piazza Maggiore über die Porta San Mamolo, die Strada dei Colli einschlagen und immer dem Grat entlang dem Asphalt über die Via di Sabbiuno folgend, das Massiv des Berges zu erreichen.
Ein weiterer Anlass, der uns mit diesem Ort verbindet und uns dazu bringt den Aufstieg zu wagen – zu Fuß, mit Fahrrad, mit Auto oder Bus -, ist das Aufkommen so mancher wichtiger Fragen.
Der 21. April war der 75 Jahrestag der Befreiung Bolognas vom Nazifaschismus. Wir pilgerten zum Sabbiuno, um unsere erste öffentliche Aktion in der Stadt, seit Beginn des Corona-Notstands zu machen, jedoch auch, um über die Zukunft unseres Tuns nachzudenken.

2.Eine Wanderlesung im vollen Lockdown
Den 21. morgens versammelte sich das Kollektiv. Das Zusammentreffen war physisch, nicht virtuell, und dabei wurde die Aktion am Nachmittag vorbereitet.
Ab 15 Uhr haben wir dann, ohne Ankündigung, unserem 21. April mit einer Wanderlesung im Zentrum der Stadt gedacht. Während unseres Gangs machten wir an vier Buchhandlungen Halt, die gerade wieder geöffnet wurden. Es waren solche, mit denen wir zusammenarbeiten, wo wir die Lesung durchführten.
In der Reihenfolge:
- Ubik Irnerio. in der Via Irnerio
- Modo Infoshop, in der Via Mascarella (die an diesem Tag auf ihre Wiedereröffnung wartete)
- Trame, in der Via Goito
- Giannino Stoppani, an der Piazza Re Enzo
Wir stellten uns jedesmal in eine Reihe und lasen für ein zufälliges Publikum von 10-15 Personen.

«Welche Freude, ich fürchtete schon, dass niemand etwas anlässlich der Befreiung Bolognas macht…»
«Das kann nicht wahr sein, wieder eine Aktion mitmachen zu können…»
«Ja das war notwendig…»
Während des Rundgangs haben wir Auszüge folgender Werke vorgelesen:

■ Cesare Pavese, La casa in collina. (Das Haus auf dem Hügel)
■ Cesare Pavese, La luna e i falò. (Der Mond und die Feuer)
Es sind zwei gute Titel, auch weil dieses Jahr der 70. Todestag von Pavese anfällt und diesen April war der siebzigste Jahrestag der Veröffentlichung von La luna e i falò.
Der erste Auszug von La casa in collina beschreibt die Aussetzung der Normalität in Kriegszeiten. Er schildert den Wandel von der Wahrnehmung der Dinge, und am Ende stand die Frage: «Wann öffnen die Schulen wieder»; der zweite Abschnitt, stammt aus dem berühmten Finale. Es ist eine der schönsten Reflexionen zum Überleben im Krieg – der immer auch Bürgerkrieg ist. Er legt Rechenschaft ab über die Toten, wer sie auch immer seien, und mit ihrem Menschsein und er setzt sich mit der Verantwortung auseinander, an ihrer Stelle überlebt zu haben.
Der Auszug aus La luna e i falò erzählt die Folgen des Auffindens zweier toter Republikaner drei-vier Jahre nach Beendigung des Krieges. Pavese beschreibt das Verbreiten einer diffamatorischen Spirale der Gerüchte und wie sie in bourgeoiser Weise in der Bar zu hören kriegen: Wir haben sie hundertfach so oder so gehört. Es sind dieselben von heute.
Mit Pavese erging es uns schlecht: Vom vergangenen Dezember bis zum Februar haben wir ihn vollständig neu gelesen, um ein Vorwort für die neue Edition von La luna e i falò bei Einaudi zu schreiben.
Bologneser Triptychon

■ Giovanna Zangrandi, I giorni veri. Diario della resistenza. (Wahre Tage. Tagebuch der Resistenza).
■ Renata Viganò, L’Agnese va a morire. (Das Lamm geht zur Schlachtbank)
■ Antonio Meluschi, L’armata in barca. (Die Armee im Boot)
Giovanna Zangrandi, ein Pseudonym von Alma Bevilaqua, geboren in Galliera (BO), war Partisanin in Cadore während der Annexion der Provinz Belluno durch das Dritte Reich.
Viganò e Meluschi, Eheleute, schlossen sich der Resistenza in der Provinz Ferrara (Unterland) und erzählten von ihr in den zwei Romanen, die wir ausgesucht haben. Sie lebten auch in der gleichen Straße, wo sich der Modo-Infoshop befindet, und an dem Haus wird seit 2018 mit einer Gedenktafel daran erinnert. Unter ihren Namen liest man: «Dieses Haus war sowohl Treffpunkt der Intellektuellen wie auch Bezugspunkt für eine antifaschistische Kultur.»
Drei weitere Autoren der Lesung
■ Italo Calvino, Il sentiero dei nidi di ragno. (dt.Ausgabe: Wo Spinnen ihre Nester bauen.)
In dem bekannten Vorwort, das Calvino zwanzig Jahre nach Erscheinen des Romans geschrieben hatte, erklärt er, dass zwei Impulse ihn dazu bewegten, die Geschichte einer nicht ideologisierten Partisanengruppe von Subproletariern auszudenken: (1) Das Anerkenntnis, dass das spontane und politisch nicht begründete Bekenntnis zur Resistenza, seitens „diskussionswürdiger“ Protagonisten, jedenfalls besser war, als das stillschweigende Einverständnis vieler biedere neutraler Personen; (2) die Versuchung positiver Darstellung von „romantischen Helden“ zu vereiteln.
■ Beppe Fenoglio, Una questione privata. (Eine private Angelegenheit)
Wir lasen einen Auszug vom Zusammentreffen Miltons mit einem Alten, der zu ihm sagt: Die Faschisten müsst ihr alle umbringen, wirklich alle, nicht einer darf am Leben bleiben. Ein Beispiel dafür, dass die „einfachen Leute“ radikaler als die Aktivisten sein können.
■ Albert Camus, La peste.
Das Finale des Romans von Camus lasen wir auf der Piazza Re Enzo zuletzt. Die Peste wurde als Metapher auf den Zweiten Weltkrieg und dem Kampf gegen den Nazifaschismus geschrieben. Sie passt perfekt in unsere Zeit und dem Kampf gegen die reale „Pestilenz“ und ihren Autoritarismus, der sich auf ihm errichtet. Metapher und Realität stürzen zusammen ab. Wenn wir in der Form auch die Normen einhielten (gerade im Grenzbereich), haben wir von der Substanz her ein erstes literarisches Ereignis und ein städtisches Trekking zu Beginn des Lockdown organisiert.

Während unsere Aktion lief, wurde in der Via Broccaindosso das Partisanenlied Bella Ciao mitten auf er Straße gesungen.
«Wie war das schön. Wir haben dem 21. April gedacht und mitten auf der Straße Bella Ciao angestimmt. Es war ein unvergesslicher Augenblick. Er kam zustande, weil mein Vorschlag, die Befreiung „zu feiern“, von einer kleinen Gruppe Anwohner angenommen und unterstützt wurde.
In diesem surrealen Klima haben wir uns zusammen gefunden und eine Blume auf dem Gedenkstein des Partisanen Giancarlo Romagnoli abgelegt, der gerade nur 19 Jahre alt wurde.
Kein Mensch war an den Fenstern. Wir aber sangen, um die Angst fortzuscheuchen. Wir hielten uns, so gut wie es möglich war, zusammen, um das Lied immer und immer wieder zu singen, das Schweigen zu durchbrechen und uns nicht allein gelassen zu fühlen und unsere Angst zu überwinden. »(Sara, eine der Organisatorinnen.)«
2-folgende. Das Auftauchen der Obdachlosen C.
Als wir in der Via Goito ankamen, stießen wir auch die Obdachlose C. Normalerweise lebt sie im Univiertel zwischen der Piazza Verdi und der Piazza XIII Agosto. Dort traf man sie vor dem Lockdown öfters in einigen Lokalen, wo sie hinging, um ein Schläfchen zu halten. Wir drängten sie, sich hinzusetzen, boten ihr zu essen und zu trinken an, gaben ihr etwas Geld und wechselten einige Worte… Geringe individuelle Handlungen, zufällig und unstetig, was uns aber zusammenschweißte.
Dieses Wiedersehen bewegte uns sehr.
Als die öffentlichen Plätze geschlossen wurden, die Straßen leer waren, sind die Marginalisierten, die Dropout, die Homeless in einen tiefen Brunnen gefallen. Nicht dass sie früher besser zwischen Gewalttätigkeit und Stadtverboten leben konnten. Jetzt sind sie aber vom Grill in den Hochofen gesteckt worden. In der Anfangsphase des Lockdown, als der Suff beim #Ich bleibe zuhause einen Höhepunkt erreichte, wurden die Stadtpolizisten Bolognas beim Verteilen von Strafzetteln an Obdachlose gesehen, «weil diese nicht zuhause waren».
Die C. brach an einem Ausgang der Via Goito zusammen. Ihr Zustand war verwirrt, sie brabbelte nur noch, war äußerst schmutzig und nicht in der Lage, sich zu erheben. Wir berieten uns und riefen dann die Associazione Piazza Grande an, welche das Help Center informierte. Hoffen wir, dass es ihr von Nutzen war.
3. Auf welcher Grundlage haben sie unsere Kinder im Haus eingesperrt?
Zwei Tage später, am 23. April, hat einer von uns beschlossen, ein Treffen zwischen dem kleinsten unserer Kinder und einem Schulkameraden zu arrangieren. Es sollte im Herzen Bolognas, in der Libreria Giannino Stoppani stattfinden. Die beiden Siebenjährige haben sich schon seit zwei Monaten nicht mehr treffen können. Mit Handschuhen und einer Maske organisierten sie eine gleichzeitige Lesung und blätterten in zwei Exemplaren desselben illustrierten Buches, um auf Distanz zu bleiben. Es war der erste Moment der Sozialisierung, der in einem Lockdown-Regime wiederhergestellt wurde. Die beiden Kinder verließen die Bibliothek und jagten sich vor dem Denkmal für die Gefallenen auf der Piazza del Nettuno.

Unter den Blicken Dutzender Partisanen und Partisanen fand eine bewegende Befreiungsszene statt: Rückkehr ins Freie, Wiederherstellung des Rechts auf Raum für die eigene Kindheit. Dieser Moment der Freiheit ist vorzugsweise gegen die gerichtet, die seit Monaten perfekt salbadernd, die Kinder bei der potenziellen Tötung ihrer Großeltern ausmalten; die schon vor der Pandemie die Kinder definierten als
„schädliche biologische Amplifikatoren, die sich mit für sie harmlosen Viren infizieren, sie replizieren und logarithmisch vermehren und schließlich mit grausamen Folgen für den Körper eines Erwachsenen übertragen“ (Roberto Burioni, 31.03.2019);
und an diejenigen, die diesbezüglich soziale Panik verbreiteten, die Eltern dazu drängten, sie in der Wohnung einzusperren und ihnen in einigen Fällen, sogar für sie wichtige medizinische Untersuchungen aufzuschieben.
Die von Kindern ausgehende Gefahr wurde für bare Münze genommen, obwohl die Daten zum Verhalten von Covid19 immer noch widersprüchlich sind. Am 21. April machte der Virologe der Universität von Padua, Andrea Crisanti, der die Studie zum Ausbruchsherd in Vo ‚Euganeo durchführte, bekannt, dass in dieser Gemeinde «Kinder unter 10 Jahren, auch wenn sie mit infizierten und infektionsfähigen Menschen leben, sich nicht infizieren. Und wenn sie negativ sind, infizieren sie also nicht ». So fasst ein auf der Website der Universität von Padua veröffentlichter Artikel die Entdeckung zusammen:
„[…] Keines der 234 Kinder unter 10 Jahren, von denen 13 in Kontakt mit Positiven lebten, die die Infektion übertragen können, wurde positiv auf das Virus getestet. Diese Daten stützen die Hypothese (die noch überprüft werden muss), dass die jüngsten möglicherweise immun gegen Infektionen sind, da sie möglicherweise noch keine ausreichende Anzahl von Rezeptoren (Ace2) entwickelt haben, die das Tor für das Virus bilden. „
Dies bedeutet nicht, dass Kinder in absoluten Zahlen nicht infiziert werden können, wie es anderswo festgestellt wurde, oder in sehr seltenen Fällen krank werden können, aber zumindest muss die Annahme als Hypothek aufgefasst werden, dass sie privilegierte Überträger des Virus zum Nachteil von Erwachsenen sind. Dies sagen zumindest die Ergebnisse der 234 in Vo ‚getesteten Kinder aus.
Kurz gesagt, viele Aspekte der Übertragung dieses Virus sind noch unklar, und es wäre wirklich abwegig, wenn sich eines Tages herausstellen würde, dass wir die kleinen Kinder mit einer Panikmaßnahme umsonst getrennt haben. Da sie nicht Teil der produktiven Bevölkerung waren, konnten sie eingesperrt bleiben, während eines der Elternteile möglicherweise aufgrund der staatlichen Ausnahmen vom Ateco-Kodex1 (praktisch Selbstzertifizierungen von Unternehmen) weiterarbeiten musste, unabhängig von einer wirksamen Kontrolle der Gesundheitssicherheit.
Inzwischen haben in Dänemark Kindergärten und Kindergärten en plein air wiedereröffnet, und es wird auch in der Emilia-Romagna vorgeschlagen. Etwas bewegt sich. Nach zwei Monaten wahnhafter Dämonisierung der Natur und Apologie für häusliche Selbstabgeschlossenheit, kehren wir schließlich zu der banalen Beobachtung zurück, dass es epidemiologisch gesehen im Durchschnitt sicherer ist, draußen zu sein als drinnen.
Wir sind davon überzeugt, dass eine Segregation in der Wohnung von Jungen und Mädchen vermieden werden könnte, und damit die psychischen Leiden, die diese Inhaftierung bereits verursacht hat und im Laufe der Zeit noch weiter verursachen wird.
Wir erinnern daran, was wir alles machen mussten – von Petitionen bis zu offenen Briefen -, um mit unseren Kindern einen armseligen Spaziergang machen zu können. Die Regierenden wie auch die Bürgermeister machten ein böses Gesicht, um den Kindern die „Stunde frische Luft“ zu gewähren, welche die an Paranoia leidenden Nachbarn von den Balkonen aus mit Beschimpfungen quittierten… Wer wird für all dies bezahlen?
Denken Sie daran, dass Sie kämpfen, Petitionen einreichen, Briefe öffnen und so weiter mussten, um mit Kindern einen Kleinspaziergang zu machen. Herrscher, Gouverneure und Bürgermeister haben ein wildes Gesicht gemacht, um „die Stunde der Luft“ zu stigmatisieren, die Kindern gewährt wird. Nachbarn haben gelernt, beleidigte Eltern von den Balkonen zu lernen … Wer wird das alles bezahlen?
4. Die härteste und letalste Epidemie
Wir wurden anonym darüber informiert, dass unbekannte in der Nacht vom 24. zum 25. April an wichtigen Straßenschildern und Gedenksteinen des Bologneser Widerstands Plakate angebracht haben.

Die Aktion wurde in den Stadtvierteln Navile, Porto-Saragossa und San Donato Vitale durchgeführt. Dazu bekannte sich eine«Brigade Violet Gibson». Der Name dieser Gruppe tauchte schon in Cirenaica, bei der zweiten Umtaufaktion der Piazzetta degli Umarells in Piazzetta delle Partigiane (kleiner Platz der Partisanninen) auf. Dieses Mal sah man ebenfalls ein Logo.
Die anglo-irische Frau versuchte 1926 Mussolini mit einer Pistole zu töten, was aber nicht gelang, da die Kugel nur die Nase streifte.
Auf den Plakaten standen Losungen wie:
«(Covid)1919 – 2020
Der Faschismus ist die längste und letalste Epidemie.
Impfstoffe gibt es keine.
Gruppenimmunität erreicht man
DURCH WIDERSTAND.»

5. Der reaktionäre Gedanke und der Gedanke der Befreiung
König Karl I: Die Demokratie Mr. Cromwell, ist eine griechische Absurdität, die auf der verrückten Idee fußt, dass sich in völlig gewöhnlichen Menschen ein außergewöhnliches Potential vorfände.
Oliver Cromwell: Diese gewöhnlichen Menschen, mein Herr, sind jene, die bereitwillig ihr Leben für die Verteidigung Ihres Königreiches geben würden. Und weil sie gewöhnlich sind, zögen sie es vor gefragt und nicht kommandiert zu werden.
Cromwell, Regia Ken Hughes, Columbia Pictures, 1970

Wenn dich ein Gefühl der Fassungslosigkeit überkommt, ist es angebracht, zu den Grundlagen zurückzukehren. Für uns sind sie die Partisanen, Widerstandskämpfer, die Antifaschisten, die instinktiv oder ihrer Ideale wegen, die richtige anstatt der einfachen Wahl trafen. Obwohl es unter ihnen Differenzen gab, sogar erbitterte Spaltungen, die sowohl während als auch nach dem Befreiungskampf Konsequenzen haben würden. zogen diese Männer und Frauen mit ihrer gemeinsamen Wahl trotzdem eine Spur in der Geschichte, die immer noch sichtbar ist.
In dieser verlängerten Quarantäne konnten wir eine sehr breite Palette von Meinungsverschiedenheiten über die auferlegten und folglich über die während des Lockdown „all’italiana“ angenommenen Verhaltensweisen registrieren. Gerade weil es fast so viele Grade von dem Dpcm (d.Ü.: Ministerialdekret) und ihren Interpretationen gibt wie Menschen, ist es notwendig, deutlich zu sein. Mit anderen Worten, es sind zwei Grenzlinien zu ziehen: Eine zwischen Akzeptanz und Ablehnung der Erzählung, dass es gefährlicher sei, draußen zu sein als drinnen, und man deshalb man nur zur Arbeit gehen und Lebensmittel kaufen kann; die andere verläuft zwischen Annahme oder Ablehnung der Erzählung, dass „Italiener“ von Natur aus ein undiszipliniertes und sich selbst verletzendes Volk sind, das die Sicherheitsabstände nicht einhalten kann, ohne dass sie eine Ordnungskraft dazu zwingt.
Diese beiden Grenzlinien beziehen sich jeweils auf zwei wesentliche Unterscheidungen:
1. Die Akzeptanz oder Ablehnung des Schlitterns von «Zuhause bleiben» zum «Im Hause bleiben» . Es vollzog sich nur bei uns, nachdem wir Spanien imitierten, so drastisch. Das heißt auch: Die auferlegten Bedingungen des Hausarrests verinnerlicht oder hingegen an den Absender zurückgeschickt zu haben. Es spielt weniger eine Rolle, ob ihre Annahme aus Überzeugung oder Resignation geschieht. Die Differenz verläuft zwischen einer sklavischen Haltung, die bereit ist, die Strafe hinzunehmen oder sich als Subjekt einer exzessiven und ungerechten Abgeschiedenheit zu denken und sich somit konsequenterweise zu benehmen.
2. Jene zwischen reaktionärem Gedanken und dem Gedanken der Befreiung. Der reaktionäre Gedanke ist die Vorstellung, dass die Menschen zu rekrutieren sind, unterdrückt und kontrolliert werden müssen, da sie aus ihrer Natur heraus, sich anders nicht richtig verhalten können. Das bedeutet auch, dass sie sich, ohne Diskussion, zu fügen haben. Man folgt einem transzendierenden Modell, das auf Tradition, die Anweisungen des Vorgesetzten… oder die Meinung der Experten verweist. Im Gegensatz dazu werden Kräfte gesammelt, die eine Verwandlung derer zum Subjekt versuchen, die als Objekt betrachtet werden. Dies ist die Haltung derer, welche die Menschen zum Wandel und zur Verbesserung für fähig halten, eine die für die gesellschaftlichen Beziehungen Verantwortung trägt, kollektive Subjekte schafft, die sich gegenseitig verantwortlich fühlen.
Es ist immer noch die gleiche auf dem Boden gezogene Linie. Heute wie auch vor siebzig Jahren. Völlig unerwartet stehen wir alle vor dem Spiegel – kann sein, nach einem als Libertäre oder Demokraten oder auch als Revolutionäre verbrachten Leben. Doch angesichts des nicht nur beschworenen, sondern auch der Gefahr eines drohenden Todes, gibt es Leute, die bereit sind, über all das, bis vor Kurzem gedachte – oder was man zu denken glaubte – hinweg zu gehen. Wir hatten keine Vorstellung davon, welche intellektuelle und politische Paste wir gemacht haben, bis wir uns der realen Gefahr gegenüber sahen. Freilich gab es welche, die Einschränkungen und Hausarreste für die Massen, die Diktatur der Exekutive und Polizeikontrollen akzeptierten oder auch, ohne zu zögern, jubelnd den durch das Imperium verordneten Maßnahmen zustimmten.
Vielleicht wiederholen sie, dass dieser Notfall nichts mit anderen zu tun hat, mit denen, die wir in früheren Kampfzyklen kritisiert haben, und deshalb nicht verglichen werden können; dass dies ein beispielloser Fall sei und „nichts mehr so sein wird wie zuvor“ … Mit anderen Worten, um ihre Inkohärenz zu rechtfertigen. Und wenn dies menschlich und psychisch verständlich ist, kann es nicht – und kann niemals – in politischer Hinsicht verständlich sein.
6. Dieses „nichts bleibt wie es früher war“ ist eine ahistorische Hyperbel und ein ideologisches Alibi
Natürlich ist es wichtig, im Foulcault’schen Sinne, die Risse zu erkennen, wo die Gewohnheit nichts anderes als Kontinuität begreift, jedoch ist es auch notwendig die Kontinuität darzustellen, wo der Schock lediglich Risse zeigt.
Ob Schock… oder Bauernschläue: Der Ausspruch „nichts wird mehr so wie früher“ ist tatsächlich sehr nützlich, wenn man, ohne dafür bezahlen zu müssen, das Gegenteil von dem sagt, was man früher behauptete.
Es ist gerade mal ein Jahrhundert her, dass viele dachten, dass der „Große Krieg“ notwendig war, weil er „allen weiteren Kriegen ein Ende gesetzt hätte“. Während die Belle Epoque rasch verging, proklamierten die historischen Avantgarden die totale Verweigerung der Alten Welt. Dann brach erneut der Krieg aus und umso deutlicher viel die Zäsur aus und man sagte: « Nichts von dem, was bisher geschrieben und gedacht wurde, hat noch einen Wert, weder ein Konzept, noch eine Kategorie. Es ist viel nützlicher, die neue entstehende Welt zu erklären».
Der Kampf um einen Platz in dieser Welt, die FOMO – Fear Of Missing Out – war derart, dass verschiedene Sozialisten und Anarchisten Interventionisten wurden. Sie sprachen bisher immer von proletarischem Internationalismus, zumindest von der Brüderlichkeit zwischen den Völkern, jetzt aber predigten sie dem Proletariat ihres Landes die Notwendigkeit, der Anordnung der herrschenden Klassen Folge zu leisten und sich gegenseitig abzuschlachten. Sie versteckten ihre Inkohärenz hinter „revolutionärem“ Anschein und heute hinter dem, was wir als Notstand bezeichnen würden.
Diese Tendenzen begannen sich nach dem Ersten Weltkrieg abzuzeichnen, als revolutionäre Exsozialisten und Exgewerkschafter sich dem Faschismus anschlossen. Sie erwiesen sich als wahre Epidemie von „Wendehälsen“ – besser der Purzelbäume – , die im Namen einer viel größeren Wende geschah. So beschreibt es Emilio Lussu in seinem nicht zu umgehenden Werk, Marcia su Roma e dintorni (Der Marsch auf Rom und Umgebung).
Man könnte, immer unter der zyklischen Annahme, argwöhnen, dass «nichts so wie vorher ist». Totale Diskontinuitäten wurden aber nie gesehen, jede Diskontinuität ist notwendigerweise partiell. Manchmal ist nur die „Wende“ erkennbar: Sie wird als Moment wahrgenommen, man stößt darauf, bleibt aber an der Oberfläche der Ereignisse, während unter den Füßen und im Geist die Strukturen gleich bleiben.

Auch eine reale Diskontinuität, zweifelsfrei in ihrem Erscheinen, wird im Laufe der Zeit und nach den „Schocks der Berichterstattung“ Gegenstand eines retrospektiven und weitreichenden Blicks. Sie findet nun ihre Einordnung in der turbulenten „Kontinuität“ des umfassenderen historischen Verlaufs. Das geschieht bei den Kriegen, den großen Pestilenzen und auch den Übergängen von einer Produktionsweise zur anderen.
Um auf die vorherigen Beispiele zurückzukommen: Der Futurismus ist heute Teil der Tradition. Er steht zusammen mit der griechischen Lyrik und Dante in den Lehrplänen. Einhundertzwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, der jedes Konzept davor hätte bereinigen sollen, verwenden wir weiterhin Ockhams Rasiermesser und Syllogismen und öffnen die Werkzeugkästen von Platon, Tomas von Aquin, Spinoza, Marx oder Nietzsche, und wir befragen die große Poesie und Literatur der vergangenen Jahrhunderte, um Antworten auf die Gegenwart zu finden. Während des Coronavirus-Notstands wurde Manzoni wie nie in den letzten Jahrzehnten zitiert.
Auch die radikalsten Revolutionen haben keine totale Diskontinuität, denn ihre Protagonisten sind in der vorherigen Welt aufgewachsen. Und weil die neue Ordnung von der vorherigen Welt Strukturen, Mentalität, „Schulden“ jeder Art erbt, gilt es bald zu bezahlen. Als Beispiel sei der zaristische Polizeiapparat wie auch die Ideologie eines Großrussland angeführt, die versteckt im Chaos der Oktoberrevolution überlebten. Die Konsequenzen sah man gleich darauf und sieht sie immer noch bis heute.
An der Feststellung, dass nach dem Corona-Notstand «nichts mehr so sein wird» wie früher“, haben wir erhebliche Zweifel. So schrieb die Assoziation Re:common:
«Wir könnten auch wieder lesen,, was nach dem Platzen der digitalen Ökonomieblase zu Beginn der 2000er Jahre, oder nach der Finanzkrise von 1997 der asiatischen Tigerstaaten, oder nach dem schwarzen Montag der Wall Street 1987 geschrieben wurde. Vermutlich stoßen wir auf ähnliche, wenn nicht gleiche Proklamationen. Aber was geschah nach all diesen Krisen? Es setzte sich die langsame Transformation der Unterwerfung fort, die von dieser „Megamaschine“ Globalisierung seit Jahrhunderten ausgeht, abzüglich einiger Erschütterungen. Man wird sagen, gut, aber das ist eine Gesundheitskrise, die entwickelt sich nicht aus finanziellen, noch ökonomischen oder sozialen Phänomenen. Nun gut, aber wenn erst mal ein Heilsweg gefunden ist, auch wenn das mehr als ein Jahr dauern könnte, werden die Prozesse dieser Megamaschine, wenn auch mit kleinen Nachjustierungen, weiterlaufen. Vermutlich bis zum nächsten Virus und dem konsequenten Lockdown. Wenn wir uns die Grundtrends des langfristigen Prozesses ansehen, […] in Wirklichkeit pointiert die jetzige Systemkrise sie alle und verstärkt sie auch noch, ohne besondere Brüche hervorzurufen.»
Wir fügen eine weitere Anmerkung hinzu, die nahe liegend sein sollte, es aber offensichtlich nicht ist: Der politische Umgang mit einem Notstand, bar jeglicher Geschichte, von irgendwelchen unerwarteten Herrschaften vorangetrieben, kommt nicht aus dem Nichts heraus. Um sie zu bewältigen braucht es existierende Institutionen und Regierende, die auf ihren Plätzen sind, weil eben gewisse Ereignisse in einem gegebenen Kontext und einem gegebenen System geschahen und keine anderen.
Der Umgang mit der Krise ist also nicht ohne Zusammenhang mit der politischen Geschichte des Landes zu sehen: Er geschieht im Rahmen der Bedingungen, welche die politische Geschichte geschaffen hat. Die politische Geschichte Italiens erweist sich als eine ungeheure Anhäufung von Notstandssituationen und jede einzelne präsentiert sich als eine Elementarform der Ausübung politischer Macht in Italien.
Wer heute meint, dass sich dieser Notstand derart von den anderen unterscheidet, um den Polizeistaat zu rechtfertigen, ist nicht unser Weggefährte und ist es wohl auch nicht in nächster Zukunft. Dabei spielen ihre Vergangenheit und ihre Medaillen keine Rolle: Wer nicht in der Lage ist, die absurden und faschistoiden Maßnahmen zu kritisieren, denen die Bevölkerung unterworfen wurde, wie auch die Kriminalisierung ungefährlichen Verhaltens, die er zu erleiden hatte, zeigt, dass er bereit ist, alles zu akzeptieren, wogegen er sich gestellt hatte.
Und es geschieht leicht, wie vor einem Jahrhundert, dass wir verschiedene „Genossinnen“ und „Genossen“ bei erzreaktionären Positionen wieder finden können. Ob unbewusst oder heuchlerisch, das macht keinen Unterschied. Aber es wird leider geschehen. Wir sehen das täglich mit eigenen Augen in dieser verlängerten Quarantäne.
7. 10 feste Stichpunkte für die Zukunft
Dies werden Tage der Ungewissheit sein, wird uns gesagt. Es handele sich um eine neue, bisher nie da gewesene Situation, die alle Präferenzen weggefegt hat. Man muss sich Zeit nehmen, um darüber nachzudenken. Es ist Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Jetzt wo man die Ärmel aufkrempeln muss, gilt es auf den günstigen Moment zu warten und ohne Getöse an dem Rummel vorbeizuziehen.
Als der Abend dämmerte, blickten wir vom Sabbiuno auf die Schlucht und sagten uns, dass wir wie immer Zweifel kultivierten, und wir befragten unsere Widersprüche. Doch zur gleichen Zeit entdeckten wir am Horizont die Umrisse einiger Gewissheiten. Wir fühlten, dass wir sie sofort beim Namen nennen müssen, so wie der Matrose der aus dem Ausguck auf dem Hauptmast «Land in Sicht» ruft.
1. Wir lehnen die kommende Verordnung des Präsidenten des Ministerrats ab, die uns weiterhin zwingt innerhalb der Gemeinde unseres Wohnsitzes zu bleiben und bei „begründeten Ortswechsel“ eine eigenste ausgefüllte Bescheinigung zu unterschreiben. Deshalb müssen wir sofort darüber nachdenken, wie wir auf eine Verlängerung dieser Maßnahme reagieren.
Der Artikel 16 in der italienischen Verfassung garantiert, gerade als Antwort auf die faschistischen Praktiken polizeilicher Verbannung, dass „jeder Bürger sich innerhalb des nationalen Territoriums frei bewegen und aufhalten kann. Einschränkungen werden generell aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit durch Gesetz geregelt.“ Zur Zeit ist der einzige „gesundheitliche Grund“, der meine Bewegung im Land einschränken kann, die Notwendigkeit zu anderen Personen außerhalb der Wohnung, die gewisse Distanz einzuhalten. Darüber hinaus gibt es keinen gesundheitlichen Grund, zur Diskriminierung der Beweggründe, die mich öffentlichen Raum betreten lassen, weil ich mich, die Abstandsregel einhaltend, mit einem Freund treffe, weil ich mit einem Arbeitskollegen eine Sitzung abhalte oder auch Brenneseln zur Zubereitung eines Gebäcks pflücke.
2. Seit Beginn des Notstands und des ersten Dekrets des Ministerpräsidenten haben wir Zeugnisse und Hilferufe von Leuten gesammelt, die ungerecht oder gesetzwidrig sanktioniert wurden. Beigefügt wurden Belege des schikanösen Verhaltens seitens der Ordnungskräfte. Ihr Ermessensspielraum wurde durch die letzten ungenauen Verordnungsnormen bestimmt, die schlecht abgefasst waren, die nicht einmal deutlich machten, wann und wie man gegen sie verstößt. So wurden gesalzene Geldstrafen über Personen verhängt, die eh schon in schwere ökonomische Nöte durch die aktuelle Situation geraten waren. Es bedarf daher der Einrichtung von Rechtsanwaltskollektiven, mit dem Ziel, all diese Sanktionen seitens der betreffenden Behörden, zu annullieren.
3. Wir sind gegen eine Wiedereröffnung des Schuljahres im September, das unter der Prämisse einer Didaktik der Distanz steht. Fünf Monate sind es bis dahin, um sichere Handlungsmöglichkeiten zu erforschen und auszuprobieren, um das Klassenzimmer wieder betreten zu können. Wir können verlangen, dass diese Zeit nicht vergeudet wird. Halbe Lösungen in naher Zukunft zu akzeptieren könnte die Öffnung zu einer Neustrukturierung der Didaktik bedeuten, die das Schulleben selbst und auch das Aufrechterhalten der Ganztagsschule gefährden würde.
4. Wir können uns nicht mehr damit einverstanden erklären wie das Leben und die Umstände sog. „nicht produktiver“ Personen hintanstellt, ja geradezu in den Verordnungen zum Notstand vergessen werden. Die Gesundheit älterer Menschen und Kinder zu schützen, heißt auch Vorsorge zu treffen, dass sie Umgang und Alternativen zur häuslichen oder lokalen Isolation haben können. Das gleiche gilt für weitere Diskriminierte: Menschen ohne festen Wohnsitz, Wohnungslose, psychisch Erkrankte, Häftlinge…
5. Wir wollen nicht, dass die Besonderheiten der einzelnen Territorien untergepflügt und uniformiert werden, so als seien sie lediglich eine geometrische Bezeichnung, ein gedanklicher Begriff und nicht ein Ökosystem. Die Lombardei und die Basilikata können nicht auf gleicher Weise behandelt werden. Das gleiche gilt für eine Metropole und kleine Ortschaften, für die Halbinsel und die kleinen Inseln, für Milano und Caprera. Es ist absurd, Anordnungen für alle italienischen Bibliotheken zu erlassen, oder für Formen öffentlicher Verkehrsmittel, vom Stadtbus, bis zum Landbus, der Dorfflecken mit fünfzig Seelen anfährt.
6. Wir müssen uns organisieren, um schnellstmöglich die Möglichkeit physischer Treffen einer politischen und kulturellen Tätigkeit zu garantieren. Abzuwarten, dass die Situation von oben her entkrampft wird, würde ein langes und ungesundes Abwarten nach sich ziehen. Sich auf Videokonferenzen, -versammlungen, -veranstaltungen zu verlassen, würde das Warten nur verlängern. Wir müssen deshalb neue Orte und Modalitäten finden. Sie müssen uns Treffen erlauben, die sicher sind, im Freien, auf der Straße, öffentlichen Plätzen stattfinden können. Es gilt jede Möglichkeit zu nützen, um Lesungen abhalten, diskutieren, zusammen sein zu können.
7. Das Problem der Sicherheit am Arbeitsplatz ist nicht erst in Coronazeiten entstanden, sondern ihre Präsenz sollte die Gelegenheit nützen, es schließlich aus einer Position der Stärke angehen zu können. Alleine in Bologna haben die Firmen in einer Ausnahmesituation gearbeitet. Sie warteten darauf, dass der Präfekt seine Zustimmung zu den 8ooo Anträgen auf eine Zulassungserlaubnis gibt. Wir sprechen hier von einer Stadt, die mehr oder weniger vom tertiären Sektor lebt(e), also von Universitäten, Tourismus etc… In der gesamten Region sind es 28ooo Firmen. Man kann nicht hinnehmen, dass solch wichtige Entscheidungen vom Präfekten getroffen werden.
8. Die vergangenen zwei Monate haben sich aktive Solidaritätsnetzwerke der gegenseitigen Hilfe oder der christlichen Caritas gebildet. Sie widmen sich derer, die – wie gewöhnlich – den Notstand teurer bezahlen als andere. Diese Hilfe ist wertvoll und wer sie ausübt verdient die höchste Hochachtung. Dennoch sollte erinnert werden, dass konfliktlose Solidarität unvollständig bleibt und Gefahr läuft Mildtätigkeit oder eine Ersatzhandlung zu werden. Zu den diesbezüglichen Fragen wurden gerade jetzt ausgezeichnete Erörterungen vorgelegt, die es in den kommenden Zeiten, in ihrer Radikalität zu erfassen und zu vertiefen gilt
9. Eine Konsequenz des Lockdown war die Verringerung des Verbrauchs der fossilen Brennstoffe. Eine Menge Leute haben erfahren, wie es ist, etwas sauberere Luft einzuatmen. Der Zusammenhang von einer Ansteckungshäufigkeit und ihrem Verschmutzungsniveau ist bis jetzt zwar nur eine Hypothese, die aber dennoch fundiert scheint. Das gleiche kann man von dem Zusammenhang von Epidemie und Intensivzucht, Entforstung, Zerstörung der Lebensbedingungen und Klimawandel sagen. Aus all den diesbezüglichen Überlegungen kann eine Bewegung gegen die Erderwärmung und des radikalen Umweltschutzes neue Lymphe und neue Argumente gewinnen. Es darf deshalb kein Zögern geben, wenn es um neue Initiativen geht, die sich der Notwendigkeit von Konsumreduktion, der Reduktion fossiler Brennstoffe und des Fleischkonsums widmen.
10. Das «Smart working», mit der Ausrede der Bequemlichkeit für die Arbeiter*innen wird verteidigt, implementiert und aufgezwungen werden. Es wird bleiben. Und wenn faktisch auch erwiesen wurde, dass viele Wechsel von einer Stadt zur anderen in Höchstgeschwindigkeit nicht unbedingt notwendig sind, um Geschäfte zu realisieren, sind sie auf unterer Ebene der Arbeitshierarchien eine konkrete Gefahr. Wir könnten erleben, dass jegliche kollektive Beziehung zwischen den Werktätigen sowie den Arbeitenden und dem Unternehmen gekanzelt werden. An ihre Stelle werden dann individuelle Beziehungen treten, die für die Unternehmensleitung wesentlich vorteilhafter sein werden. Faktisch handelt es sich um einen Rückgriff auf die ähnlich gelagerte Situation von Heimarbeit im Akkord – und all der damit verbundenen Ausbeutung.

8. Rückkehr vom Sabbiuno
Nachdem wir den Weg nahmen, um die eingravierten Namen der Toten auf dem Sabbiuno zu lesen, standen wir danach am Rand der Schlucht. Zuerst richtete sich der Blick ins Grauen unter uns, dann aber hoch zu den Hügeln am Horizont.
Die Geschichten von Partisanen wurden verfilmt und literarisch umgesetzt. Tausende Echos von ihren Legenden, die immer noch unsere geistige Nahrung sind. Unsere Vorstellung muss Fleisch und Blut annehmen und zu menschlichen Beziehungen und Kontakten werden. Zum Herzen jenseits des Hindernisses oder besser jenseits des Abgrunds.
Wir haben die milde Luft des Abends mit vollen Lungen eingeatmet. Es wurde Zeit in die Stadt zurück zukehren. Zeit der Befreiung.
1. Codice ATECO: Codice = amtl. Verzeichnis, ATECO = classificazione delle attività economiche ATECO. Es handelt sich um eine Liste beim staatl. statistischen Institut (Istat), das die ökonomischen Aktivitäten in ihrer makroökonomischen Größe alphanumerisch erfasst.
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Übersetzung Günter Melle