Ein Vater, ein Sohn, und die Befreiung vom Nazifaschismus
Adelmo Cervi erzählt aus der Geschichte und vom Kampf für seine Ideale
Inschrift Titelbild: Hier in diesem Haus und auf diesem Land lebten die sieben Geschwister Cervi nach den Grundsätzen ihres Lebens. Auf diesem Bauernhof wurden sie verhaftet und dem Tod überantwortet.
Un padre, un figlio, la Liberazione: Adelmo Cervi racconta la Storia e la lotta per gli ideali
Ein Vater, ein Sohn, la Liberazione:
Adelmo Cervi erzählt aus der Geschichte und vom Kampf für die Ideale
Was als grausames Gemetzel in die Geschichte einging, meistens eingekeilt zwischen den unzähligen von den Nazifaschisten verübten Massakern und gefühllos mit einigen sterilen Schweigeminuten bedacht, wurde von einem Kämpfer, einem Befreier, vor allem aber von einem Vater erzählt, dem sie sieben Kinder entrissen haben.
Alcide Cervi, Bauer und Partisan, pflegte zu sagen:
„Bei Gedenkfeiern haben sie mir öfters gesagt, Du bist eine Eiche, an der sieben Äste gewachsen sind. Sie wurden abgesägt, aber die Eiche ist nicht gestorben. Nun gut, die Figur ist vielleicht schön, und manchmal weine ich auch bei solchen Anlässen. Aber sehen Sie sich besser das Saatgut an. Denn die Eiche stirbt ab, und sie wird nicht einmal gut für das Feuer sein. Wenn Sie meine Familie verstehen wollen, sehen Sie sich das Saatgut an. Unser Same ist das Ideal im Kopf eines Menschen“.
Die antifaschistischen Ideale der Gleichheit, der Freiheit von Unterdrückung und Befreiung der Unterdrückten waren diejenigen, die Vater Alcide an seine 9 Kinder weitergab, auch an die von dem Massaker verschonten Schwestern Diomira und Rina. Ihre Mutter, Genoeffa Cocconi, war eine Frau tiefen katholischen Glaubens, vor allem aber antifaschistisch. Die Familie Cervi, betrieb in den zwanzig Jahren der Mussolini-Periode Landwirtschaft in der Emilia-Romagna. Sie waren Bauern und Viehzüchter, die hart und mit solchem Einfallsreichtum arbeiteten, dass sie den ersten Neid entfesselten, der angesichts ihres konkreten antifaschistischen Engagements und ihrer Teilnahme an den Volksaufständen die Aufmerksamkeit der Faschisten auf sich zog.
Trotz der Durchsuchungen und Verfolgungen erwies sich die Familie bis zum Angriff der faschistischen Schwadronen auf ihren Bauernhof immer als einig und vereint in der Verteidigung und im Kampf für die antifaschistischen und kommunistischen Ideale, die dem humanitären Sozialismus eigen sind. In der Nacht des 25. November 1943 umzingelten die Faschisten das Haus der Cervi, die sich zu verteidigen versuchten, bis ihnen die Partisanenmunition ausging. Leider misslang den sieben Brüdern die Abwehr des militärischen Angriffs, und sie waren gezwungen, sich zu ergeben. Sie wurden alle zusammen mit ihrem Vater Alcide im Gefängnis von Reggio Emilia eingesperrt.
Museum: Die sieben Brüder Cervi in Gattatico
Im Morgengrauen des 28. Dezember 1943 wurden die sieben Brüder Cervi, zusammen mit dem Patrioten Quarto Camurri erschossen. Paolo Nicolai schreibt: „Gelindo schrie – Ihr tötet uns, aber wir werden niemals sterben. Darauf kam die Salve [1]. Sieben der neun Geschwister Cervi starben. Als sie fielen, war Ettore zweiundzwanzig, Ovid fünfundzwanzig, Augustinus siebenundzwanzig, Ferdinando zweiunddreißig, Aldo vierunddreißig, Antenore neununddreißig, Gelindo zweiundvierzig [2]„. Nachdem es seinem Vater Alcide, der vom Schicksal seiner Kinder nichts wusste, gelungen war, auf gewagte Weise aus dem Gefängnis zu fliehen, hörte er die unsägliche Nachricht von seiner Frau Genoeffa, die bei einem weiteren zerstörerischen Angriff der Faschisten auf ihren Bauernhof, in dem noch Frauen und Kinder lebten, einen Herzinfarkt erlitt, dem sie in monatelanger Qual erlag. Der Ehemann und Vater Alcide stand bis 1970 noch für die Resistenza mit dem, was von seiner Familie, seinem Hof und den Aktivitäten übrig geblieben war: Heute ist dieser Hof eine wertvolle Bastion der Freiheit, da er zu einem Museum des Widerstands, des Antifaschismus und der Landwirtschaft geworden ist.

Zum Buch
Um die Geschichte dieser Märtyrer der Befreiung zu erzählen, die der heutige neofaschistische Revisionismus auf eine historische Verschwörung reduzieren möchte und auf eine verbreitete nebulöse Ignoranz zurückführt, hat der überlebende Neffe Adelmo Cervi das Buch „Ich, der dein Herz kennt – Geschichte eines Vaters, der Partisan war – Erzählt von seinem Sohn“ vorgestellt, das mit Giovanni Zucca zusammen geschrieben wurde [3]. Das Buch wurde von beiden in der Sektion Antonio Gramsci, der Kommunistischen Partei in Sassari, vorgestellt.
Adelmo Cervi war erst 4 Monate alt, als er zum Waisen wurde. Er ist der Sohn von Verina Castagnetti und Aldo Cervi, dem Drittgeborenen der Cervi-Brüder und von den Faschisten erschossener Partisan. Vom Anfang des Buches an hat Adelmo Cervi die Fähigkeit, Historie so zu beschreiben, als wäre sie eine Geschichte: Mit seiner direkten Sprache, die sich zwischen historischen Perlen, politischer Analyse, schmerzhaften Erinnerungen und entspannenden Intermezzi entfaltet, gelingt es ihm immer wieder, die Aufmerksamkeit groß und die Debatte lebendig zu halten.
Die Würde, aus der Erfahrung zu sprechen, wurde Cervi auf tragische Weise durch die Geschichte verliehen: Der Preis, so hoch wie unvorstellbar, war das Leben ihres Vaters und der anderen 6 Onkel, die wegen ihrer kommunistischen Ideale getötet wurden, und die sie zu den Partisanenkämpfen geführt hatten. Adelmo ist ihnen bis heute treu geblieben.

„Mein Vater wurde als praktizierender Katholik Kommunist, der sein Bewusstsein selbst und sogar noch im Gefängnis bildete. Nach seiner Freilassung 1933 widmete er sein Leben der Befreiung sowohl vom Nazi-Faschismus als auch von jeder Form der Unterdrückung. Aldo wurde Kommunist gerade gegen die Tyrannei, die jede Form von Widersprüchen verhindert: Tatsächlich sind es die Herrschenden, die aus Prinzip und jenseits der politischen Zugehörigkeit der Machthaber entscheiden, wer frei sein kann und wer ein Gefangener ist, wer leben und wer sterben soll“
Wie Adelmo Cervi erklärte, wurde mein katholischer Vater ein kommunistischer Freiheiskämpfer, der immer wieder einen Satz wiederholte: „Ich habe verstanden, dass man mit Gebeten die Ungerechtigkeiten der Welt weder ändern noch auflösen kann.“
Das historische Gedächtnis seines Sohnes ist auch präzise in der Erinnerung an die Vorläufer, die zur Geburt dessen führten, was sich nach Antonio Gramsci als faschistische ‚Antipartei‘ [4] darstellte: „Die Unterdrückung begann nicht mit dem Nazi-Faschismus, der sie konkret in die rechtliche und legalistische Sichtweise einführte. In Wirklichkeit hat sie auch nie aufgehört. Und in der Tat, die Saat für die Entwicklung der bösartigen faschistischen Wurzeln, war die Ausbeutung, die hauptsächlich von den lokalen Herren, einschließlich der Halbpächter, Gutsverwalter und Industriellen und vor allem der savoyischen Monarchie ausgeübt wurde. Deren Unterdrückung, die alle Bereiche erfasste, von physischer über kulturelle und sprachliche Unterdrückung, bis hin zu produktiver und kolonialer Unterdrückung und den Kampf mit anderen Monarchien, zur Schaffung großer Reiche, die historisch durch blutige Kriege und jahrhundertelange Ausbeutung errichtet wurden, war ebenso schädlich wie zwanzig Jahre Mussolini.“
Adelmo Cervi widersprach auch der EU-Resolution, die Kommunismus mit dem Nazi- Faschismus gleichsetzt. Ebenfalls hatte er eine große Abneigung jeglichen Diktaturen gegenüber, insbesondere, wenn sie sich als Alibi, ihrer verratenen kommunistischen oder sozialistischen Weltanschauung bedienten. Cervi benutzte jede Gelegenheit, um seine kommunistische Identität zu bekräftigen, die auch den Idealen seines Vaters entsprach. Er merkt auch an, dass sein Vater und seine Brüder die Abneigung Diktatoren gegenüber geteilt hätten. Ihnen warf er vor, die edelsten Ideale, durch ihre gewalttätigen Handlungen zu verhöhnen.
„Ich denke und spreche mit meinem Kopf „, wiederholt Adelmo Cervi. „Was die Befreiung Europas vom Nazifaschismus durch die UDSSR unter Stalin betrifft, bin ich dankbar und ich sage das in voller Kenntnis der Tatsachen. Meine Reise, die ich in die Föderation machte, habe ich mit voller Neugier und Hoffnungen begonnen. Ich musste jedoch meine Koffer packen, weil ich mich mit der Bürokratie anlegte und offen die unzumutbaren Auflagen leitender Funktionäre kritisierte. Sowohl gestern wie heute sind derartige Maßnahmen zumeist mit einem gewissen Schwachsinn verbunden und wie immer zahlen die Massen den Preis für all diese Dysfunktionen.“
Um sich jeglichem nazi-faschistischen und repressiven Aufquellen zu widersetzen und es da zu entlarven, wo es sich hinter der Fassade anderer politischer Zugehörigkeit versteckt, „bedarf es deshalb erneut der Ausrichtung auf notwendige Entwicklungsperspektiven, welche die Jahrhunderte alten Übel der Menschheit bekämpfen. Diese sind nicht zyklisch, sondern beständig und stabil und dem System des Kapitalismus und Imperialismus als seine höchste Phase, sowie dessen legislativer Abwicklung inhärent. In diesem Zusammenhang erinnerte Cervi daran, dass „in der Landwirtschaft der Emilia-Romagna, die zu den weitesten entwickelten zählte, die Konfrontation nicht mit den Gutsbesitzern, sondern mit ihren Verwaltern geführt wurde. Dieser Kampf wiederholt sich auch heute noch beständig. Die Auseinandersetzungen, um die Anerkennung der Rechte der Arbeiter, um Löhne und Gewerkschaften, geschehen weiterhin überwiegend mit den Arschkriechern der Padroni (Gutsherren, d.Ü.). Sie sind die eigentlichen Bastarde, die Schergen ihrer Bosse, die größtenteils dazu beitragen, die Ungerechtigkeiten aufrecht zu erhalten und jede Verbesserung zu verhindern.“

Trotz dieser Schwierigkeiten oder auch gerade aufgrund ihrer bedrückenden Funktion, bleibt die Arbeit das grundlegende Problem, um den großen Teil derer zu begreifen, die ausgeschlossen und unzufrieden sind. Sie sind der Verhandlungsmacht und Entscheidungsgewalt beraubt. Was Adelmo Cervi beunruhigt, ist die „Zahl der 40% Jugendlichen, die am Ende ihrer Schulzeit keine Arbeit finden… Hätten die Führungskräfte von der Industrie bis zur Politik ihre Arbeit getan, wären wir jetzt nicht in einer Situation, die junge Menschen derart bestraft, dass sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Das Problem der Arbeit und Gesellschaft ist heute v.a. den Führungskräften geschuldet, die 5 oder 10-mal mehr verdienen als ihre Angestellten… Die Händler mochte ich nie, nicht in persona, noch in Worten: Sie reden viel, viel zu viel, sie sind nicht wie die oft ausgebeuteten Arbeiter. Man sollte deshalb aufhören, kleinere und mittlere Unternehmen beständig zu finanzieren Man sollte die Mittel den verzweifelten Armen geben, die es bis zum Ende des Monats nicht schaffen. Man braucht kein System der Sozialhilfe, sondern der Hilfe.“
Aus soziologischer Sicht beschreibt Adelmo Cervi trocken, dass die Linke gezwungen ist, sich innerhalb enger Muster zu bewegen und sich in der Lage indianischer Reservate befinden: „Es gibt keine Partei, deren leitende Funktionäre nicht verkünden: ‚Wir werden alles selbst tun‘ aber hinzufügen, ‚die anderen wollen das nicht‘, denn sie wollen ein gewisses arrogantes und präpotentes Verhalten nicht aufgeben. Anstatt die Abdrift derer zu finanzieren, die sich ins Parlament wählen lassen und ihr verdientes Geld hinauswerfen oder in die Schaffung kleinster Parteien reinvestieren, weil sie auf den Populismus der Massen und nicht auf die Qualität der eingebrachten Anträge schauen, sollten wir uns bemühen, den Gedanken zu verwerfen, dass vergangene oder gegenwärtige Parteiführer Ikonen sind oder wundertätige Gaben besitzen. Wir sollten uns daran machen die unendlich offenen Fragen lösen. Die Rhetorik ‚Lieber weniger aber besser‘ bedeutet politischen Suizid und sie bringt den Gegner zum Lachen, für den wenige und uneinige Aktivisten immer gut sind. Die Kräfte der Rechten setzen in der Tat auf Enthaltung, auf Ergeben und Verzicht der Massen, unter denen sich auch unsere allein gelassenen potenziellen Genossen befinden, die unzufrieden und in Schwierigkeiten sind. Diese entfernen sich von der Partei, weil sie enttäuscht sind wegen der Übertragung der Aufgaben an lokale und kleine Funktionäre, welche die Ansprüche der Massen nicht hören und fortwährend auf der Doktrin herumreiten, dass die Massen nichts mehr hören wollen, weil sie keine Ahnung haben und durch tausend Sachen überfordert sind.
Nach Adelmo Cervi „sollte innerhalb des kommunistischen Ambiente der prinzipielle Streit um hinfällige und gegenstandslose Fragen eingestellt werden. Dazu gehört z.B. der zwischen Marxisten-Leninisten gegen Trotzkisten. Stattdessen sollte man sich auf das einzige Ideal konzentrieren, das Revolutionäre umtreibt, das auch die Cervi während der Resistenza leitete. Es ist die Idee und das Ziel die Welt zu verbessern, die von einer notwendigen Grundlage ausgehen: Die Befreiung von Unterdrückung, die heute mehr denn je dringlich erscheint.“

Die kommunistische Welt, betonte Cervi, „muss, aus der Geschichte lernend, zur Zukunft der Menschheit werden: Die Ideale, für welche mein Vater und meine Brüder ihr Leben gaben, sind nicht verwirklicht worden. Sie wurden im Gegenteil oft verraten, begleitet durch anhaltenden Zwang, Diktatur und interne Spaltungen der Parteien, die sie hätten umsetzen sollen.“
Gerade Letzteres führte zur Bildung zahlreicher kurzlebiger, kleinerer Parteien mehr oder weniger kommunistischer Inspiration. Auf diese Weise fragmentiert, stellt sich spontan die Frage, die Cervi in seinem Buch anspricht: „Wie viele und welche kommunistische Parteien? Bei den Kommunalwahlen von Livorno haben allein fünf Parteien kommunistischer Provenienz kandidiert. So hoffe ich weiterhin auf eine vereinte Linke, die sich nicht mehr in vereinzelte Parteien aufsplittert, also auf eine erfolgreiche Linke, die nicht scheitert wie andere Bewegungen, die nicht unsere Geschichte und unsere Ideale haben. Der Fehler einiger Genossen hängt mit der Übertragung von Kompetenzen und Macht zusammen und geht bis zur Mythisierung historischer Charaktere und historischen Verfehlungen, die sich ganz offensichtlich konträr zu den propagierten Idealen verhalten. Dieser Vorgang führte zu einer Distanzierung der Massen von der verratenen Ideologie und zur Abschottung, was die Basis demagogischer Bewegungen wie der Lega von Salvini bildete.“
Dennoch meint Adelmo Cervi, dass er kein Pessimist sei, „aber Realist. Wenn dich dies mit meinen 76 Jahren wäre, würde ich mich nicht so für die Sache begeistern und das nach all den Kröten, die ich wenigstens 60 Jahre lang zu schlucken hatte. Es überkommt mich immer noch die Wut wegen des Zurückweichens, welches das gleiche ist, das zum Tode fast meiner ganzen Familie beigetragen hat. Deshalb habe ich immer noch den Satz von Ernesto Che Guevara im Sinn, dass wer kämpft, verlieren kann, doch wer nicht kämpft, schon verloren hat. Ich kann dem Kampf nie fernbleiben, denn er macht uns jung, macht Seele und Körper immun gegen das Gejammer, das ich nicht mehr hören kann. Der Mangel an Idealen und der Tod der Ideologien sind nur ein Alibi für das Zurückweichen und für die Wahlenthaltung. So verstehe ich auch nicht, warum man nicht wählen geht: Darauf zu verzichten, ist sicherlich nicht die Art, die Wahrheit ans Licht zu bringen und noch weniger die Leute vom Kampf zu überzeugen.“
„Die Frage des Mangels an Werten“, sowie jene schon antiquierte Schuld der Generationen sind für Adelmo Cervi „verkehrt und unsinnig. Ich komme in den Schulen ganz Italiens herum und rede mit vielen Jugendlichen. So habe ich bemerkt, dass die Lehrer als Erste die Pausenglocke wahrnehmen. Während die Erwachsenen auf ihrer Stunde bestehen, wollen die jungen Schüler, dass ich meinen Bericht fortsetze; sie wollen fragen und entdecken.“
Nach Cervi ist es nicht möglich bei den Methoden des parteienübergreifenden Kampfes, auf jene theoretisch schon vorhandenen oder praktizierten zu zählen: „Man kann nicht die Diktatur des Proletariats anstreben, die historisch gescheitert ist und sie ist immer pure Diktatur, zumal das theoretisch konzipierte Proletariat nicht mehr existiert. An seine Stelle sind die Arbeitslosen, die Verzweifelten und Verlorenen getreten. Was sie auch sind, sie kennen im Gegensatz zu ihm nicht mehr ihre Bedingungen. Sie sind damit beschäftigt, sich durchzuschlagen und sie versuchen sich in das kapitalistische System zu integrieren, das sie aber beständig abstößt.“

Adelmo Cervi betonte öfters, dass „die Grundlage des Erzählens aus dem, was ich gesehen und erlebt habe, besteht. Es ist nicht aus zweiter Hand, auch nicht in einer Versammlung aufgeschnappt oder weil ich alle fundamentalen Texte des Kommunismus gelesen habe. Ich kann aber sagen, dass ich mich in dem Buch von Lev Trotzkij ‚Die verratene Revolution‚ wiedergefunden habe. Als ich seine Worte und Theorien las, begriff ich, warum er so sehr verfolgt und schließlich in Mexiko ermordet wurde.“
Cervis Ansicht zu heute ist, dass „eine vereinigte Linke, die den Kapitalismus grundlegend bekämpft, umso notwendiger ist, wenn sich Kräfte bilden und zusammenfinden werden, um dieses repressive System zur Strecke zu bringen. Doch im Moment verliert die Linke, ohne nur gekämpft zu haben.“ Und so lautet der Ratschlag Adelmo Cervis „nicht länger zu warten. Wartet nicht darauf, dass sich die Dinge allein ändern, oder dass sie jemand anders außer uns ändert, deshalb tut alles, dass wir uns gemeinsam daran machen.“
Adelmo Cervi ist auch reich an Erfahrung in der Geschichte einschlägiger politischer Partizipation. Er hofft noch „auf eine geeinigte Linke, wie die nach der Resistenza, die Kommunisten, Sozialisten und Demokraten bei der Wiederentdeckung und Anwendung der Konstitution zusammenführte. Für die Letztere wurde nach der Befreiung sogar von Katholiken, Liberalen und Filo-Monarchisten gestimmt. Doch die Konstitution wurde beständig mit unnützen Referenda brüskiert und attackiert. In ihrer konkreten Anwendung fand sie nie ein fundamentales Verständnis. Wir haben immer Regierungen von anti-konstitutionellem und auch respektlosem Verhalten zur Konstitution gehabt. Zur Konstitution zurückzufinden würde heute heißen, sie anzuwenden als wäre sie bisher nie gemacht worden, da sie schuldhaft in einem Meer von Artikeln ersäuft wurde: Es gilt daher ihren ersten Teil hervorzuheben und zuallererst die ersten 12 grundsätzlichen Artikel müssen in ein politisches Programm übersetzt werden.“
Cervi spricht sich dafür aus, dass „es nötig ist, den Verrätern des Partito Democratico die Tür zu weisen. Sie haben zu oft, wie die extreme Rechte von Salvini und Meloni bewiesen, dass sie weder Achtung noch Respekt vor den Kämpfen der Resistenza haben.“ Den Moderatoren der Buchpräsentation und auch den zahlreichen Anwesenden ist bewusst, dass das demokratische Prinzip ohne Abschaffung des ökonomisch-politischen und sozialen Systems des Kapitalismus Gefahr läuft, sich im Gewand eines Demokratieverständnisses zu verewigen, das für die Beständigkeit der Ungleichheit der Menschen sorgt.
Unter den historischen Irrtümern, die Adelmo Cervi aufzählt, nimmt „Palmiro Togliatti einen Spitzenplatz ein, der es liebte, sich als ‚der Beste‘ nennen zu lassen. Er genoss diesen Götzendienst und fand Gefallen daran, ‚das seine dazu beigetragen zu haben‘. In Wirklichkeit aber hat seine verschuldete Amnestie paradoxerweise die Faschisten aus dem Gefängnis befreit und stattdessen die Partisanen unter Prozess gestellt und verhaftet. Die Togliatti Amnestie zerstörte die Resistenza, schloss die Partisanen von allen sozio-ökonomischen Funktionen aus, für deren Befreiung sie gekämpft hatten. Togliatti glich also all diesen Despoten, als er eine Amnestie für die Faschisten beschloss. Er spuckte ins Gesicht der Überlebenden, solchen Opfern wie die Cervi, und allen, die wie diese für die Befreiung gekämpft hatten. Togliatti verkörperte den dystopischen Part kommunistischer Parteiführer, welche die Kämpfe der geschundenen Revolutionäre zum Scheitern brachten und mit ihnen auch all unsere Ideale, die wir als Nachgeborene aufgrund ihrer Opfer hatten.
Cervis Rede und sein Appell wurden mit in den gewohnten anspornenden Tönen gehalten, die aber nicht störten, sondern im Gegenteil eine mitreißende und bewegende Leidenschaft ausstrahlten, weil er sich, angesichts seiner gequälten Erfahrung, nicht in den tausend Strömen der Unzufriedenheit des Alltagslebens verliert, die uns stören und die wir in unserer Betroffenheit nicht in wirksame Aktionen umsetzen können.
Es ist manchmal richtig, sich zu grämen, manchmal aber sollte uns die Ohnmacht gegenüber tausender Tentakel der Repression zu verstehen geben, dass diese in dem falschen Diskurs über die Bequemlichkeit verankert ist. Der dient real als Alibi für die intellektuelle Kriecherei. Die Unterwürfigkeit der Vielen ertränkt die Wenigen, die in der Lage wären, auch für deren Rechte zu kämpfen. Obwohl letztere intellektuell und kulturell besser aufgestellt sind, wären sie aber ohne die freiwillige Knechtschaft dazu verurteilt, niemals hochzukommen.
Auf derartige Einlassungen entgegnet Adelmo heftig mit einer traurigen Ausführung: „Die sieben Cervi-Brüder haben ihr Leben für ihre Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit gegeben. Gelindo, Antenore, mein Vater Aldo, Ferdinando, Agostino, Ovidio und Ettore sind einen gefährlichen Weg gegangen. Sie kämpften für die Leute, obwohl sie den Kopf dafür hatten, den leichteren, bequemeren unternehmerischen Weg des Profits zu gehen. Das hätte die Ausbeutung derselben Leute bedeutet, für deren Freiheit sie ihr Leben gegeben haben.“

Und noch einmal: „Wie viele ganz junge Blutopfer gab es, vor denen wir uns immer verbeugen müssten. Einige waren noch jünger als mein Vater, der mit nur 30 Jahren starb, und die einfach vergessen wurden. An einige der Massaker wie Marzabotto und St. Anna di Stazzema wurde erinnert, andere sind schuldhaft dem Vergessen ausgesetzt worden. Wie viele rhetorische Anlässe gab es und wird es weiterhin geben, die das Andenken gering schätzen und den Respekt versagen, den die Opfer verdient hätten. Man kann unsere Wertschätzung und äußerste Dankbarkeit ihnen nicht mit einigen Gedenkminuten beweisen, die dazu noch von stocksteifen Militärs unter feierlichen Tönen präpariert werden. Das Gegenteil ist notwendig: Wir müssten unseren Widerwillen gegen jegliche Repression hinausschreien, sowie unseren von Herzen kommenden Salut vor den Märtyrern der (italienischen) Liberazione.“
Anmerkungen:
[1] Paolo Nicolai, “I fratelli Cervi”, Editori Riuniti, 1974.↩
[2] P. Nicolai, Ibidem.↩
[3] “Io che conosco il tuo cuore. Storia di un padre partigiano raccontata da un figlio”, di Adelmo Cervi con Giovanni Zucca. Edito da Piemme Voci, prima edizione 2014.↩
[4] Citazione di Antonio Gramsci, tratta da “L’Ordine Nuovo“, 26 aprile 1921.↩
27/10/2019 | Copyleft © Tutto il materiale è liberamente riproducibile ed è richiesta soltanto la menzione della fonte.
Bei der Übersetzung dieses Beitrags bei Città futura, fragte ich mich, wie es eigentlich in Deutschland um das Andenken an den Widerstand bestellt ist. Man kann mit einem simplen Wort den Zustand in den Sprachen der Zentren des Widerstands europäischer Länder bezeichnen: катастрофи́ческий,katastrofalny, катастрофалан, disastroso, desastroso, désastreux. In der „Zeit“ vom 11.09.2005 ist zu lesen: „In der DDR hat der OdF-Tag mit Ehrungen und Kundgebungen, aber auch Ritualen, Einseitigkeiten und Vereinnahmungen einen festen Platz in der Erinnerungskultur. Seit 1990 wird der Gedenktag als „Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung“ fortgesetzt.“ Man erfährt aber in den Romanen von A. Andersch mehr über den Widerstand als in allen materialisierten Ritualen zusammen. Weist in diesem Land irgendein Ort auf das Gedenken an Werner Seelenbinder hin, an die Rote Kapelle, an Genossen, die den alliierten Truppen den Weg sicherten, wie in meiner Region, um schneller dem braunen Spuk ein Ende zu bereiten? Ich kann mich auch nicht erinnern, dass den in Buchenwald Ermordeten führenden Funktionären Rudolf Breitscheid (SPD) und Ernst Thälmann (KPD) irgendwelche Wertschätzung in der Erinnerung, Mahnung und Begegnung zukommt. Die Ideologie und Praxis dieser Gesellschaft ist die: „Die Werner-Seelenbinder-Halle war seit 1950 eine der wichtigsten Berliner Sportstätten. Sie befand sich an der Paul-Heyse-Straße 26 in Prenzlauer Berg. Die Halle wurde 1992 abgerissen. Heute befinden sich auf ihrem Gelände das Velodrom und die Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark.“ (Webseite moovit). Und es ist die Praxis und Ideologie der Kollektivschuld, die Deutschland gegenüber den andern Völkern zum Schuldeingeständnis treibt. Hauptsache es kostet nichts und ist profitträchtig (wie auch das obige Beispiel belegt).
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