Gilets Jaunes, Klassenkampf, Neopopulismus, Souveränismus -Teil IV-

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Quelle:

Gilets jaunes, lotta di classe, neo-populismo, sovranismo


Inhalt: Teil I // Historische Einordnung der GJ und Zustandsbeschreibung – Reformismus am Ende der Epoche der Reformen // Teil II / Die Schwierigkeit der Verallgemeinerung des Kampfes / Die Nahrung des Neopopulismus und Souveränismus // Teil IIIAmbivalenzen des Neo-Populismus / Auflösung der Ambivalenzen mit antikapitalistischer Stoßrichtung​


Teil IV:

Der unverzichtbare aber unzugängliche Internationalismus

Etwas schwieriger ist die Beantwortung der Frage nach der Ausrichtung des Kampfes in internationalistischem Fahrwasser. Die gegebene Dynamik lenkt die Bewegungen des Widerstands auf eine nationale Dimension. Da die nationalen Politiken stark abhängig von supranationalen Kräften und deshalb jedem ersichtlich sind, stellen sie auch, bezüglich kommender Auseinandersetzungen, günstige Bedingungen der Entwicklung einer internationalistisch agierenden Klasse dar. Dennoch führt der Einfluss supranationaler Mächte nicht unmittelbar nach Allianzen mit dem Proletariat anderer Länder zu suchen, jedoch könnte es der Versuch, die eigene Nation ihrem Diktat zu entziehen, bewirken. Eine Verallgemeinerung der Kämpfe in mehreren Ländern bedeutet in der Konsequenz, dass jede einzelne Nation für sich versucht, sich den supranationalen Mächten zu entziehen und deshalb anfällig ist, zum Ausgangspunkt von Konflikten zwischen Staaten und Staatenbündnissen zu werden. Dennoch könnte die Verallgemeinerung der Kämpfe das Bündnis verschiedener nationaler Proletariate begünstigen. Der Kampf auf gemeinsamem Terrain zu gemeinsamen Themen, wenn auch jedes [Proletariat] für die eigene Nation antritt, könnte der Entwicklung eines konsequenten Internationalismus, insbesondere im Falle eines Krieges, eine gewisse Bodenständigkeit verschaffen. Die vorhergehende Entwicklung von Kampfbeziehungen würde es in der Tat schwieriger machen, zu akzeptieren, dass man militärisch gegen die kämpfen muss, mit denen ein gemeinsamer Weg des Kampfes aufgebaut wurde. Und es ist daher eher die Entwicklung von Triebkräften zur Verbrüderung der Klasse möglich.

Internationalismus geht nicht nur allein das Proletariat der westlichen Länder an. Er ist auch, wenn nicht gar hauptsächlich, die Beziehung zwischen ihm und den Unterdrückten der restlichen Welt. In dieser Hinsicht befinden wir uns womöglich in einer schlechteren Position zu früheren Situationen. Die letzte herausragende massenhafte Opposition gegen die imperialistischen Manöver war im Jahr 2003, dem Jahr der Aggression gegen den Irak.  Die damalige große Protestbewegung enthielt jedoch ein entscheidendes Moment der Schwäche: Man kämpfte für Frieden. Man sah nicht die Aggression, sondern den Krieg. Aber wie kann man die Auseinandersetzung zwischen so offensichtlich asymmetrischen Kontrahenten, in Bezug auf ökonomische, politische und militärische Stärke, als einen Krieg bezeichnen. Die Ursache der Mobilisierung des Protests war die Angst vor der Ausweitung des Kriegs aufs eigene Haus. Die Überlegenheit des Westens wurde nicht einmal in Betracht gezogen, sondern man verlangte die friedliche Beilegung des Konflikts. Die Iraker wurden nicht als Opfer einer Aggression gesehen, sondern, man teilte die Sicht der Aggressoren, als Opfer von Saddam Hussein.  Das Paradigma begann zu funktionieren. Seither verliefen die darauffolgenden Aggressionen ohne Massenproteste: Sudan, Libyen, Syrien, Jemen, der gesamte Mittlere Orient und Nordafrika. All diese Regionen und Länder wurden in die kreative Zerstörung von Bush einbezogen. Ihm folgte der Nobelpreisträger Obama, ein Champion in Sachen bewaffnete Konflikte (der unter seiner Präsidentschaft gut sieben Länder mit seiner Aggression bedachte) und dann Trump, der sie nun mit seiner Attacke gegen den Iran ergänzt. Keine dieser Aktionen der Einmischung führte zu Massenprotesten. Auch nicht die Angriffe auf Zentralafrika durch Frankreich und Großbritannien, die mit der entschlossenen Unterstützung der Vereinigten Staaten durchgeführt wurden. Ebenso sind sie heute bezüglich der Aggressionen gegen Venezuela nicht vorhanden.

Der Westen fährt fort mit allen Mitteln auf seinen Herrschaftsbereich zu pochen und dies mit der Komplizenschaft oder Neutralität aller Klassen, einschließlich die des Proletariats. Dass dies so ist, dafür sorgt die stark zentralisierte, vereinheitlichte Information (seit neuestem verstärkt durch die Social Media und ihre Kontrolle) bei der Dämonisierung eines Hitlers vom Dienst, der das eigene Volk abschlachtet. Aber was schließlich die Bilanz zu Gunsten der eigenen Regierungen ausschlagen ließ oder in Neutralität gegenüber ihren Aggressionen verwandelte, war die Wahrnehmung mit ihnen zusammen eine überlegenere Welt zu schaffen, was die soziale, freiheitliche, politische, persönliche Organisation etc. anging.  Hier liegt das wahre Fundament des Rassismus, der Salvini mit Boldrini, Trump mit der Linken verbindet. Der ideologische Überbau fußt auf einer soliden materiellen Struktur. Die Preise für Rohstoffe niedrig zu halten, ist permanente Voraussetzung für hohe Profitraten, jedoch auch um die notwendigen Güter  für die Reproduktion des proletarischen Lebens und seinem Ramsch zu erhalten, der ob technologisch oder auch nicht, das Gefühl vom Wohlstand der großen Masse einrahmt. Und die Preise der Rohstoffe sind entschieden mehr die Gründe für ungleichen Handel als das normale Spiel des Marktes von Angebot und Nachfrage.  Ökonomische, finanzielle, politische und militärische Unterwerfung (direkt oder per Prokura) sind die Mittel bei der Ökonomisierung der Rohstoffversorgung.

Eine Umkehr dieser Haltung in eine internationalistische, was zur Verteidigung der unterdrückten Völker bedeutet,  kann also nur seinen Ausgang nehmen aus der Öffnung von Brüchen im Überbau oder der Struktur oder beiden. Das Aufkommen von Revolten und/oder von Widerstand gegen die militärischen Aggressionen könnte wegen der Folgen einer Wirtschaftskrise drastische anti-proletarische Maßnahmen mit sich bringen. Dass dabei der Rückgriff auf die obligatorische Wehrpflicht unvermeidlich bleibt (in Deutschland und Italien gibt es dafür schon Anzeichen), ist die Transformation von Krieg, der exklusiv professionellen Minderheiten vorbehalten war, unter Beteiligung der proletarischen Massen angesagt.

Ein Terrain, auf dem es potenziell möglich wäre, dass sich erste Anzeichen von Internationalismus herausbilden, ist das der Migration. Momentan schwankt das Proletariat zwischen einer rechten Position, die auf der Konkurrenz von unten auf dem Arbeitsmarkt herumreitet und die Schließung der Grenzen fordert und linken Positionen der Aufnahme von Flüchtlingen. In dieser Sache handeln Rechte und Linke wie der böse und der gute Polizist. Der gute stellt die Aufnahme in Aussicht und begünstigt den Zugang, der böse trägt dazu bei, sie in Schach zu halten und unter Zwang ihre Arbeitskraft zu verkaufen (ihre Rollen sind nicht starr, sondern gänzlich austauschbar).

Die migratorischen Bewegungen berauben die unterdrückten Länder ihrer menschlichen Ressourcen (vor allem Jugendliche und Ausgebildete),  was wiederum Haltungen gegen die Metropole nähren könnte, gleichzeitig aber auch die westliche Reservearmee der Arbeitskräfte vermehrt. Die Emigration ist das kompensatorische Angebot für die Ausplünderung vor Ort. Zumindest ein Teil der autochthonen Bevölkerung soll am westlichen Reichtum partizipieren können, der durch die Ausplünderung der Herkunftsländer produziert wird, indem sie im Westen arbeiten oder Leistungen für Emigranten beziehen können. Um Druck auf den Arbeitsmarkt ausüben zu können, darf die Einwanderung nicht frei sein, sondern es müssen  erpressbare Flüchtlinge sein, deren Schicksal ungewiss ist, sog. Illegale in vergeblichem Bemühen auf  reguläre Verhältnisse.Es ist nicht zufällig, dass die Linke, die Salvini auffordert „die Türen zu öffnen“, sich sehr wohl hütet,  die Grenzen ganz für den freien Personenverkehr zu öffnen. Dieses Flüchtlingssystem versorgt adäquat das Reserveheer und … einen Versorgungs- und Hilfsapparat, der den lokalen Arbeitern gerade das Notwendige zum Leben lässt und für verschiedenste Spekulanten des dritten Sektors gute Gewinne vorsieht. 

Die Verelendung der unterdrückten Länder sowie die notwendigen Konflikte um sie in Bedingungen der Schwäche zu halten (und die Expansion der Ausweitung der Geschäfte Chinas, Russlands und Indiens zu durchkreuzen) erhöhen die Bereitschaft zur Emigration. Im Westen aber, machen das Voranschreiten von Krisen und der Abbau des Sozialstaates für die Arbeiterklasse die Aufnahme von Immigranten immer problematischer.  Die Wahrnehmung verbreitet sich immer mehr, dass das Problem von Verelendung und Krieg in den armen Ländern nicht durch die Aufnahme eines Teils ihrer Bevölkerung gelöst werden kann, was den Kompensierungsmechanismus infrage stellt. Aber was wäre die Alternative? Die Bedingungen der Herkunftsländer verbessern?  Hier verkoppelt sich der Diskurs von Rechts und Links so haarig wie alles andere in der Feststellung, „Helfen wir ihnen zuhause!“.  Der Weg jedoch wäre ein anderer: Ihre Befreiung von imperialistischer Ausraubung und die Erstattung dessen, was ihnen an materiellen, natürlichen und menschlichen Ressourcen geraubt wurde. Dies wäre das natürlichste Terrain eines internationalistischen Zusammenschlusses von westlichem Proletariat, Immigranten und unterdrückten Völkern. Der jedoch so einfach scheinende Weg ist äußerst schwierig zu beschreiten. Die essenzielle Voraussetzung dazu wäre: dass sich im Westen eine Trennung der Klassen vollzieht. Das würde bedeuten, dass signifikative Teile des Proletariats sich von den Aktivitäten ihrer Staaten und Unternehmen distanzieren. Es wäre ein im Kampf erworbenes Verständnis, dass deren Handeln sowohl dem westlichen Proletariat wie den unterdrückten Völkern schadet.  Die Initialzündung kann sowohl durch interne wie externe Probleme erfolgen. Das bedeutet auch, dass es nicht notwendig ist, den (auch internationalistischen) Weg einer Anhäufung von Bewusstwerden über die eigenen sozio-ökonomischen Bedingungen zu durchlaufen. Das Gegenteil könnte eintreten, indem die Klassenspaltung zunächst entlang der für die unterdrückten Länder schädlichen Aktivitäten des eigenen Staates  und der Unternehmen verläuft.

Augenblicklich wird bei den Neopopulisten und bei Gruppierungen der Rechten  mancher Hinweis auf die koloniale Ausbeutung beschworen, so in der Frage Frankreich und der CFA.  Die Attacke wurde von Di Maio und Salvini geführt, um die französischen Bestrebungen abzuwehren, die imperialistischen Interessen Italiens in Libyen und Ägypten für sich zu reklamieren. Das ist eine Auseinandersetzung zwischen Marodeuren, vergleichsweise von niedrigerem Rang zu den USA. Die Linke, die aus ihrem Vokabular den Begriff Imperialismus gestrichen hat (ausgenommen einige extreme Überbleibsel), entdeckt ihn gerade wieder, um ihn mit … China und Russland zu verbinden. Bei der Aggression auf Venezuela hat der übliche Refrain über Menschenrechte und Demokratie mehr Schwierigkeiten, die wahrem Imperialistischen Bestrebungen zu vernebeln und konsequenterweise nimmt, zumindest in Lateinamerika, der anti-imperialistische Kampf neue Fahrt auf.  Das ist mehr dem Verdienst des Widerstands der venezuelanischen Massen als der Brutalität der Aggression zuzuordnen (Bolton sprach unverblümt von unserem Öl!).    

Wenn seitens der Rechten einige Themen berührt werden, die ein Fünkchen Wahrheit enthalten, läuft ihre Deklination systematisch gegen Flüchtlinge und Immigranten. Es ist der Versuch, die proletarische Verärgerung an sie zu adressieren und Spaltung und Konflikt innerhalb des Proletariats zu erzeugen. Die Immigranten sind so Opfer mehrerer Tatbestände: Zuerst Opfer der imperialistischen Ausbeutung in den Herkunftsländern, dann der Organisatoren auf ihrem Weg (okzidentale, an der Spitze die ONG’s und dann unterschiedlichste Philanthropen), und sie sind letztendlich Opfer derjenigen, die ihnen Ankunft und Regularization verweigern.

In diesem Rahmen der Möglichkeiten und Schwierigkeiten ist es nicht unerheblich, dass die Gilets Jaunes, was die Frage der Immigranten angeht, Stellung bezogen haben. Dabei vermieden sie, gegen die Armen Krieg zu führen, wie es die Rechte tut, aber auch nicht den Profughismus1 der Linken zu übernehmen. Sie verstehen das Problem der Beseitigung der Ursachen der Emigration als ein unter Zwang entstandenes. Das ist nicht wenig, aber nicht genug, um eine stabiles Band des gemeinsamen Kampfes zu knüpfen, was weitere Einsichten erfordert: Über Krise, über das Verhältnis Kapital und Staat, über gemeinsamen Widerstand von Proletariat und Immigranten, über anti-imperialistischen Widerstand und über Klassenkampf.

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1. Profughismo: von profughi ∼ Flüchtlinge. Meint die Ideologie, die in westlichen Ländern Einzug gehalten hat, um die Festung Europa zu zementieren. D.h. die Aufnahme von Flüchtlingen findet unter bestimmten Kriterien statt. Das reicht von den restriktiven Forderungen der Rechten (Abschiebungsrecht) bis hin zum Welcome der Linken und der Philanthropen. 

Übersetzung von Teil I – IV von Günter Melle

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