Wir haben uns durchgesetzt – Einige Lehren fürs das nächste Mal

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Der internationale Salon des Buches in Turin hat mittlerweile die Dreißigerjahre seines Bestehens erreicht. In Italien ist er die bedeutendste Buchmesse, die sich an Leser*innen wie auch Verlage wendet. In Europa liegt die Buchmesse hinter Frankfurt, was die ausstellenden Verlage betrifft. Was Leipzig wie auch Frankfurt von Turin in puncto Buch unterscheidet: Neofaschisten wurden auf Grund massiver Proteste nicht zugelassen, um ihre Propaganda unters Volk zu bringen. Im folgenden eine Kommentierung von Wu Ming 2.
Der Antifaschismus hat ein wichtiges Ergebnis erzielt, das als Beispiel die Runde machen wird: Casapound (eine rechtsextreme, neofaschistische Organisation in Italien, d.Ü.) ist von der internationalen Buchmesse in Turin ausgeschlossen. Widerspruch zu wagen, hat genützt. Und verdammt richtig, dass er genützt hat. Es war entscheidend, ein klares Signal zu geben. Danke an alle, die dazu beitrugen.
Dennoch hatte die Debatte der letzten Tage äußerst giftige Momente und im Strudel von Voltairismen, Akzeptanz, Pseudo-Einwänden, Ablenkungen und schlecht konzipierten Hashtags glaubten nur wenige an einen Erfolg des Kampfes.
Wir haben für die Zukunft einen nützlichen Leitfaden zusammengestellt. Es ist ein Glossar zu Missverständnissen und Unverständnis, die sich in Zeitungen und „sozialen“ Medien wiederfanden, nachdem wir angekündigt hatten, nicht an der Ausstellung teilzunehmen, weil wir den Raum nicht mit einem faschistischen Verleger teilen wollten.
Wir haben sie in zehn Punkten zusammengefasst, und, unserer Auffassung nach, erzählen sie etwas über das Italien der Bücher. Sie sagen darüber etwas aus, wie wir es wahrnehmen und wie es sich selbst begreift. Und vielleicht sagen sie darüber hinaus auch etwas mehr.
1. <<Rede- und Meinungsfreiheit>>
Die Meinungsfreiheit zu verteidigen bedeutet nicht, jede Äußerung als gleichwertig mit jeder anderen zu sehen. Es gibt Ideen, denen nicht die Würde der Debatte zugesprochen werden kann, da sie die Negation jeder Debatte darstellen – und das haben sie tausendfach bewiesen. Man darf denjenigen, die den Nazifaschismus verteidigen und ihm Hymnen singen, keinen Raum dazu geben. Er ist eben nicht nur eine „Idee“, über den man schön bequem vom Sofa aus debattieren kann. Auf den Straßen ist immer noch der faschistische Mob zu finden, der draufschlagt und auch tötet. Deshalb muss ihm die Tür verschlossen bleiben und er muss draußen vor der Tür bekämpft werden.
Wer Hass gegen einen Teil der menschlichen Spezies, gegen Schwache gebraucht, kann nicht Gegner einer Debatte sein. Das ist völlig unabhängig davon, wie viele und welche Verbrechen im Namen ihrer Ideen begangen werden könnten. Wir haben das gesagt und sind nicht allein geblieben: Das Problem ist kein rechtliches, sondern ein politisch und kulturelles. Um es anzupacken braucht man keinen Richter, sondern Bestimmtheit und Verantwortungsbewusstsein.
Gestärkt durch diesen Erfolg in Turin, werden die Organisatoren von Buchfestivals, Ausstellungen und Messen der Verlage sich zu entscheiden haben: Entweder geben sie einem faschistischen Verleger Raum zur Ausstellung, dann werden sie weder antifaschistischen Autoren noch Überlebende des Holocaust oder Partisanen haben. Kultur ist nicht auf ein Supermarktmodell zu reduzieren, in dem alles, von biologisch bis zu genverändert, von exotischen Früchten bis zu Km zero, zu finden ist. Die Entscheidung müssen die Organisatoren treffen und nicht nur die Konsumenten. Bücher und Kultur sind keine beliebige Ware und bestimmte Inhalte zu verbreiten, hat immer Konsequenzen.
2. Lektionen des Antifaschismus
Unsere Aktion ist unilateral gewesen und wir haben weder gesagt noch gedacht, dass sie die einzig wirksame im antifaschistischen Kampf sei. Die No Tav Bewegung hat uns gelehrt, dass jede Kampfform legitim ist, sofern sie nicht die anderer teilnehmender Gruppen behindert. Wer beten will, soll beten. Wer die Zäune eines Bauunternehmens zerstören will, soll sie zerstören. Wenn die taktischen Fragen die Diskussion monopolisieren, endet das damit, die strategischen Ziele aus den Augen zu verlieren. Intellektuelle Debatten, ob es „kulturell wirksam“ sei, nach Turin zu gehen oder nicht, gefährdet das Ziel, die wirklichen Gegner aus den Augen zu verlieren. Und das ist, die Anwesenheit des faschistischen Verlags Altaforte auf der Buchausstellung und die Verantwortlichkeit des Veranstalters.
Eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller gehen zur Buchmesse, um ihre Arbeit zu erledigen: die Präsentation ihres Buches. Deshalb war unsere antifaschistische Aktion vergleichbar mit einem politischen Streik, einer Form des Kampfes und Protests also von langer Tradition. Gerade weil es keinen Dialog mit Faschisten geben kann, war der Adressat unserer Aktion nicht der Verlag Altaforte, sondern das Organisationskomitee der Ausstellung. Es gab die Erlaubnis zur Aufstellung eines Standes, obwohl sie die Faschisten hätten von Anfang an von der Messe ausschließen können.
Um das zu tun, war nicht einmal die Berufung auf ein Strafurteil nötig. Es gibt viele kommunale Verwaltungen, einschließlich Turin, die für die Überlassung öffentlicher Veranstaltungsräume eine schriftliche, antifaschistische Erklärung im Namen der italienischen Konstitution verlangen. Das ist sicherlich keine durchschlagende Waffe, und ihr kann leicht ausgewichen werden, doch zeigt sie zumindest, dass es möglich wäre, zu verhindern, gewissen Subjekten eine breite Bühne zu bieten.
Deshalb haben wir den Streik ausgerufen. Wer uns nunmehr beschuldigt, das Schlachtfeld zu meiden ist ein Dummkopf, der für sich selbst spricht. Ja, wir mussten uns auch solche Dinge vonseiten der Kolleginnen und Kollegen anhören, die sich offensichtlich berechtigt fühlten, anderen Lektionen zu erteilen. Leider müssen wir sagen: Es ist nicht ihnen zu verdanken, dass diese Auseinandersetzung siegreich beendet wurde.
3. «Der Aventin»
Für einige war unsere und die Entscheidung derer, die angekündigt haben, sich von der Buchmesse zurückzuziehen gleich der «aventinischen Sezession» und daher ein Fehler. Sie verwiesen darauf, dass der Rückzug aus dem Parlament, im Jahr 1924, das faschistische Regime nicht schwächte.
Es ist jedoch wichtig zu unterstreichen, dass das Problem der „aventinischen Sezession“ nicht die Sezession war, sondern ihr knappes Timing: Mussolini war schon an der Macht und mit Gewalt und seinen Machenschaften hatte er das Parlament schon jeglichen Inhalts entleert. Die Aktion konnte also gar nicht anders als sich im Misserfolg auflösen.
Nach dem Gesagten wäre hinzuzufügen, dass die Buchmesse von Turin keine demokratische Republik der Leserinnen ist, die sich nun unter anderen Vorzeichen und Umständen zu wehren hat. Sie ist zweifellos ein bedeutendes Ereignis, das sich jedoch nur an 5 Tagen des Jahres abspielt und ist deshalb sicherlich nicht der einzig antifaschistische kulturelle Standort – im Gegenteil: Es gibt aktivere und fortschrittlichere Fronten. Wer den Aventin als Zeuge anrief verwechselt – oder tut so – die Messe mit der ganzen Welt und die ganze Welt mit dem Aventin.
4. «Den Faschisten diese Sichtbarkeit zu verschaffen ist ihnen zum Gefallen.»
Wie oben schon angedeutet, ist im Kampf gegen den Faschismus das rechtzeitige Handeln verlangt. Von einem besorgniserregenden Phänomen zu reden, wenn er sich schon ausgebreitet hat, bedeutet zu handeln, wenn es schon zu spät ist. Wer den Verlag Altaforte und seine dunkle Galaxie der Veröffentlichungen noch nicht kannte, sollte den Antifaschisten dafür danken, dass sie in diese Richtung die Aufmerksamkeit gelenkt haben. Denn die extreme Rechte liebt in der Realität das Versteckspiel: Sie sind vor Supermärkten präsent, um Lebensmittel für Arme zu sammeln, um sie dann nach ihren rassistischen Kriterien zu verteilen, um danach Roma und Sinti und Fremde aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Ihnen eine Bühne zu bieten, bedeutet ihnen einen Gefallen zu tun.
Wir sind in diesem Land bei einer Situation angelangt, die aus dem laxen Verhalten derer resultiert, die über Jahre hinweg hinlänglich den militanten Antifaschismus betrachtet haben, als wäre er etwas zurück und überflüssig Gebliebenes. Man empfahl sogar, die Faschisten zu ignorieren, weil sie als nostalgisch, folkloristisches Phänomen angesehen wurden. Doch seit einigen Jahren flirten die Faschisten mit der Regierung. Altaforte veröffentlichte ein Buch der Interviews mit dem Innenminister Salvini und verweist auf diese politische Kraft, die sich zu den Wahlen präsentiert. Die Region Veneto schaffte kürzlich hunderte Kopien eines von Ferro Gallo (ein weiterer faschistischer Verlag) produzierten abstoßenden Comic an. Altaforte übernahm seine Verteilung.
Selbst wenn es nicht um große Auflagen geht, haben die Verlage politische Unterstützung bei der Umsetzung ihrer auf Sichtbarkeit ausgerichteten Strategie – abgesehen von der Unterstützung, auch dank genereller Indifferenz.
Die Karte der faschistischen Aggressionen auf der italienischen Halbinsel zeigt, wie die Gewalt der Straße sich ins „rhetorische“ Repertoire dieser Leute einreiht, die ohne Zögern bereit sind, es in die Tat umzusetzen.
5. «Während Ihr euch mit etwas beschäftigt, holt sich Casapound die Peripherien»
Eine andere irreführende Logik: Sich mit etwas zu beschäftigen, heißt nicht etwas anderes zu ignorieren. Die antifaschistische Schlacht findet an mehreren Fronten statt. Also an allen. Und es ist nicht von Belang zu erwähnen, an welchen und wie vielen wir in mehr als zwanzig Jahren politisch kultureller Arbeit uns geschlagen haben.
6. Sieht man mich mehr, wenn ich gehe oder wenn ich nicht gehe?
Für einige, die ihre Aufgabe besonders darin sehen, die Positionen anderer schlecht zu reden, reduziert sich diese Frage auf die Feststellung, dass die Protestaktion jeglicher Substanz entbehre. Sie sei lediglich ein Wettstreit unter Schriftstellern, sich ins Rampenlicht zu rücken. Das Herunterspielen der Begriffe der Debatte sind die rettenden Argumente zum schlechten Gewissen dieser Schlaumeier: Wer es tut, tut es, um gesehen zu werden. Und deshalb ist es besser, nichts zu tun oder allenfalls von den Seiten einer Tageszeitung oder eines Blog Pfeile abzuschießen.
Praktisch ist das der zweite Nationalsport.
7. Niemals mit Wu Ming übereinstimmen
Unnütz es zu verschweigen: Einige hatten ein kaum zu verbergendes Problem damit, wer mit der Auseinandersetzung begonnen hat, oder auch mit der Möglichkeit, mit irgendjemanden in der Schlange zu stehen und als Mitläufer zu gelten. Und dann noch mit diesen „Chinesen“… Vielleicht war deshalb der erste, der sich uns anschloss Signor Carlo Ginzburg, was wohl dieses Herumgeeiere widerlegt.
Doch gerade weil wir wissen, dass wir einigen auf dem Schlips stehen, haben wir keine gemeinsamen Aktionen, Boykotte oder große Kampagnen angeregt. Wir wollten nur ein Problem, mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, ansprechen.
8. Individualistisch und geteilt?
Es gab einige Leute, die uns schrieben, dass es besser gewesen wäre, mit anderen eine gemeinsame Linie anzustreben. Aber mit wem? Es existiert kein ständiges Plenum der Schriftsteller. Letztere sind ein paradoxes Rudel losgelassener Hunde, die zu sehr ihre Berufskrankheiten, den Narzissmus und die Absicht sich zu profilieren, pflegen, als dass sie eine eindeutige Position gemeinsam vertreten könnten.
Unter diesen Umständen hat jeder, Schriftsteller, Verleger, Fachleute nach eigenem Gewissen entschieden, wie er sich verhält und reagiert. Und das ist richtig so. Es gibt Aktionen, die nur gemeinsam Sinn machen und andere, die man auch allein ausführen kann, insbesondere, wenn es dringlich ist zu antworten und keine Aussicht auf wirksame Organisierung besteht.
Es liegt nicht ans uns, den Kollegen eine Linie zu diktieren. Wir sind uns aber bewusst, dass unser Handeln andere in ihrer Entscheidung ermutigte. Wir haben sie gezwungen, sich einzureihen und Position zu beziehen. Jeder mit seinen Worten und seinem Stil. Dass sich Schriftsteller zusammentun, kann ihnen nur gut tun.
Sicherlich hat die Aktion der Sache Antifaschismus gut getan.
Ab heute hat Casapound einen Platz weniger zur Verunreinigung.
Die Zollabfertigung der braunen „Kameraden“ beim Eintritt in die kulturelle Welt, hat ihnen einen wichtigen Rückschlag versetzt.
Und jetzt müssen sie Meter um Meter vertrieben werden.
Nicht nur bei Buchmessen, sondern auf den Straßen, in den Stadtvierteln, aus den Städten.
siehe auch:
Übersetzt v. G.Melle
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