Am Horizont, über den im hellen Grün liegenden Rebbergen, kündigt sich ein strahlender Maifeiertag an. In meinem Jahreskalender steht der Zusatz Fête du travail,, Dia del Trabajo, Festa del lavoro. Das liest sich bedrohlich. Ob Fest oder Tag, denke ich, einen Grund die Arbeit zu feiern, habe ich nicht. Und die glatt gebügelte Sprache ist auch nicht gerade Anlass eines Freudenfests zum Lobe einer Abstraktion. Hier im Dorf ist sie das Leid eines autonomen Handwerks, in seinem Überlebenskampf mit der industriellen Arbeit und das der Winzer, die ihm bei ausgedehnten Arbeitstagen einen bescheidenen Anstrich von Wohlstand geben. In vergangenen Zeiten galt Arbeit als geächtet oder auch als geadelt. Den einen ist sie heute Lobgesang auf allen Reichtum, den anderen der Botton am Revers des Loosers.
Einem in den Kämpfen gealterten Gewerkschafter ist sie Anlass zu einem besseren Leben, denn: Brot und Arbeit ruft die Welt/Bete kurz, denn Zeit ist Geld/An die Türe pocht die Not/Bete kurz denn Zeit ist Brot. Was Georg Herwegh 1863 textete, ist für ihn mehr als die Beschreibung einer Realität, es ist der Ausschnitt eines zeitlich fixierten Bildes, das in seiner Vereinfachung kapitalistischer Verhältnisse bis heute tradiert bleibt. Freilich liegt es in den verstaubten Rumpelkammern gewerkschaftlicher und den Ordnern digitaler Archive und dient ab zu noch als romantizierender Rost, um am „Tag der Arbeit“ krächzend ausgegraben zu werden. Sein Material hingegen bleibt wohl nur noch denen zugänglich, die im eher vergeblichen Bemühen, seinen Geist vor der neoliberalen Fahrenheit 451 zu retten, noch nicht an der Frage verzweifelten: „Aber wo ist der Ausweg?“
Die Antwort auf die Frage liefern mit Sicherheit nicht die deutschen Gewerkschaften, sie sind dazu personell wie institutionell nicht mehr in der Lage, sind zu eng verzahnt mit dem System von Herrschaft und seiner Ideologie. Als Negation der alten bundesrepublikanischen, sozialdemokratischen Gewerkschaften (mit sozialem Flügel- Parteienanhang), leben ihre Chefs nun ausschließlich von Gnaden eines europäischen Imperialismus unter deutscher Leadership. Ihnen wurde die letzten Jahrzehnte im aufkommenden neoliberalen Imperium zu verstehen gegeben, entweder ihr kooperiert oder wir demontieren eure Substanz. Der Verlust an Einfluss in Betrieben und gesellschaftlichem Umfeld war alarmierend und überzeugend genug, dass nunmehr aus dem Munde des Pontifex Maximus im Dachverband deutscher Gewerkschaften, in Aussicht der Europawahlen, zu hören war, „Europa jetzt, aber richtig“.
Ein hauptamtlicher Sekretär der IGMetall vor Ort malt dazu ein Bild in buntesten Farben. So als hätte es nie ein GATT-Abkommen, Bolkenstein-Richtlinien, einen Bologna-Prozess , Ceta, TTIP gegeben, bekennt er sich weder zum Naturalismus noch zur naiven Malerei, sondern zeichnet unbekümmert mit der Infantilität eines Senilen die Vorzüge Europas. Das Massengrab Mittelmeer und seine Strände mit profitträchtigen Hotelketten, kein Thema. Die Zerstückelung des Balkan, die Ausweitung der Nato, die Bombardierung Serbiens, vergangen und vergessen. Die globale, bis heute sich fortsetzende Krise? Noch nie gehört. Die drohenden kriegerischen Konflikte im globalen Dreieck? Vermutlich eine Überforderung. Dafür erhalten anwesende Gewerkschaftszombies sechs Forderungen zu den Europawahlen, die an das Marketing der sechziger Jahre von Persil¬Co erinnern.
Die Polemik sei mir erlaubt, denn der Begriff der Zombies scheint ein gutes Bild: die Untoten aus der Vergangenheit, ohne Bewusstheit, die sich auf ein verzerrtes Panorama gesellschaftlicher Konflikte berufen, das sie im Nebel einer dunklen historischen Brühe zu erkennen glauben. Doch das, was sie realiter erleben, ist das Ende der Geschichte, in dem alles gleich und gerecht nach der Skala von Lohn, Preis, Profit taxiert ist.
Ende der Geschichte ist noch nicht die Bewegung der Gilets Jaunes, die am 1. Mai in Paris keck für sich beanspruchte, derzeit die Spitze der Klassenkämpfe in Frankreich zu bilden. Dass auch hier kein Ton auf hiesigen gewerkschaftlichen Maikundgebungen zu hören war, ist kein Zufall und liegt im Interesse des europäischen Kapitals unter deutscher Hegemonie. Die hauptsächlichen ökonomischen Forderungen der GJs, die sie seit 5 Monaten unter heftiger Repression des Gewaltapparates auf der Straße vertreten, wären einer Gewerkschaft in den Zentren des Kapitals würdig, wird aber von keiner aufgenommen und vertreten oder solidarisch unterstützt. Die Bewegung der GJ ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Verschlechterung der Lage der arbeitenden Klassen, unter kräftigem Zutun von sog. linken Parteien und Stillhalten der Gewerkschaften. Rien ne va plus, ist die praktische Konsequenz ihrer wöchentlichen Aufmärsche gegen Macron, Castaner und Konsorten. Ist nur zu hoffen, dass bis zum nächsten 1. Mai, sich die Einsicht der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen internationalistischen Kampffront gegen den Neoliberalismus durchsetzt.