Gilets jaunes, lotta di classe, neo-populismo, sovranismo
Inhalt Teil I:
Der Reformismus am Ende der Epoche der Reformen
Inhalt Teil II:
Die Schwierigkeit der Verallgemeinerung des Kampfes
Die Nahrung des Neopopulismus und Souveränismus
[Teil III in Bearbeitung]
Die Schwierigkeit der Verallgemeinerung des Kampfes
Das Schicksal der Bewegung ist, wie gesagt, von der Fähigkeit abhängig, den Grad der Mobilisierung aufrecht zu erhalten, den Konsens zu festigen und in die Schlacht neue wachsende Verstärkung einzubeziehen. Die „Konvergenz der Kämpfe“ ist mit den Schülern versucht worden. Die wandten sich gegen die Reformen, welche die höheren Schulen modifizieren, sowie den Zugang zu den Universitäten selektiver gestalten und das Universitätsstudium teurer machen wollen. Die Bemühungen um einen Zusammenschluss waren jedoch bisher ohne Erfolg.
Ein weiterer Versuch des Zusammenschlusses wurde (v.a. in der CGT) von Gewerkschaftsaktivisten verfolgt. Sie schlossen sich individuell oder in kleinen Gruppen den Aktionen der Gilets Jaunes an. Innerhalb ihrer Gewerkschaft drängten sie darauf, die Ziele der Bewegung zu den eigenen zu machen und einen gemeinsamen Kampf zu organisieren. Nach anfänglichem Widerstand rief die CGT zu einem Tag gemeinsamer Aktionen auf und versprach, diesen Weg weiterzugehen. Aber wenn sie auch einige der Ziele teilt, verweigert sich die CGT, die Formen des Kampfes, wie auch seine politischsten Aspekte zu übernehmen. Das gilt auch für die Forderung nach Rücktritt Macrons. Das Problem ist nicht nur der Begriffsstutzigkeit der CGT geschuldet. Es verweist auch über die Gewerkschaft hinaus auf jenen Teil des Proletariats, das noch immer gewisse Sicherheiten und Garantien erhält. Es wurde quantitativ zwar stark reduziert, ist jedoch immer noch von bedeutendem Einfluss und es ist zudem an fundamentalen Produktionspunkten in öffentlichen und privaten Unternehmen beschäftigt. Dieser Teil des Proletariats teilt die Forderungen der Gilets Jaunes und steht hinter der Mobilisierung von Streiks in großen und mittleren Unternehmen. Er könnte einen entscheidenden Beitrag für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung leisten. Doch seine Sympathien verwandeln sich nicht in Teilnahme, was nicht nur auf die bremsende Funktion der Gewerkschaften zurückzuführen ist, sondern auch auf den Einfluss tausender Verbindungen, die diese Situation der relativen Garantien, von einer guten Entwicklung der Unternehmen und einem ausgeglichenen Staatshaushalt abhängig machen. Zwischen der Skylla akzeptierter Forderungen und der Charybdis des Risikos, die ökonomische und finanzielle Situation, wie bei einem Generalstreik, zu verschlechtern, wird die Bereitschaft zum Kompromiss, bei dem eventuell noch etwas herausspringt, gegenüber der Option, das Spielfeld zu betreten und der Bewegung zusätzliche Kraft zu verleihen, bevorzugt.
Gleichzeitig ist dieser Teil des Proletariats wenig geneigt, sich in Dynamiken ziehen zu lassen, welche die Einheit Europas gefährden. Es liegt nicht daran, dass er besonders geimpft gegenüber dem nationalistischen Risiko wäre, sondern weil er die Gefahr eines Absturzes in die Dunkelheit befürchtet, die noch mehr seine übrig gebliebenen Sicherheiten gefährdet. Diese Art passiver Sympathisanten hat Macron bisher für sich nützen können und damit vermieden, dass sie in die Bewegung abtauchen. Um sie jedoch gegen die Bewegung zu veranschlagen, braucht er sie als seine Anhänger oder zumindest in der Neutralität. In der Wiederaufnahme der „nationalen Debatte“, mit der er die Angst vor einem generellen Chaos anheizt, welche noch die letzten Reste Sicherheit dieses Teils des Proletariats hinwegfegt, sieht er deshalb seine Chance.
Das Problem ist somit nicht eine „Konvergenz“ des Kampfes zwischen unterschiedlichen Sektoren – deren Realisierung einen Verzicht auf Teile des Programms und/oder der Kampfformen seitens der Gilets Jaunes erforderte -, das Problem besteht in der Verallgemeinerung des Kampfes. Bis jetzt ist sie nicht zu sehen und auch nichts weist darauf hin, dass dies in Kürze in Frankreich eintreten könnte. Auch nicht da, wo die Bewegung verschiedene Versuche der Nachahmung erlebte (nicht immer kohärent zum Modell), mit Ausnahme einiger Episoden in Belgien, die jedoch keinen Massencharakter trugen. Über sie wird nicht durch die Quantität oder Wirksamkeit der an das Proletariat gerichteten Aufforderungen entschieden, sondern allein durch die Reife der objektiven, ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen, die den Rekurs auf die Mobilisierung des heute noch passiven Proletariats ermöglichen.
Beim jetzigen Stand der Dinge könnte Macron das Ergebnis verfolgen, die Bewegung dazu zu bringen, dass sie sich zumindest zeitweise zurücknimmt. Eine der Modalitäten dafür wäre über den Weg der Wahlen. Bis jetzt wurde sie verworfen, könnte aber wieder in Betracht kommen, wenn die Schwierigkeiten des Kampfes obsiegen und/oder anhalten. Eine derartige Entscheidung würde im Geflecht der parlamentarischen Wahlen enden. Die haben ihre besonderen Kräfteverhältnisse, Verfahrensweisen, Kompromisse und sie haben auf andere, nationale und übernationale Einflüsse zu antworten. Mit Sicherheit würde dies die Auflösung des originalen Programms, sowie den Verlust des einzigen Kennzeichens, die Mobilisierung zum Kampf, beinhalten. Nicht umsonst hat der italienische Wirtschaftsminister di Maio einen vergifteten Fleischkloß in diese Richtung lanciert.
Die Nahrung des Neopopulismus und Souveränismus
Auch im Falle eines Rückgangs der Bewegung trägt die Saat Früchte. Zunächst wird es wahrscheinlich sein, dass sie von den souveränistischen/ nationalistischen Dynamiken vereinnahmt wird. Andererseits besteht der Block sich selbst repräsentierender Citoyennes, die sich gegen eine taub stellende Macht wehren, indem sie etwas von ihrer Souveränität über das eigene Lebens zu retten versuchen. Sie versuchen, es den Herrschenden wieder abzutrotzen, die sie, auch dank ihrer aufeinander folgenden Regierungen, ausgebeutet haben. Das bindet die Bewegung an die neopopulistischen Tendenzen, die seit Beginn der Krise 2007, den Widerstand von unten charakterisieren (für eine ausführliche Analyse siehe: Raffaele Sciortino, Zehn Jahre, welche die Welt erschütterten, Asterios). In Anbetracht jener Tendenz enthüllt die Bewegung der Gilets Jaunes eine klare Trennung der Klassen: Diejenigen, die von ihrer eigenen Arbeit leben (Selbst wenn sie mit dem Besitz bescheidener „Arbeitsmittel“ erfolgt, die als Konsequenz die Verschuldung bei den „Herren am Steuerrad“ bedeutet. Sie haben sich derer Macht und Wertschöpfung unterworfen, um mit ihren materiellen oder geistigen Produkten Zugang zum Markt zu erhalten) und den Reichen, die vom Profit, den Zinsen und der Rendite leben. Der souveränistische Ansatz der Gilets Jaunes bewegt sich also auf dem analogem Feld solcher Phänomene, indem er die Privilegien und Unfähigkeit der untauglichen, parasitären Politiker anklagt. Im Unterschied aber zu anderen Erklärungsmodellen, sieht er in den Politikern nicht eine Kaste an sich, sondern begreift sie als Urheber der Regierung der Reichen. In diesem Punkt besteht zwischen den Gilets Jaunes und der Fünfsternebewegung (M5S) eine riesiger Abgrund. Hierin zeigt sich auch die Widersprüchlichkeit in der Dynamik der bisher entwickelten Neopopulismen. Dabei ist jedoch ein Schwinden des Horizonts nicht abzusehen, indem sich der Widerstand der Massen augenblicklich bewegt. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er einen Beitrag zu einer zweiten Auflage des Neopopulismus leistet, mit einem profunderen Auftreten als Klasse und mit einer engeren Verbindung zur Wiedererlangung der Souveränität seitens der Nation.
Einige Ziele der Gilets Jaunes enthalten schon ausbaufähige Elemente in diese Richtung. Sie sind nicht einem angeborenen französischen Chauvinismus geschuldet, sondern ein Resultat der aktuellen Situation der Klassenbeziehungen. Die Bereiche des Proletariats, die zu spüren beginnen, dass sie nicht mehr wie bisher leben können, sind gezwungen, sich mit der letzten Dachziegel zu befassen, die auf sie niederging, nämlich mit der völligen Enteignung der Kontrolle über ihr Leben. Es hat sich entgegen aller Versprechungen weiter verschlechtert.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, verlorene Souveränität zurückzugewinnen. Die Rückeroberung auf individueller Ebene jedoch beginnt unsicher zu werden und sie wird somit als kollektive Tatsache einer Gemeinschaft angegangen, die nicht mehr die strukturelle Grundlage der alten Form von Fabrik oder Klasse besitzt (deren politisch-organisatorischer Horizont in der neuen Situation übrigens keinen Sinn mehr ergeben würde), die aber durch den gemeinsamen Kampf neu gebildet werden können. Die Kampfgemeinschaft strebt nicht danach, „Comune“ zu werden, denn was sie braucht, sind Korrekturen am System, und nichts lässt sie glauben, dass sie nicht möglich sind. Der institutionelle Rahmen, in dem die Souveränität wiedererlangt werden kann, wird so zum Staat, der wiederum eine fiktive Gemeinschaft, aber real im Sinne einer strukturierten Existenz ist. Es wird das Ziel angestrebt, ihn von einem elitären Staat in einen Staat des gesamten Volkes zu verwandeln. Die Richtungsentscheidung, über die Früchte, welche die Bewegung der Gilets Jaunes ernten will, geschieht vor allem durch sie selbst, innerhalb des Rahmens ihres Agierens. Dies sowohl in Bezug auf den Gegner als auch in Bezug auf die Bündnisse des Kampfes.
Was den Gegner angeht, haben die Gilets Jaunes die französische Regierung im Visier. Sie haben ausdrücklich vermieden, die EU als Ziel zu benennen. Aufgrund der gegenwärtigen Dynamik aber, in der die EU die Wirtschafts- und Sozialpolitik der assoziierten Länder überwacht und lenkt, um sie den Erfordernissen der finanziellen Globalisierung zu unterwerfen, ist es nur natürlich, dass die EU ebenso als Gegner der Bewegung betrachtet wird und dass sich die Forderung in puncto Souveränität des Staates des Volkes im Wesentlichen gegen sie richtet. Bannon und Trump feiern, aber wenn der Kampf innerhalb dieses Horizonts bleibt, dann wegen der vorgegebenen Realitäten und nicht wegen der Protagonisten, so sehr es auch wahrscheinlich ist, dass sie ihre eigenen Agenten in der Bewegung haben. Gleichwohl entspricht der Druck von unten, im gegebenen Augenblick oben nur im Souveränismus à la Trump. Der zielt ab auf eine Reform der Globalisierung, in der die Konzertierung im Rahmen der globalen Institutionen durch einen Kampfplatz ersetzt werden sollen, auf dem jeder Staat für sich selbst agiert (unter Beteiligung regionaler Institutionen, wie der EU) und sich aus eben diesem Grund den Interessen und Entscheidungen des Stärksten, den USA, unterwirft. Eine leistungsstärkere Globalisierung unter Ländern und Staaten also, deren Wettbewerb weitaus offener über den der freien Marktwirtschaft hinausgeht. Das scheint eine dieser Ideen Trumps (oder Bannons) zu sein, ist aber in Wirklichkeit für die USA ein zwingend notwendiger Versuch, den drohenden Verfall zu bremsen. Es geht darum, zum Schaden der übrigen Welt, ihren Raubzug zu steigern und zu erneuern, den Versuch Chinas zu torpedieren, die Wertschöpfungskette zu modernisieren (oder auch, sich von den Ursachen des ungleichen Austauschs zu befreien). Und es geht darum, die eigenen europäischen Alliierten, die bisher Nutznießer der imperialistischen Ordnung der USA waren, fester an sich zu binden, sie zum Verzicht auf Vorteile und zu höheren Zahlungen für ihre Sicherheit zu veranlassen. Der Wunsch der Gilets Jaunes bezüglich eines souveränen Staats des Volkes birgt das große Risiko, bewusst oder auch nicht, Wasser auf die Mühlen dieser Reform zu lenken. Um dies zu verhindern reichen jene Ansätze, welche in der Bewegung der Gilets Jaunes auftauchten, über die EU hinauszuschauen, nicht aus. Beispielweise die multinationalen Konzerne unter Beschuss zu nehmen (auch die französischen!), damit sie höhere fiskalische Beiträge leisten oder die Reduzierung ihrer Macht, zu Gunsten des Kleinhandels, anzustreben. Letzteres ist Inhalt der Forderung zur Verteidigung der nationalen Industrie gegen die Aggression der USA, die als Generalangriff angesehen wird. Er erfolgt demgemäß mittels juristischer und finanzieller Versuche, die Geschäfte der großen französischen Unternehmen zu konditionieren oder sich anzueignen (siehe auch: https://www.voltairenet.org/article205186.html)
Der nationalistische Souveränismus (nicht nur der, der Gilets Jaunes) wird somit durch die Tatsachen veranlasst, ausschließlich eine Anti-EU Richtung, die im Grunde gegen Deutschland gerichtet ist, einzuschlagen, gerade auch, weil dies in Washington auf Interesse stößt. Das schließt eine Anti-USA Haltung nicht aus, wenn es der nationalen Bourgeoisie darum geht, sich der US-Hegemonie zu entziehen. Auch wenn es derzeit noch unvorstellbar erscheinen mag, nehmen die Voraussetzungen zu, dass die globale Krise in einem Konflikt zwischen den imperialistischen Ländern mündet, der das Risiko eines Bruchs mit den aus dem zweiten Weltkrieg resultierenden Allianzen in sich birgt (nicht zufällig beinhaltet der nationalistische Souveränismus der AfD in Deutschland bereits vielfältige Elemente dieser Anti-USA Haltung. Das Terrain eines erneuten Versuchs der Klassenauseinandersetzung entspricht dem Terrain der maximalen Unterwerfung des Proletariats unter die kapitalistischen Erfordernisse. Es ist Kanonenfutter in einem Krieg für eine neue Aufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten und dem Versuch staatlicher Subjekte, die wirtschaftliche, finanzielle, militärische und politische Herrschaft abzuschütteln, die die kapitalistische Entwicklung bedingt oder verlangsamt (China, Russland, Indien, Iran usw. ). Nichts Neues, Revolution und Konterrevolution entwickeln sich auf dem gleichen Boden.
Um der Falle des nationalistischen Souveränismus zu entkommen, wäre das Entstehen einer internationalistischen Dynamik von Nöten. Einige Ansätze davon sind bei den Gilets Jaunes aufgetaucht. Einer davon bezieht sich auf die Immigranten. Diejenigen, die schon in Frankreich sind, werden in die Forderungen bezüglich Lohn, Wohnung, Gesundheit und Schule miteinbezogen. Bei den Asylsuchenden, ist ihr Vorschlag, jene ohne Rechtsanspruch auszuweisen, jedoch „die Ursachen der Zwangsmigration zu bekämpfen“. So kryptisch dies auch erscheinen mag, ist es doch weit entfernt von der pharisäischen Propaganda der Migration als freie Wahl, oder von der Zuweisung der Verantwortung allein an die „Menschenhändler“, aber auch entfernt von dem neokolonialen Programm „Lasst uns ihnen zu Hause helfen“.
Es gibt keine eindeutige Distanz zu den imperialistischen Machenschaften (wie im Falle Frankreichs, zum völlig offensichtlichen Kolonialismus und Interventionismus in Afrika und Mittlerem Orient). Aber da ist etwas, was andeutet, dass man sich ihr bedrohlich nähern könnte. Die Teilnahme an der No-Tav-Veranstaltung, wie auch die Einladung zu einer internationalen Veranstaltung in Lille im Rahmen des Acte XVI, am 2. März 19, zeugen von der Bereitschaft zum grenzüberschreitenden Kampf.
Ob die Bewegung samt ihrer Erfolge in der Falle gefangen bleiben, wird letztlich auch davon abhängen, was sich in anderen Ländern entwickelt. Anzeichen von Sympathien und Solidarität gab es verschiedene. Sie reichten von öffentlichen Stellungnahmen, über jene die es nicht in die Medien schafften zu den privaten Kommentaren. Eine Verwandlung der Sympathie in Massenbewegungen mit ähnlichen Merkmalen innerhalb anderer Länder, bedeutet jedoch nicht automatisch ein Anwachsen der internationalistischen Dimension des Kampfes. Es könnte aber die Basis zur Überwindung souveränistischer/ nationalistischer Dynamiken darstellen. Beim Ausbleiben einer solchen Entwicklung jedoch, blieben die Gilets Jaunes unvermeidlich isoliert in ihrem Kampf gegen Regierung, EU und dem gesamten Block weltweiter kapitalistischer Interessen. Sie wären ins enge nationale Korsett gezwungen, mit dem Risiko die souveränistischen/ nationalistischen Dynamiken zu stärken. Diese Art der Isolation, auch auf französischer Seite, wurde bereits vom griechischen Proletariat zu einem harten Preis bezahlt, und wie dort besteht die Gefahr, dass man sich heute gegen die Franzosen und morgen gegen jeden anderen, der sich auf den Weg des Widerstands macht, wendet.
[Teil III in Bearbeitung]
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