für Kombattanten gegen die ISIS (Daesch)
Original: 5/1/19 Wuming
La Procura di Torino chiede la sorveglianza speciale… per chi ha lottato contro l’ISIS
Vor zwei Tagen hat die Turiner Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Sonderüberwachung – mit Aufenthaltsverbot in Turin – wegen „Gemeingefährlichkeit“; gegen fünf Aktivisten und Aktivisten der städtischen Bewegungen gestellt. Die Anhörung findet am 23. Januar statt.
Drei dieser „Gemeingefährlichen“ kennen wir persönlich, und zu mindestens einer ist denen bekannt, die Giap und die Aktivitäten der Wu Ming Foundation verfolgen: Davide Grasso, Autor der Bücher Hevalen. Warum ging ich fort und kämpfte gegen ISIS in Syrien – veröffentlicht in der Serie Quinto Tipo unter der Regie von Wu Ming 1 für Edizioni Alegre – und Il fiore del deserto. Die Revolution der Frauen und Kommunen zwischen dem Irak und Nordsyrien – kürzlich von der Agentur X veröffentlicht.
Das Cover von Hevalen – erfahren wir in einem Kommentar von Davide – liegt den Prozessakten bei. Die Untersuchung führt die Staatsanwältin Emanuela Pedrotta, die eine alte Bekannte für diejenigen ist, welche die Kämpfe No Tav im Valsusa verfolgen und die auf Grund „sachlicher Hinweise“ zur „Gemeingefährlichkeit“ von Davide, Paolo, Eddi, Jack und Jacopo ermittelt.
Deren „Schuld“; besteht nämlich darin, auf verschiedene Weise an der Revolution in Nordsyrien teilgenommen zu haben, d. h. am Kampf der Völker von Rojava gegen die ISIS.
Was bedeutet „Sonderüberwachung“?
Dies ist eine Maßnahme, die, obwohl sie in den verschiedenen „Sicherheitsdekreten“; der letzten Jahre geformt und gemeißelt wurde, zur Linie ähnlicher Maßnahmen im faschistischen Strafgesetzbuch gehört – juristisch und, wenn man so will, spirituell. Sie ist ein Tatbestand, der, wie wir uns erinnern, bei der Überführung in die Republik Italien weitgehend intakt blieb.
Um diese Maßnahme zu beantragen, ist es nicht notwendig, nachzuweisen, dass der Betreffende Straftaten begangen hat: Hinweise der Staatsanwaltschaft auf die „Gefährlichkeit“ seines Umgangs und seiner Lebensweise sind ausreichend. Die Anhörung, bei der die Hinweise bewertet werden, findet unter Beteiligung der verschiedenen Parteien statt, jedoch als nichtöffentliches Verfahren, d. h. hinter verschlossenen Türen.
Die Sonderüberwachung erfolgt aus einem von drei Gründen: Bekämpfung des Drogenhandels, Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Bekämpfung des Terrorismus. In diesem Fall ist der dritte im Spiel: Den ISIS-Terror zu bekämpfen, wäre demnach… Terrorismus.
Bei Sonderüberwachung ist es Norm, den Pass und Führerschein einzuziehen und es werden Lizenzen und Einträge im Berufsregister widerrufen. Es soll der Lebensstil mit einem Bündel von Maßnahmen getroffen werden. Dazu gehört z.B., sich auf Verlangen der Aufsichtsbehörde an festgelegten Tagen vorstellig zu werden, Verbote, wie z. B. mehr als drei Personen gleichzeitig zu treffen (d. h. nicht an Sitzungen, Konferenzen, Buchpräsentationen, Veranstaltungen teilzunehmen), verurteilte Personen zu besuchen (z. B. weil sie ein Sozialzentrum bewohnt haben), nach einer festgelegten Uhrzeit außerhalb des Hauses zu bleiben, etc.
Davide würde also verboten werden, seine Bücher zu präsentieren und über seine Erfahrungen auf seinen Touren durch Italien zu berichten, was er in den letzten zwei Jahren unermüdlich getan hat. Das betrifft auch seine erwähnten Genossen, die Konferenzen und Versammlungen zu Rojava organisierten.
Dem Überwachten wird auch ein Heftchen in die Hand gedrückt, in dem die zu beachtenden Verhaltensmaßnahmen beschrieben werden. Wer Erinnerungen oder Zeugnisse aus der faschistischen Verbannung gelesen hat, kommt nicht umhin, an das berühmte „rote Büchlein“ zu denken, das den in die Strafkolonien Ponza und Ventotene verbannten Antifaschisten ausgehändigt wurde.
Dieses drehen an den Daumenschrauben, mag überraschen: uns jedoch nicht!
Die fünf „Adressaten der Staatsanwaltschaft“ sind auch Aktivisten in der Bewegung No Tav. Wer sich mit der Entwicklung des Val di Susa auskennt, hat noch gut den Antibewegungsaktivismus der Staatsanwaltschaft Turin in Erinnerung, der zuerst von Gian Carlo Caselli und später von Armando Spataro vertreten wurde. Ihr Aktionismus war ein wahrer Karneval, eine auf den Kopf gestellte Welt an Einschränkungen der persönlichen Freiheiten von No Tav und den sie unterstützenden Aktivisten.
Von jenem Karneval hat Wu Ming 1 detailliert in seinem Buch, Eine Reise, von der wir nicht versprechen, kurz zu sein (Einaudi 2016), erzählt. Seine Rekonstruktion der Ereignisse. ist nie dementiert worden. Und obwohl das Buch (dafür gibt es Beweise) Zeile um Zeile von verschiedenen Anwaltskanzleien Turins krampfhaft gelesen wurde, wurde es nie Objekt von Streitigkeiten oder Verfahren des Zivilrechts.

Im Lauf der Jahre hat der sog. Anti-No Tav Pool, den Staatsanwalt Caselli wollte, hochtönende Werke der Anklage konstruiert. Sie wurden in der Mehrzahl durch das Kassationsgericht [dem Bundesgerichtshof entsprechend, d.Ü.] einkassiert. Caselli versuchte mehrmals, den Kampf der No Tav, mit dem Theorem der Nähe zum Terrorismus, zu kriminalisieren.
Die Staatsanwaltschaft in Turin hat in ihrer bisherigen Praxis auch noch beabsichtigt, gewaltige juristische Anstrengungen umzusetzen, die eine Erweiterung des sogenannten Concorso morale beinhalten. Das Experiment ist aber gescheitert, wieder einmal Dank dem Kassationsgericht (hier das letzte Urteil und hier ein Kommentar bei notav.info [in lingua italiana])
Ein weiterer Versuch bestand darin, den Weg der ökonomischen Repression zu beschreiten. Die ins Visier der Staatsanwaltschaft Geratenen wurden mit hohen Schadensersatzforderungen überzogen. Auch das scheiterte , Dank der Solidarität, die den Kampf No Tav begleitet.
Doch dann wurde ein ganzes Feuerwerk vorbeugender Maßnahmen abgeschossen. Es wurden Hausverbote, Zwangsaufenthalte, Hausarreste verhängt… Dem allen wurde mit zivilen Ungehorsam geantwortet, wofür in erster Linie der Name Nicoletta Dosio stand (Wu Ming 1 hat hier [in lingua italiana] darüber geschrieben).
Der Name der Staatsanwältin, der für die Beantragung der Sonderüberwachung steht, ist Emanuela Pedrotta. Er ist in dieser Geschichte einer der geläufigsten. Zusammen mit den berühmteren Andrea Padalino – der in letzter Zeit wegen seiner Arbeit einige Unannehmlichkeiten [hier in lingua italiana] hatte – und Antonio Rinaudo (hier [in lingua italiana] seine interessante, 2014 aktualisierte Biographie), hat Emanuela Pedrotta immer ganz vorne im Kampf gegen mutmaßliche „Subversive“ gestanden. Es genügt nur, die Häufigkeit anzusehen, wo sich mit den Websites von Infoaut und Notav.info beschäftigte.
Aktivist*innen mit Maßnahmen der Einschränkung von Freiheit politischer Bewegung zu lädieren, ist eine nationale Strategie (sie reichen von den schon erwähnten Repressionen bis zum „DASPO urbano„, Variationen eines Städteverbots, das über das Dekret Minniti eingeführt wurde). Das Dekret wurde häufig in Valsusa angewendet. Als Analyse dieser Strategie verweisen wir auf die kürzlich erschienene Broschüre Sonderüberwachung und vorbeugende Maßnahmen (pdf hier [in lingua italiana]). Die Situation bedarf jedoch einer theoretischen Ergänzung und v.a. einer aktuellen Untersuchung der historischen Parallelen, die wir mehrmals gemacht haben: mit der faschistischen Verbannung.
In Verbindung mit unserem Thema, gibt es noch einen weiteren Aspekt, einen qualitativen Sprung, der glücklicherweise den Beobachtern nicht entgangen ist: Es geraten diejenigen ins Visier, die gegen die ISIS gekämpft, oder auch am Kampf Anteil genommen haben.
Aber warum, waren wir nicht alle gegen die ISIS?
In Worten ja, aber bezüglich der Taten gab es über die Jahre einen wirklichen Kampf gegen die ISIS, aber es gab noch einen anderen laut tönenden und vorgetäuschten. Er wurde von unseren Rechten inszeniert, den Islamophoben de‘ noantri1. Sie haben die ISIS als Schreckgespenst benützt, um proletarische Immigranten zu bekämpfen, um die Stadt zu militarisieren, um Restriktionen jeder Art anzuwenden. Die Hypokrisie und Falschheit der verschiedensten Ausgaben von Salvini wurde mehr als einmal von den wirklichen Gegnern der ISIS entlarvt. Davide Grasso machte es mehrmals u.a. mittels des hier aufrufbaren Videos.
Den vorgetäuschten Kampf gegen die ISIS haben aber nicht nur allein die eigentlichen Rechten in Szene gesetzt, und die Anfeindungen gegenüber denen, die wirklich kämpfen, hat zwei Schneiden. Sie kommen auch zum Ausdruck bei einer Rechten, die sich nicht so nennt: dem Partito democratico2. Lesenswert ist diesbezüglich der kondizionierte Reflex von Stefano Esposito, nachdem die Nachricht kam, dass Davide sich in Rojava aufhielt. Davon schreiben wir hier.

Es ist sicherlich keine überraschende Enthüllung, wenn wir sagen, dass der PD der Staatsanwaltschaft in Turin sehr nahe steht. Seine anti-NoTav-, anti-Besetzungs-, anti-anarchistischen Streifzüge, waren immer von besonders leidenschaftlichem Fanatismus.
Aber wir sollten das Thema auch systemisch auf allgemeinerer Ebene angehen.
Warum sollte diese verquerte Partei des Kapitals tatsächlich gegen den Daesch kämpfen. Nehmen wir das Beispiel Saudi Arabien – ein wahrhafter „Islamischer Staat“, dessen herrschende Klasse zu 99% wie der Daesch denkt und der mehrmals beschuldigt wurde, den Daesch zu füttern. Alle bourgeoisen Staaten des Westens machen mit ihm einträgliche Geschäfte. Die Saudis kaufen unsere Waffen, mit denen sie den Yemen zerstören und schenken uns sogar noch eine Rolex. Und warum sollte der Quereinsteiger des Kapitals wirklich gegen den Daesch kämpfen, da er ihn doch braucht? Wir wollen gar nicht von den Beziehungen der EU zur Türkei Erdogans sprechen, der die Dschihadisten aufreißerisch in „anti-kurdischer“ Funktion gebraucht hat.

Nun, ist das also nicht unterhalb der Gürtellinie – oder nicht einmal das? Die Macht zieht die ISIS den sozialen Bewegungen vor, gegen die sie, als ewigem „Gespenst des Kommunismus“, Klassenkampf macht. Die geopolitischen und Internationalen Ereignisse scheinen in diesem Sinn zu sprechen. Genau in diesen Wochen wird die Revolution in Nordsyrien schrittweise der Gefahr einer türkischen Invasion überlassen. Das verschärft alle im Szenario schon vorhandenen Widersprüche, wie auch die in unseren Methoden des Erzählens.
Aber zurück zur inneren Front, die Anhörung am 23. Januar rückt nahe. Wir laden Euch ein, auf jede erdenkliche Art zu dieser schändlichen Angelegenheit zu berichten. Bekundet Eure aktive Solidarität, in allen möglichen praktikablen Formen für die fünf „Sonderbewachten“.
Wir werden weiterhin die Angelegenheit verfolgen, veröffentlichen einen Gastbeitrag von Davide, den er adhoc für Giap schrieb, und informieren – hier auf Twitter – zu weiteren Entwicklungen der Mobilisierung.
übersetzt von FHecker
italienischsprachige Dokumente
Intervista a Jacopo Bindi sul Manifesto del 5 gennaio 2019.
Audio dell’incontro
«Siria: la rivoluzione delle comuni contro ISIS ed Erdogan»
con Davide Grasso, Jacopo Bindi, Maria Edgarda Marcucci (Eddi).
Introduce Wu Ming 1.
Grazie a Radio Sonar per la registrazione. La musica che si sente all’inizio è: Yellowjackets, Song For Carla (2001).
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1. no‘ antri: römischer Slang = eine*r von uns
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2. der partito democratico ist der sozialdemokratische italienische Ableger, der im Unterschied zur deutschen Wirklichkeit, einen Teil der Christdemokraten geschluckt hat. Die italienische Partei steht, wie in Deutschland auch für eine reaktionäre und neoliberale Politik gegen die Arbeiterklasse und ihre fortschrittlichen Bewegungen.
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