Ein Gespenst nimmt uns mit an die Orte des Klassenkampfes, wo wir sehen, dass bestimmte "marxistische" Diskurse gegen die Einwanderung nicht nur nicht marxistisch sind, sondern auch einen Betrug an den Werktätigen darstellen: an Migranten wie Einheimischen.
Etwas zuversichtlicher geworden, lehnte sich Diego an eine Wand in der Straße. – „Gut so! Klettern!“, schrie der Geist von Marx und warf eine sehr lange Strickleiter von einem fernen Punkt des Himmel. Die Leiter rollte sich aus, bis sie fast den Boden berührte. Sie wiegte gelassen vor Diegos Nase.
„Beweg‘ deinen Arsch!“, rief die donnernde Stimme von da oben. Der junge Mann war verängstigt, aber er setzte einen unsicheren Schritt nach dem anderen, zwischen den Gebäuden hinauf, über den Nebel, hin zu den Sternen, bis zu den ersten Wolken. Jeden Moment fürchtete er zu fallen, wagte es aber nicht, sich dem berühmten Philosophen, der 1883 starb, zu widersetzen. Schließlich kletterte er über die Brüstung des Weidenschiffes und sah Marx, wie er die Seile und die Flamme des Heißluftballons bediente, um loszufliegen.
„OK. Diesmal keinen Jet, wir müssen tagsüber reisen und schauen aus der Ferne zu. Du kannst das Zielfernrohr benutzen. Es hat einen guten Zoom.“Diego konnte sich nicht beherrschen: „Lieber Lemur, Meister, aber warum nennst du es Jet“, wenn es das schönes italienische Wort aviogetto [Düsenflugzeug. d.Ü.] gibt.“? Und warum zoome ich? Und vergrößere nicht?“ Und dann dieses OK!“. . .
Marx wurde nun etwas steif. Er kniff seine Augen unter den dicken Augenbrauen zusammen und knurrte durch die Zähne. Er verließ die Führung des Fluggeräts.
„Erstens: Lemur, das kannst du zu deiner Schwester sagen!“
„Aber das ist doch Lateinisch und heißt soviel wie nächtlicher Geist.“
„Ich weiß! Aber auf Google findest du heutzutage nur Dummheiten. Sprache entwickelt sich weiter, du Dummkopf.“
„Ich verstehe.“
„Und woher hast du diesen Mist, keine Fremdworte zu benützen? Bedeutet das die linguistische Verteidigung des Vaterlandes? Arbeiter haben kein Vaterland. Wenn du nur eine halbe Seite von mir gelesen hast, müsstest du bemerkt haben, dass ich alle zwei Zeilen ein Fremdwort benütze. Ist es Englisch, nehme ich das Französische. Ist es Deutsch, gebrauche ich das Englische. Kann man denn im 19. Jahrhundert, ohne ein wenig Kosmopolitismus, ein Mensch von Kultur sein? Und du spielst im 21. Jahrhundert diese Leier? Es ist besser, du verdrückst dich!
„Entschuldigung!“
„Angenommen. Aber jetzt werde ich dieses Vehikel wieder übernehmen, und du geh‘ mir nicht auf die Nerven! OK?
„Ist schon gut!“
„Nicht doch, du sollst «OK» sagen.“
„Aber bitte, das kann ich nicht.“
„Sag‘ es!“
„O…K.“
„Allright.“
Der Heißluftballon war aus dunkelrotem Stoff gefertigt, worauf in eleganten, goldenen Reklame-Lettern im Stil des 19. Jahrhunderts geschrieben war: «ERMEN&ENGELS»1. „Frag‘ nichts“, brummte der Lemur. Vor Tagesanbruch erleichterten die verschlafenen Lichter einer Metropole die Orientierung: „Aber das ist Rom!“, sagte Diego aufgeregt. Das Gespenst gähnte und hielt seinen Kurs. Er ließ die Hauptstadt links liegen.
Ein paar Stunden später, nachdem wir andere kleinere Städte passiert hatten, entdeckten wir, in der Ferne eine wichtige Stadt, die planmäßig und inmitten einer Collage von Rechtecken von Obst- und Gemüsefeldern. in verschiedenen Grüntönen angelegt war.
Marx strafte ihn mit giftigen Blicken. Latina! Ich wollte Latina sagen, korrigierte sich augenblicklich Diego.
„Weißt du, wer die Sikhs sind?, fragte der alte Mann.
„Anhänger eines exotischen Glaubens.“
„Exotisch bedeutet nichts. Korsika wäre für dich auch exotisch. Es ist eine in Indien beheimatete Religion. Es gibt mehr als zwanzigtausend Sikhs, die im Agro Pontino3 unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten, sogar 12 Stunden am Tag, für eine lächerliche Bezahlung. Ihre Bosse oder Vorarbeiter versorgen sie mit Drogen, um den Rhythmus auf den Feldern und in den Gewächshäusern aufrechtzuerhalten: Engels erzählte mir, dass die Kapitalisten in unserer Zeit manchmal ähnliche Methoden in englischen Fabriken anwendeten.
“ Das ist die Folge illegaler Einwanderung.“
„Und wie immer liegst du falsch. Die meisten von ihnen sind legale Einwanderer. Das Bossi-Fini-Gesetz sieht vor, dass die reguläre Einreise des Migranten nach Italien im Rahmen der zuvor festgelegten Ströme erfolgen kann, sofern der Migrant vor seiner Abreise bereits einen Arbeitsvertrag hat. Normalerweise ist es eine Farce, weil dies praktisch unmöglich ist; aber Farcen können zu Tragödien werden. Es gibt Personalvermittler, die in die Dörfer von Punjab gehen und komplette Pakete auf Kredit verkaufen: Kontakt mit dem Arbeitgeber, Reisen, Unterkunft. Migranten sind für 4-8 Tausend Euro verschuldet, und zu diesem Zeitpunkt sind sie den Arbeitsvermittlern ausgeliefert, die sie zwingen können, jeden Job anzunehmen, um die Schulden zurückzuzahlen. Diese Personalvermittler sind mit den Mafias, die den Fondsmarkt dominieren, und mit den Unternehmen verbunden, die einen Teil des Gehalts behalten. Und die Bosse, die sie sofort jagen, wenn sie es wagen zu protestieren, halten weitere tausend Euro zurück, als Pfand für den Abschluss des Arbeitsvertrages, der zur Erlangung und Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung dient.“
„Ja, es ist schrecklich. Aber sag‘, warum akzeptieren sie es? „
„Gerade weil diese Ströme reguliert werden! Das ist es, was den Bossen erlaubt, die Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Einwanderern zu treffen: Es wird eine Hierarchie gebildet. Und um über Wasser zu bleiben und Genehmigungen zu erhalten, werden Sie erpressbar. Aber wer hat dir denn gesagt, dass sie es hinnehmen würden? Schau mal nach unten.“
Sie waren im Jahr 2016. Der Ballon hielt über einem Platz in Latina an. Die Erkenntnis, dass es sich um ein quadratisches Gebäude mit faschistischer Architektur handelt, schenkte Diego viel Freude. Er nahm das Teleskop, um die menschliche Masse zu erkennen, die sich auf dem Platz versammelte.
Es müssten etwa 4. 000 Personen sein. Und zur Abwechslung mal ein Feuerwerk aus roten Fahnen. Sie hörten sehr genau den Reden der Kundgebung zu, die in einer asiatischen Sprache (Diego dachte: exotisch), unter einem dieser großen Werbe-Segel auf einem LKW erfolgte. Fast alle waren Männer mit olivfarbenen Gesichtern, viele mit gewaltigen, dunklen Bärten; viele hatten eine Gewerkschaftskappe auf, andere hatten Turbane in verschiedenen Farben. Wer weiß, ob sie den Kirpan mit sich trugen, das Kurzschwert, das jeder Sikh als Zeichen des Glaubens tragen muss.
„Sie streiken.“ Sie werden eine Gehaltserhöhung auf einem würdigeren Niveau bekommen.
„Wie viel?“, fragte Diego. der weiter am Teleskop klebte.
«Der Genosse Lenin reinigt die Erde von Unrat», Manifest von ViKtor Deni, 1920. Nicht das Vaterland, sondern die Welt, keine Ausbeuter in unserem Haus» Ein Planet ohne Ausbeuter war der Oktobertraum und sein kommunistisches Programm. Zoom: Das Bild anklicken!
Marx und Engels widmeten ihr Leben dem Aufbau von Parteien, von Bewegungen und internationalen Organisationen mit marxistischer Inspiration. Sie hatten jedoch nie ein öffentliches Amt inne, sie waren nicht einmal Berater für Wohneigentum. Der erste Marxist, der mehr als ein paar Tage lang politische Macht an der Spitze einer Revolution gewann, war Lenin. Unter diesem Gesichtspunkt scheinen seine Ansichten zur Frage der Einwanderung etwas aufschlussreicher zu sein, um zu verstehen, wie der Internationalismus in dieser Frage, bezüglich einer politische Agenda, in die Praxis umgesetzt werden kann.
Da unser Freund Diego den Umgang mit den Souveränisten4 (natürlich die der Linken) pflegt und diese nicht nur die italienische, sondern vor allem die russische Heimat, gelenkt von Präsidentissimo Putin, lieben, möchten wir in diesem Umfeld erstmal Bingo machen. Begeben wir uns in die Reihen der Anti-Immigranten, und dem Bindeglied par excellence zwischen Russland und Marxismus: Lenin in Persona. Man könnte eine Tombola veranstalten, dabei käme ein doppelzüngiger Janus, ein sehr russischer heraus, bei welcher Diskussion man sich auch beteiligt: Bei den Rechten? Wird Putin herausgepickt, er ist schön homophob und gegen Immigranten. Bist du ein Linker? Nimm Lenin, denn das ist ungefähr dasselbe.
Es liegt an uns, diesem Projekt ein kleines Hindernis entgegenzusetzen: die historische Realität.
Wie bekannt sein sollte, war Lenin Mitglied der Zweiten Internationale (die Erste wurde 1876-’77 aufgelöst), in der er den linken Flügel vertrat. Er stieß mit der dominanten Linie in der Organisation zusammen, bis er mit den großen Parteien, die dazu gehörten, völlig brach, welche die Internationale bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zerstörten. Der wesentliche Grund für die Auflösung könnte heute wie folgt beschrieben werden: Die meisten sozialistischen Parteien nahmen souveräne Positionen ein und unterstützten ihre nationale Bourgeoisie gegen die anderen [nationalen Bourgeoisien, d.Ü.] im ‚Großen Krieg‘.
Gegen das, was Lenin als Verrat am marxistischen Internationalismus betrachtete, wurde später die Dritte Internationale gegründet, also die Kommunistische Internationale mit Sitz in Moskau.
Lange vor dieser Auflösung, im August 1907, veranstaltete die Zweite Internationale in Stuttgart einen eigenen Weltkongress. Lenin schrieb einen Bericht vom Kongress, in dem er die Vorläufer der zukünftigen souveränen Degeneration der großen sozialistischen Parteien erblickte. So kritisierte Lenin mit Empörung den Versuch einiger Sozialisten der raubgierigsten imperialistischen Länder, einen Antrag zu genehmigen, der jede Form von Kolonialismus (wenn auch „sozialistischen Kolonialismus“)rechtfertigen könnte. Der Versuch wurde besiegt, aber als Symptom machte er Lenin große Sorgen:
Eine weitere Diskussion, in der konfuse Positionen entstanden sind, die in diesem Fall in sehr großer Mehrheit scheiterte, war die zur Frauenfrage und insbesondere zum Wahlrecht: Eine Minderheitenposition behauptete auf Grundlage taktischer Spitzfindigkeit, dass es zuerst notwendig sei, für das männliche Wahlrecht und dann für das allgemeine Wahlrecht zu kämpfen. Dies sollte erwähnt werden, um daran zu erinnern, dass in der Geschichte der sozialistischen und kommunistischen Bewegung der Kampf für die so genannten Bürgerrechte, deren Verunglimpfung ein Streitross von Diego ist, nie verachtet wurde.
Aber es gibt eine interessante Passage in Lenins Bericht über die Migration von Arbeitern. Tatsächlich hatte die Amerikanische Sozialistische Partei (die dies bereits auf dem vorangegangenen Kongress in Zusammenarbeit mit den Australiern und Niederländern versucht hatte) einen solchen Vorschlag vorgelegt: „Kämpfe mit allen dir zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die vorsätzliche Einfuhr billiger ausländischer Arbeitskräfte, die dazu bestimmt sind, Arbeiterorganisationen zu zerstören, den Lebensstandard der Arbeiterklasse zu senken und die endgültige Verwirklichung des Sozialismus zu verzögern“.
Der amerikanische Delegierte Hillquit verteidigte den Vorschlag für Beschränkungen der Einwanderung und sah ihn insbesondere bei den Chinesen und anderen weniger industrialisierten Völkern, „die nicht in der Lage sind, sich den Arbeitern des Adoptionslandes anzupassen“ angebracht. Es ist der gleiche Unsinn, den wir heute über Afrikaner oder Muslime hören, die sich „nicht integrieren“ können. Dieser unsinnige Vorschlag wurde abgelehnt. Das hat Lenin dazu geschrieben:
«Ein paar Worte zum Antrag über Auswanderung und Einwanderung. Auch hier in der Kommission wurde versucht, die engen Interessen des Eigennutzes zu verteidigen, die Einwanderung von Arbeitnehmern aus rückständigen Ländern (the coolie – aus China usw.) zu verbieten. Dies ist derselbe Geist des Aristokratismus, der sich bei den Arbeitern in einigen der „zivilisierten“; Länder findet, die bestimmte Vorteile aus ihrer privilegierten Position ziehen und daher geneigt sind, die Notwendigkeit der internationalen Klassensolidarität zu vergessen. Niemand im Kongress hat jedoch diese Engstirnigkeit der krämerischen und kleinbürgerlichen Ansichten verteidigt. Der angenommene Antrag spiegelt die Forderungen der revolutionären Sozialdemokratie voll und ganz wider.»
Ups! Aber das ist genau das Gegenteil von dem, was Diego uns sagt, demgemäß der „warmblütige Linke und Globalisierer“ kleinbürgerlich ist, dem Proletariat fern steht und aus diesem Grund die Einwanderer verteidigt! Für Lenin aber waren dies gerade diejenigen, welche die Einwanderung verbieten wollten, die der Ideologie und den bürgerlichen Interessen erlegen waren. Mehr noch, Lenin zufolge war die Tatsache, dass unter einigen Arbeitern im Westen die weit verbreitete Forderung nach einem Einwanderungsstopp bestand, auch ein Hinweis darauf, dass die Bourgeoisie eine privilegierte Schicht der Arbeiterklasse „gekauft“ hatte.
Die Polemik mit den amerikanischen Sozialisten endete in den folgenden Jahren nicht. Trotz Stuttgart und den Protesten der japanischen Sozialisten bestand die American Socialist Party auf einer Linie der „linken Fremdenfeindlichkeit“. In einem Brief an eine andere Gruppe amerikanischer Kameraden im Jahr 1915 schrieb Lenin:
″In unserem Kampf für einen echten Internationalismus und gegen den „Jingo-Sozialismus“ erwähnen wir in unserer Presse immer wieder das Beispiel der opportunistischen Führer der P.S. in Amerika, die sich für Beschränkungen der Einwanderung chinesischer und japanischer Arbeiter einsetzen (insbesondere nach dem Stuttgarter Kongress von 1907 und gegen die Stuttgarter Entscheidungen). Wir glauben, dass man nicht internationalistisch sein kann und gleichzeitig für diese Einschränkungen ist. Und wir bekräftigen, dass die Sozialisten in Amerika, insbesondere auch die englischen Sozialisten, die einer dominanten und unterdrückerischen Nation angehören, die sich nicht gegen eine Einschränkung der Einwanderung, gegen den Besitz der Kolonien (Hawaii) und für die volle Freiheit der Kolonien aussprechen, nun, dass diese Sozialisten in Wahrheit Jingoisten sind.“
Mit „Hurrapatriotismus“ meinte man eine Form von heftigem und kriegerischem Nationalismus. Die „Jingo-Sozialisten“würden wir heute als Rotbraune bezeichnen.
Lenin kehrt in seinen Schriften mehr als einmal auf das Thema zurück. Im Jahr 1913 schrieb er einen kurzen Artikel, der sich hauptsächlich auf die Einwanderung in Amerika konzentrierte, der aber von Arbeitsmigration im Allgemeinen spricht. Ein von Fremdenfeinden oft verwendetes Argument ist, dass die antikapitalistische Linke nicht erkennt, dass es heute der Kapitalismus ist, der Migration verursacht und organisiert. Natürlich sind wir uns dessen bewusst; der Punkt ist, dass dies nicht ausreicht, um zu entscheiden, wie man Partei ergreifen soll. So stellt Lenin die Frage:
„Der Kapitalismus hat eine besondere Art der Völkerwanderung geschaffen. Die Länder, die sich industriell schnell entwickeln, mehr Maschinen einführen und rückständige Länder auf dem Weltmarkt verdrängen, erhöhen überdurchschnittlich die Löhne, und ziehen so Lohnempfänger aus diesen Ländern an.
[…] Es besteht kein Zweifel, dass nur extreme Armut die Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen, und dass die Kapitalisten eingewanderte Arbeiter auf die schändlichste Weise ausbeuten. Aber nur Reaktionäre können die Augen vor der fortschreitenden Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung verschließen. Die Befreiung von der Unterdrückung des Kapitals geschieht nicht und kann nicht ohne eine weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den Klassenkampf auf dem Boden des Kapitalismus selbst geschehen. Und genau zu diesem Zweck zieht der Kapitalismus die arbeitenden Massen aus der ganzen Welt an, durchbricht die Stagnation und Rückständigkeit des lokalen Lebens, zerstört nationale Barrieren und Vorurteile, vereint Arbeiter aus allen Ländern in den größten Fabriken und Minen in Amerika, Deutschland usw.“
Sicherlich ist dies ein komplexerer Gedanke als die rassistischen Meme und Beiträge von Salvini: es ist ein dialektischer Gedanke. Lenin sagt gleichzeitig, dass auswandern schrecklich ist, dass die Einwanderung eine ekelhafte Geschäftsmöglichkeit für Arbeitgeber ist, und doch glaubt er, dass Migration eine progressive und sogar revolutionäre Bedeutung hat. Und wie nennt er diejenigen, die diese letzte Wahrheit ablehnen? Reaktionäre. Wir würden heute Faschisten oder etwas in dieser Art sagen.
bufala = Ente = fake
Unter den Websites und Facebook-Seiten, die fremdenfeindliches Gift verbreiten, indem sie „marxistische“ Etiketten auf die Fläschchen kleben, ist „Ufficio Sinistri“ besonders hasserfüllt, eine Seite, die von einem gewissen Vallepiano betrieben wird, der auch Autor eines gleichnamigen Buches ist. Jeden Tag produziert er, mit großem Eifer Stücke der Unterstützung „von links“, zu jedem Schritt von Matteo Salvini und den Hasskampagnen der Lega Nord. Am 14. Juni letzten Jahres veröffentlichte er – offensichtlich ohne Quellenangabe – eine angebliche Rede von Samora Machel (1933-1986), in der sich der antikoloniale Führer Mosambiks angeblich gegen die Auswanderung aus Afrika aussprach und sie als eine konterrevolutionäre Praxis bezeichnete.
In der Diskussion am Ende des Beitrags fragte jemand, der das Denken und die Biographie von Machel gut kennt (ein ehemaliger Emigrant), nach den Quellen; in sehr kurzer Zeit kam heraus, dass sowohl Exzerpt wie Rede frei erfunden waren. Nach vielen Nachfragen auf eine Antwort präsentierte Vallepiano den Titel eines Buches, eine Sammlung von Reden und Schriften von Machel, die schwer zu finden waren. Aber Lorenzo Vianini von der Gruppe Nicoletta Bourbaki fand es am selben Tag und überprüfte es. Er fand keinen Satz, der nur annähernd ähnlich ist. Im Gegenteil: dort sind völlig entgegengesetzte Inhalte zu lesen.
Das sind die Methoden der Rotbraunen. Wir hatten das bereits schon mit dem gefälschten Pasolini-Mem „Vedi, caro Alberto. . .“ (Siehe, lieber Alberto. . . ) erlebt, das in den gleichen Kreisen geboren und verbreitet wurde, um den Antifaschismus zu attackieren. (WM)
En passant, stellen wir fest, dass auch bei Lenin der Kapitalismus die Migration determiniert. Dies geschieht aber nicht in Form einer internationalen Verschwörung, welche die Emigranten betrügt, sodass sie, wenn sie nur die „Wahrheit wüssten“ zu Hause bleiben würden: Allein die Lohndifferenz treibt die Massen von Proletariern dazu, nach einer rationalen Berechnung von einem Land ins andere zu ziehen.
Und was ist mit den nationalen Grenzen? Dieses Thema der Grenzbeamten scheint diejenigen wie Diego sehr zu faszinieren. Ihr wollt uns doch nicht etwa sagen, dass Lenin ein „no border“-Freak war, ein Kosmopolit, für den Grenzen nur imaginäre Linien ohne Bedeutung sind? Nicht genauso, aber wir sind nah dran:
„Die Bourgeoisie stellt die Arbeiter einer Nation gegen die Arbeiter einer anderen und versucht, sie zu spalten. Bewusste Arbeiter, die die Unvermeidlichkeit und Fortschrittlichkeit der Zerstörung aller nationalen Barrieren durch den Kapitalismus verstehen, versuchen zur Aufklärung und Organisation ihrer Kameraden in rückständigen Ländern beizutragen.“
Das Ende des Zitats mag den Arbeitern ärmerer Länder etwas paternalistisch erscheinen, aber wenige Zeilen oberhalb oberhalb, erklärt derselbe Autors, dass es manchmal die Einwanderer selbst sind, die den Einheimischen wertvolle Lektionen im Klassenkampf geben:
„Arbeiter, die in Russland Streiks jeder Couleur erlebt hatten, brachten den mutigeren und offensiveren Geist der Massenstreiks nach Amerika.“
Lenin kehrte 1916 zu diesem Thema zurück, als er eines seiner Meisterwerke schrieb: den Imperialismus, die höchste Phase des Kapitalismus. In dem Text heißt es, dass, wenn in der vorangegangenen Phase des Kapitalismus die Arbeitsmigration (ohne Sklavenhandel) hauptsächlich aus Europa stattfand, in seiner imperialistischen Phase die Einfuhr von Arbeitskräften aus den ärmsten Kolonien und Ländern immer wichtiger wird. Der Imperialismus exportiert Kapital und Truppen in die Kolonien und importiert Rohstoffe und Arbeiter aus ihnen:
„Eine der Besonderheiten des Imperialismus, die mit dem oben genannten Phänomenkreis verbunden ist, ist der Rückgang der Auswanderung aus den imperialistischen Ländern und die Zunahme der Einwanderung in dieselben von Individuen aus rückständigeren Ländern mit niedrigeren Löhnen [. . . . ] In Frankreich sind die Arbeiter der Minen „weitgehend“ Ausländer: Polen, Italiener, Spanier. In den Vereinigten Staaten belegen Einwanderer aus Ost- und Südeuropa die am schlechtesten bezahlten Arbeitsplätze, während amerikanische Arbeitnehmer den höchsten Prozentsatz an Kandidaten für Überwachungsposten und die am besten bezahlten Arbeitsplätze stellen. Der Imperialismus neigt dazu, privilegierte Kategorien unter den Arbeitern zu bilden und sie von der großen Masse des Proletariats zu lösen.“
Lenin verwendet eine entgegengesetzte Kritik zu der, die wir oft hören, wonach die Einwanderung eine Schicht von Quasi-Sklaven geschaffen hat, die sich von der Masse der Arbeiter gelöst hat. Stattdessen schreibt er, dass das Phänomen, um das man sich Sorgen machen muss, die Bildung einer privilegierten Schicht einheimischer Arbeiter ist, die auf die anderen, einschließlich der Einwanderer, herabblicken. Heutzutage muss diese Analyse dank der Dekolonisierung, des großen zahlenmäßigen Wachstums des westlichen Proletariats, der Proletarisierung der Mittel- und Oberschicht, stark reduziert werden. Es bleibt jedoch der Hinweis auf den leninistischen Ansatz: Das Problem sind nicht die Einwanderer und die unteren Schichten der Klasse, das Problem ist die Loslösung der oberen Schichten [der Klasse, d.Ü.) und derjenigen, die versuchen, ihr eine politische Stimme zu geben.
Das Jahr nach der Veröffentlichung des Textes über den Imperialismus ist 1917, das Jahr der beiden Revolutionen. Lenin begann 1917 als Exilant und wurde schließlich Regierungschef der Sowjetunion. Dies ist die Gelegenheit, konkret zu sehen, wie Ihre Vorstellungen zur Einwanderung in die Praxis umgesetzt wurden.
Natürlich war Russland, das nach der Oktoberrevolution durch den Krieg und dann durch den Bürgerkrieg verwüstet wurde, in konterrevolutionäre Intrigen aller Art und gigantische wirtschaftliche Probleme versunken, nicht wirklich das Ziel großer Migrationsströme. Wenn überhaupt, gab es sehr viele Auswanderer: Vertreter der Aristokratie und der Großbourgeoisie, die vor der Revolution flohen, befreite Kriegsgefangene, politische Gegner und Wirtschaftsmigranten unterschiedlicher Herkunft. Mit Ausnahme der politisch-militärischen Anforderungen war die Haltung in den ersten Jahren – also vor dem Stalinismus – jedoch die Umsetzung des bolschewistischen Programms zur Abschaffung der Passkontrollen, sowohl intern (eines der am meisten gehassten Merkmale des zaristischen Regimes, das 1932 von Stalin wieder eingeführt wurde) als auch extern.
Die Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1918 ist außerdem vielleicht mehr als ein rechtlicher Hinweis, ein politisches Dokument, das die langfristigen Absichten und allgemeinen Prinzipien des neuen Regimes zum Ausdruck bringt. Zum Thema Einwanderung äußert sie Positionen einer radikalen Öffnung der Grenzen:
Konstitution der Föderativen Russischen Republik
Art. 20. Aufgrund der Solidarität der Arbeiter aller Nationen, gewährt die Russische Sozialistische Föderative Föderative Republik der Sowjetunion Ausländern, die sich zu Arbeitszwecken auf dem Territorium der Russischen Republik aufhalten und zur Arbeiterklasse gehören, oder Bauern, die sich nicht der Arbeit anderer bedienen, alle politischen Rechte russischer Bürger und erkennt das Recht der lokalen Sowjets an, diesen Ausländern ohne weitere schwierige Formalitäten die Rechte der russischen Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Art. 21. Die Russische Sozialistische Föderation gewährt allen Ausländern, die wegen politischer und religiöser strafbarer Handlungen verfolgt werden, Asyl.
Art. 22. Durch die Gewährung gleicher Rechte an die Bürger, unabhängig von ihrer Rasse oder Nationalität, erklärt die Russische Sozialistische Föderative Republik die Begründung oder Duldung von Privilegien oder Präferenzen jeglicher Art, die aufgrund ihrer Rasse oder Nationalität gewährt werden, sowie jede Unterdrückung nationaler Minderheiten oder die Einschränkung ihrer Rechtsgleichheit für unvereinbar mit den Grundrechten der Republik.
Deshalb: in Artikel 20 freie Einwanderung und Staatsbürgerschaft für alle, in Artikel 21 Aufnahme für alle Flüchtlinge, in Artikel 22 absolutes Verbot rassistischer oder ethnischer Diskriminierung. Eine linke Partei, die so leninistisch ist, dass sie diese Punkte in ihrem Programm hat, würde sicherlich von Diego beschuldigt werden, im Dienste des globalisierten Kapitalismus zu stehen. Wie viele Revolutionen hat Diego gemacht? Keine? Nun also: dann ist es besser, sich dem Oktober anzuvertrauen.
«Arbeiter aller Länder und unterdrückte Völker der Kolonien, haltet die Fahne Lenins höher.» Poster von V. B. Koretskij del 1932.
Er hoffte auf einen Hubschrauber, ein Wasserflugzeug, ein Raumschiff. Aber in dieser vierten Nacht kam der Geist von Karl Marx nicht mehr. Diego ging ein wenig enttäuscht wieder nach oben und schlief die ganze Nacht.
Am Morgen war er noch etwas durcheinender. Er wollte noch einmal etwas Text lesen, um zu lernen. Vielleicht war es Zeit für eine Veränderung.
Aber die Erinnerung an den Geist verblasste bereits. Alles, was passiert war, erschien ihm unwirklich und unerklärlich. Es konnte nicht wirklich passiert sein, weder die Reisen mit dem Geist von Marx noch all die Kämpfe, die von Fremdländischen, von entwurzelten Turbosklaven, von Marionetten des bürgerlichen Kosmopolitismus geführt wurden; und was haben die dann dort in der Mitte, auf den Feldern und in den Werkstätten getan? Sie schwenkten Fahnen dieser warmblütigen Linken, die nur an Schwule und Bürgerrechte denkt? Unglaublich, verträumt und falsch.
Er nahm sich vor, die Geschichten einzeln im Internet zu überprüfen, um zu sehen, ob sie wahr waren, was sich dahinter versteckte, was danach geschah; er wollte in den Zeitungen nach anderen Vorkommnissen suchen, in anderen Wirtschaftssektoren, nach anderen Forderungen. Er wollte herausfinden, welche Beziehungen sie zu den Italienern hatten, die mit ihnen zu tun hatten.
Aber etwas anderes kam dazwischen: Er bekam eine Nachricht von einem bestimmten „Adriano CasaPound“ auf sein Handy mit folgendem Inhalt: Hast du die Geschichte mit den Niggern in Rozzano gesehen? Schreib darüber was im Primato Nazionale, los gehts“
Als er das Telefon vom Nachttisch nahm, sah er, dass es auf einem Bündel von Rechnungen ruhte, die bezahlt werden mussten: Strom, Gas, digitale Abonnements. . . Und der Vertrag mit der Universität der Ciellini lief im September aus.
Er antwortete: „Ich schreibe es noch heute.“
„In Ordnung, Kamerad. Nobis!“ antwortete Adriano.
Diego schüttelte den Kopf, um seine lästigen Gedanken zu vertreiben.
Es ist nicht möglich, die gesamte Geschichte der weltweiten Linken mit all ihren verschiedenen Graden an Kohärenz und Antikapitalismus zu durchforschen, um herauszufinden, wo und wann eine ähnliche Position, wie die Diego‘s, zur Einwanderung in einer Partei, Gewerkschaft oder Bewegung dominierte.
Aus unseren durchgeführten Untersuchung geht hervor, dass wir aber ausschließen können, dass dies bei Marx, Lenin und ihren engsten Mitarbeitern der Fall war. Im Abschnitt über Lenin haben wir jedoch gesehen, dass hier und da in der sozialistisch-kommunistischen Weltbewegung abweichende Positionen zur Immigration entstanden sind, die zur theoretischen Auseinandersetzung zwangen, um die Grundideen des Internationalismus zu verteidigen. Auch die von Lenin und Trotzki gegründete Dritte Internationale, der Gramsci und Bordiga aus Italien beigetreten waren, hatte in dieser Hinsicht ihre Nüsse zu knacken. Auf ihrem vierten Kongress, 1922, diskutierten die dritten Internationalisten die „Ostfrage“, ein Ausdruck, der damals das bedeutete, was wir die „Kolonialfrage“ oder die „Drittweltfrage“ nennen könnten.
Wie wir schon Jahre zuvor auf den Kongressen der Zweiten Internationale gesehen hatten, waren die Länder, in denen die Linke stärker mit dem fremdenfeindlichen Virus infiziert war, auch die reichsten, die an den Ozeanen gelegenen Länder Großbritannien, Kanada, USA, Australien, Japan. Aus sozialen, kulturellen, historischen und sogar trivialen geographischen Gründen – Schiffe, die den Ozean überqueren, wie die heutigen Boote und Rettungsschiffe im Mittelmeer, sind auffälliger als Landmigrationen und bringen Menschen aus abgelegeneren Orten – schlug die Gewerkschaft und die reformwillige Linke in diesen Ländern verschiedene Formen der Regulierung vor oder blockierte die Einwanderung, gegebenenfalls selektiv bezüglich einiger Länder, die „barbarischer“ sind.
„Angesichts der drohenden Gefahr sollen die Kommunistischen Parteien der imperialistischen Länder (Amerika, Japan, Großbritannien, Australien und Kanada) nicht nur Propaganda gegen den Krieg verbreiten, sondern müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Faktoren zu beseitigen, die die Arbeiterbewegung in ihren Ländern desorganisieren und es den Kapitalisten erleichtern, nationale und rassische Antagonismen auszunutzen.
Diese Faktoren sind das Problem der Einwanderung und der billigen Schwarzarbeit.
Die meisten der farbigen Arbeiter, die aus China und Indien zur Arbeit in die Zuckerplantagen des südlichen Pazifik gebracht wurden, wurden nach wie vor im Rahmen des Schuldknechtschaftssystems eingestellt. Dies veranlasste die Arbeiter in den imperialistischen Ländern, die Einführung von Gesetzen gegen Einwanderung und Schwarzarbeit sowohl in Amerika als auch in Australien zu fordern. Diese restriktiven Gesetze vertiefen den Gegensatz zwischen farbigen und weißen Arbeitern, der die Einheit der Arbeiterbewegung spaltet und schwächt.
Die Kommunistischen Parteien Amerikas, Kanadas und Australiens müssen energisch gegen restriktive Einwanderungsgesetze kämpfen und den proletarischen Massen in diesen Ländern erklären, dass diese Gesetze, indem sie den Rassenhass schüren, sie letztendlich betreffen werden.
Die Kapitalisten sind gegen restriktive Gesetze, im Interesse des freien Imports billiger Schwarzarbeit, um dadurch die Senkung der Löhne der weißen Arbeiter zu erreichen. Die Absicht der Kapitalisten, in die Offensive zu gehen, kann nur auf eine Weise angegangen werden: Immigranten müssen in die Reihen der bestehenden Gewerkschaften der weißen Arbeiter aufgenommen werden. Gleichzeitig muss gefordert werden, dass das Gehalt der schwarzen Arbeitnehmer auf das gleiche Niveau wie das der weißen Arbeitnehmer angehoben wird. Ein solcher Schritt der Kommunistischen Parteien wird die Absichten der Kapitalisten offenbaren und gleichzeitig den schwarzen Arbeitern offen zeigen, dass das internationale Proletariat keine rassischen Vorurteile hat.“
Das System der Schuldknechtschaft ähnelt sehr dem Los unserer Sikh-Immigranten aus dem Agro Pontino und ihren Sklavenhändlern (die mafiösen und den Geruch illegaler Arbeit an sich haben), das nicht hundert Jahre zuvor, sondern heutzutage. Wer weiß, ob Diego schon einmal davon gehört hat…
Ab dem Ende der Zwanziger Jahre begann der Stalinismus, die Volksfront, die Volksdemokratien, die Dekolonisierung, der Maoismus entwickelten sich mehr oder weniger eklektische revolutionäre Bewegungen. Es begann auch die Transformation vieler kommunistischer Parteien von der revolutionären leninistischen Avantgarde zu einer dem Kapitalismus angenehmeren Massenpartei… Innerhalb der Linken wurde die theoretische Striktheit gelockert, was auch an den bisher dargestellten Beispielen zu sehen ist. Innerhalb der Linken wurde die theoretische Striktheit gelockert, was auch an den bisher dargestellten Beispielen zu sehen ist. Das schmälert jedoch nicht die Tatsache, dass im Prinzip keine Anti-Immigranten Positionen eingenommen wurden, so wie sie heute, wie bei Diego, von den selbsternannten marxistischen Souveränisten vertreten werden.
Als weiteres Beispiel nennen wir hier Paolo Cinanni (1916-1988). Er nahm an den Kämpfen um die Befreiung Italiens gegen die Faschisten teil, und er hatte eine führende Rolle in den Nachkriegsjahren bei den Kämpfen der Landarbeiter*innen inne. Cinanni war ein Intellektueller des PCI [KPI, Kommunistische Partei Italien, d.Ü.] Mit Carlo Levi gründete er die Federazione Italiana Lavoratori Emigrati e Famiglie [Italienische Emigranten Förderation für Arbeiter*innen und Familie, d.Ü.]. Im Rahmen der FILEF wuchs seine bedeutendste theoretische Arbeit, Emigration und Imperialismus. Wir sind auf Cinanni gekommen, weil ein Freund von Diego, der ihn gelesen hat, ihn in einem No Euro Blog, für eine Polemik auf Twitter, der unteren Liga, herausgekramt hat.
Wie bei vielen anderen auch besteht die Basis der Instrumentalisierung dieses Autors, die Schließung der Grenzen zu befürworten. Es ist eine völlig kindliche Arbeitsweise: Man nehme etwas von der Analyse und gibt zu verstehen, dass daraus eine ähnliche Praxis folgt, wie die von …. Salvini.
Diese Vorgehensweise ist besonders irritierend und respektlos gegenüber militanten Autoren wie diesem, der klar und deutlich ausgedrückt hat, welche politische Praxis aus der eigenen Analyse folgen sollte. So aus der Analyse zitieren konnte nur ein Souveränist mit viel Haaren auf den Zähnen, als handele es sich um die Unterstützung der eigenen Position.
„Die Emigration erzeugt in Wirklichkeit Zerfall, der neue Emigration hervorruft. Es ist eine Spirale, die unsere Regionen einem atemlosen Exodus aussetzt. Die einzige Ware, die sie fortwährend produziert, ist die Arbeitskraft. Mit ihrem Wegzug sind nicht nur die bisher ausgegebenen Kosten für die Ausbildung verloren – je qualifizierter, desto teurer – sondern vor allem auch der Mehrwert, den sie in ihren Regionen, wo sie eingesetzt werden, zu ihren besonderen Bedingungen der Ausbeutung produzierten.“
„Hört, hört…!, ereifert sich Diego, „Cinanni sagt, dass Emigration eine hässliche Angelegenheit ist, die Ausbeutung produziert. Geben wir Diego ein Beruhigungsmittel und erklären wir ihm, dass uns Cinanni gerade das nicht sagen wollte. Bei allem Respekt: Wir haben alle Verwandte, die auswanderten, die sich normalerweise dieses Schicksal ersparen wollten. Wir haben aber vor allem den erbärmlichen Zustand der italienischen südlichen und insularen Provinzen, mit ihrer großen Auswanderung (intern oder international), vor Augen.
Was uns Cinanni sagt, ist dass Emigration, zum Vorteil der Ankunftsländer, die Herkunftsländer ärmer werden lässt, das bedeutet für unsere heutigen Verhältnisse, dass Migration ökonomische Ressourcen der Herkunftsländer zum Vorteil der italienischen Unternehmer verschiebt. Es ist also genau das Gegenteil von dem, was heutzutage die Fremdenfeinde propagieren5. Genaugenommen ist von den Ankunftsländern ein ökonomischer Ausgleich für die Herkunftsländer zu fordern, was nach Cinanni nicht geschieht.
Seine Analyse ist auch mit der Theorie inkompatibel, dass Immigration Arbeitslosigkeit erzeugt. Cinanni erklärt, dass wenn sie jemand erzeugt, es die Emigranten sind. Wie Marx will er zeigen, die Anzahl der Beschäftigten (und die der Arbeitslosen) keine fixe, sondern eine dynamische Größe ist.
Aber wenn die Emigration ein kapitalistisches Übel ist (Das Übel der Emigration, lautet der Titel einer seiner Schriften), ist dann Immigration nicht ein sozialistisches Wohl? Nein. Und er erklärt gut warum:
„Die Arbeitsmigration heute ruft Konkurrenz und Gegensätze inmitten der arbeitenden Klasse hervor: obwohl bekannt ist, dass die Immigration dem produktiven Prozess erlaubt, einen längeren Atem zu haben, das Spektrum der Produktionsbereiche zu erweitern und das gesamte Zielland der Immigration in seiner Entwicklung beschleunigt, bekommt der eingewanderte Arbeiter nicht selten zu hören, das er dem lokalen Arbeiter Arbeit und Brot wegnimmt.
Es sind dieselben herrschenden Klassen, die einerseits Immigration fördern und andererseits Angst haben vor der Einheit der einheimischen und ausländischen Arbeiter. Sie führen deshalb gleichzeitig fremdenfeindliche Kampagnen, die sich an den unterschiedlichsten Ereignissen und zufälligen Vorkommnissen orientieren.
So führt die Tageszeitung von Fiat in Turin eine planmäßige antimeridionale Kampagne. In der Schweiz ist es der Industrielle Schwarzenbach, der Chef der fremdenfeindlichen Partei, der eine rasende xenofobische Kampagne führt, die den naiven, unbedarften lokalen Arbeitern sogar Verbrechen einredet und so unter den Immigranten unschuldige Opfer in Kauf nimmt.“
Für Cinanni, wie bei uns auch, ist die Fremdenfeindlichkeit eine Waffe der Kapitalisten, die ihren Migrationspolitiken nicht widerspricht, sondern sie ergänzt.
Hier haben wir erneut einen dialektischen Gedankengang vor uns, der uns die Anstrengung abverlangt, die Widersprüche zu begreifen. So wie es wahr ist, dass die Kapitalisten versuchen die Arbeiter zum Zwecke einer besseren Ausbeutung zu dividieren, so ist es auch wahr, dass die Immigration keine grundlegenden ökonomische Probleme verursacht. Sie produziert tendenziell ein ökonomisches Wachstum, das sich nahezu proportional zum Wachstum der Bevölkerung verhält.
„Proportional zur Masse der Arbeitsmigranten, erhöht sich auch die Produktion in allen ihren Bereichen: auf dem Markt steigt die Nachfrage nach Konsumgütern, ohne dass dies – wenn es keine unerlaubte Spekulation gibt – irgendwelche störende Auswirkungen auf die Ökonomie des Landes mit sich bringt. Denn der Emigrant produziert immer mehr als er konsumiert, und das bedeutet die beste antiinflationäre Garantie“
Es geht also nicht um die Verteidigung der nationalen Ökonomie angesichts einer katastrophalen Bedrohung. Diese Gefahr gibt es nämlich nicht und vermutlich wird die nationale Ökonomie von den eingewanderten Arbeitskräften profitieren. Wenn es darum geht, den Lebensstandard der Arbeiter, Angestellten und weiterer Lohnabhängiger zu verteidigen, sodann nur, indem größere Scheiben am Profit des Kapitalisten abgerungen werden. Aber wie? Zuallererst demontiert Cinanni den Slogan „Zuerst die Italiener“ (oder zuerst die die Deutschen, die Belgier etc…, oder wie in seinem Beispiel: zuerst die Europäer der EU)
„Jede Arbeitskraft der Immigranten, soll, unserer Meinung nach, den einstellenden Wirtschaftsbereich das „kosten“, was die lokale Arbeitskraft kostet. Doch wird in Wirklichkeit das Gegenteil bevorzugt. Doch der Unterschied in der Handhabung setzt die Arbeiter unter sich der Konkurrenz aus. Die Einheit des Arbeitsmarktes wird zerbrochen und die Einheit der Klasse untergraben. Jede Perspektive eines sozialen Fortschritt wird so zu Nichte.
Die Emigration darf nicht zur „modernen Reservearmee“ werden, mit der die lokale Arbeiterklasse erpresst wird. Kostet die Arbeitskraft der Immigranten weniger, erzielt das Kapital einen höheren Profit. Objektiv – auch, wenn es ihnen nicht bewusst ist – verdichten sie die Konkurrenz auf die lokalen Arbeiter. Sie beschwören alle Furien der Diskriminierung, eines öffentlichen Scherbengerichts und der Fremdenfeindlichkeit.“
Nach Cinanni, bilden die Immigranten keine industrielle Reservearmee, denn sie haben ähnliche Beschäftigungsquoten wie die Einheimischen. Es wäre aber genau die Umsetzung von Slogans „Zuerst die Italiener“, die sie dem Risiko aussetzten ein solches zu werden: Arbeitslos und ökonomisch von der arbeitenden, einheimischen Klasse getrennt, üben sie Druck zur Senkung derer Löhne aus. Umgekehrt ist für die Arbeiterbewegung eine Gleichstellung der Arbeitskosten von Immigranten mit denen der Einheimischen, eine Lebensnotwendigkeit. D.h., die Löhne der Immigranten müssen bis zur Gleichstellung angehoben werden.
Man wird uns antworten, dass dies utopisch sei, da es sich bei den Immigranten um zerlumpte Arme handele, die in Baracken leben. Sie sind nichts anderes als Lumpenproletariat, die sich nicht gleichstellen können. Jedoch für das Italien heute, ist dies falsch. Dies zeigt die Verteilung der Einkommen:
Gehälter 2011 nach Staatszugehörigkeit
Italiener I UE I Nicht UE I UE/Italiener I Nicht UE/Italiener