Raúl Zibechi, scrittore e giornalista uruguayano dalla parte delle società in movimento è redattore del settimanale Brecha. I suoi articoli vengono pubblicati con puntualità in molti paesi del mondo, a cominciare dal Messico, dove Zibechi scrive regolarmente per la Jornada. In Italia ha collaborato per oltre dieci anni con Carta e ha pubblicato diversi libri: Il paradosso zapatista. La guerriglia antimilitarista nel Chiapas, Eleuthera; Genealogia della rivolta. Argentina. La società in movimento, Luca Sossella Editore; Disperdere il potere. Le comunità aymara oltre lo Stato boliviano, Carta. Territori in resistenza. Periferia urbana in America latina, Nova Delphi. Il suo ultimo libro, Descolonizar. Il pensamiento critico y las practicas emancipatorias, sta per uscire in Colombia per le edizioni desde abajo. Molti altri articoli inviati da Zibechi a Comune-info sono qui.
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Die Geopolitik hilft uns die Welt, in der wir leben, zu verstehen. Vor allem gilt dies für turbulente Zeiten wie die derzeitigen. Ihr prinzipieller Charakter besteht in einer fortwährenden Folge von Veränderungen und permanenten Schwankungen. Doch die Geopolitik hat ihre Grenzen, wenn es darum geht, die Aktivitäten anti-systemischer Bewegungen anzusprechen. Die Geopolitik bietet uns eine Lesart des Szenarios an, in der sie agieren. Sie kann jedoch nicht die zentrale Deutung der emanzipativen Kämpfe liefern.
Meine Art die Dinge zu sehen, verdanke ich Immanuel Wallerstein, der in äußerst präziser Weise, die Beziehung des Chaos im Weltsystem zu seiner revolutionären Transformation mittels der Bewegungen erklärt hat. In seinem erst kürzlich verfassten Artikel, „Schmerzlich ist es inmitten des Chaos zu leben„, unterstreicht er, dass sich das Weltsystem selbst zerstört, während 10-12 Mächte mit ausreichender Kraft koexistieren, um noch autonom handeln zu können. Wir befinden uns inmitten des Übergangs von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt: ein Prozess, der notwendigerweise chaotisch verläuft.
Vor allem in Zeiten der Instabilität und Krisen kann die Aktivität von Bewegungen in sehr wirksamer Weise über die Neudefinition der Welt entscheiden. Es ist ein Fenster der Gelegenheit, ein zwangsläufig kurzer Augenblick in der Zeit. Während aufgewühlter und nicht in ruhigen Zeiten, ist es der menschlichen Aktivität möglich, den Verlauf der Ereignisse zu beeinflussen. Deshalb ist die derzeitige Periode von Bedeutung.
Einige Arbeiten von Wallerstein, veröffentlicht in der Sammlung „El Mundo del Siglo XXI„, die von Pablo Gonzaléz Casanova zusammengestellt wurde, beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen dem systemischen Chaos und dem Übergang zu einem neuen Weltsystem (Después del liberalismo e Impensar las ciencias sociales, Siglo XXI, 1996 y 1998). In „Marx und die Unterentwicklung„, 1985 auf Englisch publiziert, betont Wallerstein „die Notwendigkeit, unsere Metapher bezüglich des Übergangs zu überdenken“, denn wir sind seit dem XIX. Jahrhundert dabei, über adäquate Wege der Machtergreifung zu debattieren: jene evolutionären und jene revolutionären.
Ich glaube, dass seine polemischste Anmerkung gleichzeitig auch die überzeugendste ist, so wenn er schreibt, dass wir den Übergang „als ein Phänomen, das zu kontrollieren sei“ betrachten (La scienza sociale: come sbarazzarsene. I limiti dei paradigmi ottocenteschi, Milano, Il saggiatore, 1995). Wenn man den Übergang, wie es heute die Theoretiker der Komplexität machen, nur als Konsequenz einer Bifurkation im Innern eines Systems in einer Situation des Chaos festmacht, also vorgibt, sie zu lenken, ist dies sowohl illusionär wie auch Risiko, eine Ordnung, die sich auflöst, erneut zu legitimierten, insofern man sich auf die Staatsmacht beruft.
Doch heißt dies nicht, dass nichts zu machen sei. Das Gegenteil ist der Fall. Wallerstein schrieb in dem zitierten Text: „Wir brauchen keine Angst vor dem Übergang zu haben, der das Aussehen eines Zusammenbruchs, einer Auflösung annehmen kann, der ungeordnet und in gewissem Sinn anarchisch, aber nicht notwendigerweise katastrophal, verlaufen kann.“ Dann fügt er hinzu, dass Revolutionen, die bessere Arbeit beim Zusammenbruch des Systems verrichten.
Dies wäre die primäre Art und Weise, auf den Übergang Einfluss zu nehmen: den Zusammenbruch beschleunigen, das Chaos vergrößern. Wie Wallerstein selbst feststellt, ist die Zeit des Chaos schmerzhaft, jedoch kann sie auch fruchtbar sein. Mehr noch: Der Übergang zu einer neuen Ordnung ist immer schmerzhaft, denn wir sind Teil dessen, was sich im Umbruch befindet. An lineare und ruhige Übergänge zu denken, heißt, der Ideologie des Fortschritts zu huldigen.
Nach 1994 begannen wir eine zweite Art und Weise, wie auf den Übergang einzuwirken wäre, kennen zu lernen. Dies erlaubt uns, unsere früheren Überlegungen anzureichern. Es handelt sich um das Schaffen einer neuen Welt: hier und jetzt. Aber nicht als ein entworfenes Bild, sondern als konkrete Realität. Ich beziehe mich auf die Erfahrungen der Zapatisten. Ich halte beide Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen (Zusammenbruch und Schaffen), für komplementär.
Auf den Territorien, in denen sich die Basen des Zapatismus befinden, wurde eine neue Welt geschaffen. Es ist nicht „die“ Welt, die wir uns mit unserer alten Metapher des Übergangs vorgestellt haben: der Nationalstaat als Konstruktion einer symmetrischen Totalität zur kapitalistischen, die beansprucht, ihre Negation zu sein. Wenn ich jedoch etwas von dem gelernt habe, was uns während der Escuelita in den Stützpunkten beigebracht wurde, ist es, dass in dieser Welt alle Zutaten einer neuen Welt vorhanden sind: von den Schulen bis zu den Hospitälern und bis zu den autonomen Formen der Regierung und der Produktion.
Diese neue Welt wird, im Augenblick einer Verschärfung des systemischen Chaos, zu einem notwendigen Bezugspunkt für die unteren Schichten. Viele glauben nicht, dass sich das systemische Chaos noch mehr verschärft. Dennoch haben wir ein Kriegsszenario der Staaten untereinander wie im Innern der Staaten vor uns. Es wird durch den laufenden „vierten Weltkrieg“ ergänzt, dem Krieg des Kapitals gegen die Völker. Dies sind einige der chaotischen Verhältnisse, die wir sehen können und die zeitlich, im selben Zeitabschnitt, zusammenfallen können. Dies zusammen mit dem klimatischen Chaos und dem „gesundheitlichen Chaos“ (nach den Prognosen der WHO durch einen baldigen und unausweichlichen Verlust der Wirksamkeit von Antibiotika).
In der Geschichte ereigneten sich die großen Revolutionen inmitten schrecklicher Kriege und Konflikte, als eine Reaktion von unten gegen den sich vollziehenden Zusammenbruch. Während des Kalten Krieges war die Hypothese weit verbreitet, dass die rivalisierenden Mächte keine Atomwaffen anwendeten, weil sie die gegenseitige Vernichtung fürchteten. Heutzutage gibt es nur noch wenige Befürworter, die sie verteidigen würden.
Eine neue Metapher des möglichen Übergangs taucht vor uns auf: Wenn das Weltsystem zu zerfallen beginnt und einen Tsunami an Chaos erzeugt, müssen die Völker das Leben verteidigen und es rekonstruieren. Dabei werden sie wahrscheinlich die Art von Konstruktionen annehmen, die von den Zapatistas geschaffen wurden. Dies geschah in den langen Übergängen von der Antike zum Feudalismus und vom Feudalismus zum Kapitalismus. Inmitten des Chaos zeigen die Völker gewöhnlich auf Ordnungsprinzipien, wie dies auch einige indigene Gemeinschaften unserer Zeit tun.Etwas davon passiert schon.
Etwas davon passiert schon. Einige Priístas-Familien (Anhänger des PRI, Partito Rivoluzionario Istituzionale messicano) wenden sich an die Gesundheits-einrichtungen der Caracoles und andere suchen über die Ausschüsse der guten Regierung eine richtige Lösung für ihre Konflikte. Niemals haben die Massen Alternativen zum System ad hoc vertreten. Eines Tages ist es eine Familie, die dies tut, dann eine andere, und so weiter. Wir gehen in eine neue Welt, inmitten von Schmerz und Zerstörung.
Quelle: la Jornada
Original: Caos sistémico y transiciones en curso
Übersetzung von Comune-info: Roberto Greco
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