Mein Gott, der Antisemitismus

Autor: Gideon Levy, Quelle: http://www.internazionale.it/opinioni/gideon-levy/2014/08/14/mio-dio-lantisemitismo/

Mio dio, l’antisemitismo

Für Juden ist Israel heutzutage der gefährlichste Ort in der Welt. Seit seiner Gründung sind in Israel mehr Juden durch Kriege und terroristische Attacken umgekommen als anderswo. Der Krieg in Gaza jedoch hat diesen Unterschied reduziert: mehr als jeder andere Krieg gefährdet er die Juden in der übrigen Welt.

Das Haus der Juden, die Zuflucht der Nation, bietet nicht nur nicht mehr Schutz, sondern bedroht direkt die Juden auch anderswo. Bei der Einschätzung der Auswirkungen des Krieges muss auch dies unter den Verlusten berücksichtigt werden.

Eine Welle der Empörung bemächtigt sich der öffentlichen Weltmeinung. Im Gegensatz zu der kurzsichtigen öffentlichen israelischen Meinung, sind die Leute außerhalb Israels über die Bilder aus Gaza entsetzt. Für jeden, der ein Gewissen hat, war es unmöglich so zu tun als wäre nichts geschehen. Der Schock hat sich gegen den Staat in Hass verwandelt, der all dies angerichtet hat und bei einigen Gelegenheiten hat er den Antisemitismus aus seiner Höhle gelockt. Ja, im 21. Jahrhundert gibt es wieder Antisemitismus in der Welt und es ist Israel gewesen, der ihn genährt hat. Israel hat dem Haß genügend Entschuldigungen geliefert.

Nicht alle antiisraelischen Gefühle sind jedoch antisemitisch. Allenfalls ist das Gegenteil wahr: der größte Teil der Kritik an Israel ist begründet und moralisch zu rechtfertigen. Der Antisemitismus, rassistisch wie jeder nationalistische Hass, ist an den Rändern dieser Kritiken aufgetaucht, und Israel ist für sein Erscheinen direkt verantwortlich.

Israel und das jüdische Establishment der Diaspora etikettieren automatisch jede Kritik als antisemitisch. Der Trick ist alt: Das Gewicht der Schuld wird von denen, welche den Schrecken in Gaza angerichtet haben, auf jene projektiert, die sich mit dem sogenannten Antisemitismus beflecken. Das ist nicht unsere Schuld, das ist deine Schuld, du antisemitistische Welt. Was Israel auch tut, es hat immer die Welt gegen sich.

Das macht natürlich keinen Sinn. Ein Polizist, der einem jüdischen Autofahrer eine Strafe verpasst, ist nicht zwangsläufig antisemitisch, wie uns das einige jüdische Organisationen Glauben machen wollen, ebensowenig ist die Beraubung eines Rabbiners nicht zwangsläufig durch rassistischen Hass motiviert. Die Kritiken an Israel sind nicht zwangsläufig von Hass auf die Juden motiviert.

Diese Organisationen sind zum Blitzableiter für die Kritiken an Israel geworden und sie haben sich das ausgesucht. Dies ist der Preis für ihre blinde Unterstützung Israels, für ihre laute Propaganda im Namen Israels, dafür, dass sie jede jüdische Gemeinde in ein Amt öffentlicher Beziehungen Israels verwandelt haben, für ihr einmütiges Gutheißen all dessen, was Israel tut. Wir sind ein Volk, sagen sie. In diesem Fall ist jeder, der Israel zu kritisieren wagt, auch wenn es in einen brutalen Konflikt geraten ist, ein Jude, der sich selbst hasst. Es sind also alle verantwortlich.

Eine große Anzahl Juden, die im Ausland leben, haben mir von Panik ergriffen, während des Krieges, geschrieben und sie baten mich keine Artikel mehr zu schreiben und die Kritik zu lassen, weil sie die Antisemiten für sich benützten. Ich antwortete ihnen, dass jede Fortsetzung von Gaza mehr Schäden für Israel anrichtet als alle meine Artikel zusammen. Ich kenne auch viele Personen, die noch Sympathie für Israel haben, weil es gerade auch einen Rest freier Gesellschaft gibt, der die Kritiken akzeptiert.

Die Juden sollten auf jeden Fall die eigenen Ängste über den Staat Israel formulieren. Viele Juden haben heute Angst. Teilweise sind diese Ängste übertrieben, teilweise berechtigt. Meines Erachtens ist Muslim in Europa zu sein heute weitaus schwieriger als Jude zu sein. Aber in Paris haben die Juden keinen Mut mehr die Kippa zu tragen, in Belgien wurde einer Frau den Zutritt zu einem Geschäft verwehrt, weil sie Jüdin ist und eine französische Journalistin  hat mir neulich gesagt, dass in Frankreich der Hass auf Israel und die Juden niemals so stark war.

Diese Klagen sind an die Adresse Israels zu richten, weil Israel die Verantwortung für Gaza hat.

Jeder, der ein Herz für das Schicksal der Juden hat, jeder der über diese Episoden des Antisemitismus bestürzt ist, hätte darüber nachdenken sollen, bevor Israel einen weiteren sinnlosen Krieg führte. Die Welt ist nicht immer gegen Israel. Es reicht an die Übereinkommen von Oslo zu denken, wo einschließlich eines Teils der arabischen Welt, große Teile der Welt an seiner Seite stand. Die Welt wäre zufriedener, wenn sie Israel wieder umarmen könnte, weil es aufhört, sich wie ein Halbstarker und ein Unterdrücker zu benehmen.

übersetzt von Roberto Greco

1 Comment

  1. Zur Info, Unterstützung und Weiterleitung:
    https://secure.avaaz.org/de/israel_palestine_this_is_how_it_ends_loc/

    Fast 2 Millionen Menschen haben diese Petition inzwischen unterschrieben. Sie versucht mit einem anderen Ansatz zur Lösung des Konfliktes zwischen Israel und Palästina beizutragen.

    Auszug:
    Angesichts der jüngsten Gewaltausbrüche zwischen Israel und Palästina, die immer mehr Kinder in den Tod reißen, ist eine bloße Forderung nach Waffenruhe nicht genug. Es ist Zeit, diesem jahrzehntelangen Alptraum mit entschlossenen, gewaltlosen Maßnahmen ein Ende zu setzen. Nur wenn wir die wirtschaftlichen Kosten des Konflikts untragbar machen, können wir diese Gewaltspirale durchbrechen.
    An die Geschäftsführer von ABP, HP, Veolia, Barclays, Caterpillar und G4S:
    “ Infolge der schrecklichen Gewalt in Israel und Palästina, sind wir als Bürger und Bürgerinnen aus aller Welt zutiefst darüber besorgt, dass Ihre Unternehmen nach wie vor in Unternehmen und Projekte investieren, die illegale Siedlungen und die unterdrückerische Besetzung des palästinensischen Volks finanzieren. …“

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