Wie es denn war, fragte mich eine Kollegin im Betrieb. „Gut! Da hast Du was verpasst!“ Sie lächelte etwas verkrampft und meinte erklärend, dass sie zu arbeiten gehabt hätte. Ich nahm ihr Statement zum Anlass nachzulegen und schwärmte von der Revue, die ich gestern im Kulturzentrum der Aleviten Offenburg zu verfolgen Gelegenheit hatte. Ich hatte keine Chance ihr Interesse zu wecken. Schnippisch, so als hätte ich gerade ihre ansonsten karge empathische Bereitschaft verletzt, sprach sie: „Ich halte sowieso nichts von Theater!“ Und ward den ganzen Tag nicht mehr gesehen! Ach, vergessen hab ich, dass sie Gewerkschaftsmitglied ist, und dass der Dialog den Neujahrsempfang des ver.di Ortsvereins betraf.
Treffend war jedenfalls die Abstinenz der Lokaljournallie und so manch anderer mehr; beispielsweise, dass die Erwerbslosen sich rar zeigten, dass die Leute des Prekariats weggeblieben sind, ganz geschweige die Parteifritzen- und Bönzchen vor Ort an diesem Abend kühl ihren Rücken zeigten. Aber letzteres könnte ja auch bedeuten, dass verdi einen richtigen Weg geht und sich nicht als verlängerter Arm der einen oder anderen Partei begreift, die sich „noch“ im „linken Lager“ wähnt. Doch ich fürchte, das trifft es nicht und wäre eine Idylle, da Gewerkschaften geradezu einladen als Verwählerstimmenpool zu dienen. In Zeiten politischer Orientierungslosigkeit der Werktätigen und der Dequalifizierung parlamentarischer Institutionen, wäre (also immer Konjunktiv) Gewerkschaft vor Ort bestenfalls noch sozialisierender Raum, der sich über den Lohn hinaus, gegenüber kollektiven und individuellen Bemühungen um das Verständnis gesellschaftlicher Wirklichkeit tolerierend gibt.
„Wir müssen etwas tun!“, sagte ein Kollege, der bei der Vorbereitung der Revue mitarbeitete und ergänzte: „Sonst werde ich verrückt…“ Mit einigen Gleichgesinnten ähnlicher Befindlichkeit, die sich auf Musikinstrumente, Gesang und Rezitation verstehen, wurde die inhaltliche Gestaltung des Neujahrsempfangs ausgearbeitet. „Wir haben uns entschlossen, heute Abend von besonderen Gästen und besonderen Worten abzusehen“, hieß es in der Begrüßung des Ortsvereinsvorsitzenden und das Rezept (um die Pointe vorwegzunehmen) führte zu gutem Applaus für die Aktiven des Abends, zu dem Entschluss als Ensemble weiterzuarbeiten und zu Einladungen bei weiteren diesjährigen ver.di Veranstaltungen in Südbaden aufzutreten. Erfolg auf der ganzen Linie? „Zumindest ein guter Anfang für das, was wir uns vorgenommen haben“, ist die Meinung einiger Aktivisten.
denn:
was immer du tust, es wird nicht genügen
deine Lage ist schlecht, sie wird schlechter,
so geht es nicht weiter
aber wo ist der Ausweg?
Ein Ausweg könnte sein, die kulturelle Hegemonie der neoliberalen Ideologen zu entlarven: Wenn sie ihre Waffen verkaufen wollen und von internationaler Verantwortung oder von Sicherheit oder von Menschenrechten reden. Wenn sie die Verarmung der werktätigen Schichten vorantreiben und von sozialer Gerechtigkeit, von guter Arbeit und gerechtem Lohn reden. Wenn sie Europa in ein einziges Waren- und konsumistisches Tollhaus verwandeln wollen an dem sich wenige bereichern und viele betrogen werden. Nichts mehr und nichts weniger hat sich das Ensemble vorgenommen.
Günter Melle