01/09/2013 09 Quelle: Il Manifesto | Autor: Jacopo Rosatelli
„Wohl schwer wird am kommenden 22. September die Linke das Wahlergebnis von 2009 (11,9 %) halten können. Das Risiko jedoch einer Implosion der Partei ist gebannt: die neuen Sekretäre, Katja Kipping und Bernd Riexinger machen eine ausgezeichnete Arbeit-“ Mario Candeias ist zufrieden mit dem Kurs dieser sozial-kommunistischen Kraft. Der 44jährige Politikwissenschaftler und stellvertretender Direktor des Instituts für soziale Analyse, der Rosa Luxemburg Stiftung, dem Think Tank der Partei, schaut über den Wahltermin hinaus: „Nach einer Phase der Krise, die internen persönlichen Streitereien geschuldet war, ist die Linke jetzt in Bewegung geraten. Sie trifft sich wieder regelmäßig mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Intellektuellen. Und es gibt erneut eine strategische Debatte: gerade Rosa Luxemburg lehrt, dass das Aufgehen in der Tagespolitik immer zu untergeordneten Positionen führt. Schließlich haben wir auch die Auseinandersetzung zwischen Radikalen und Moderaten gelernt, wie es in der Diskussion über den von Oskar Lafontaine beschworenen Untergang des Euro sichtbar wurde.“
Wir haben in „Manifesto“ öfters darüber berichtet und es lohnt sich darauf zurückzukommen. In einer von Euch in der Rosa Luxemburg Stiftung in Auftrag gegebenen Studie, haben die Ökonomen Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas Lafontaine recht gegeben. Sie, Candeias sind anderer Meinung: Warum?
Die Analyse von Flassbeck und Lapavitsas ist richtig: wenn man so weitermacht, scheitert das Europrojekt. Aber ich teile nicht ihre Schlussfolgerungen. Die Rückkehr zu nationalen Teilungen hätte für alle Länder, einschließlich dem unseren, negative Konsequenzen: die deutschen Produkte würden wesentlich teurer und nicht mehr exportierbar werden. Mich überzeugt die Position, welche die Linke vertritt: wir fordern nicht das Ende der einheitlichen Währung, sondern wir fordern das Ende des Memorandum der Troika, die Kontrolle der Kapitalflüsse und neue demokratische Organisationen in der Europäischen Union. D.h. also weder antieuropäischer Chauvinismus noch eine unkritische Haltung zu Europa. Wenn ich von antieuropäischem Chauvinismus rede, denke ich auch an Kräfte, die sich bei euch im Europaparlament in der Vereinigten Europäischen Linken (Gue) befinden wie die griechischen Kommunisten der KKE und die portugiesischen Kommunisten der PCP.
Nein, ich betrachte die linken Parteien oder Intellektuellen, welche den Austritt aus der Eurozone vorschlagen, nicht als antieuropäisch. Ich habe größtes Verständnis, dass in einer Notfallsituation auch das Ende der einheitlichen Währung in Betracht gezogen wird oder auch radikalere Hypothesen. Wichtig ist, dass diese Waffe der Pression – wenn nötig – auf die restliche EU zum richtigen Zeitpunkt erfolgt. Nicht nur: bevor abstrakte Positionen bezogen werden, sind die Kräfteverhältnisse zu prüfen, welchen die Akteure ausgesetzt sind, damit sie derlei Entscheidungen zum Abschluss bringen können. Das Problem ist also ein strategisches: Vorschläge reichen nicht aus; es braucht Kraft, um einen Bruch herbeizuführen. Diese Bruch kann nur von der Linken Südeuropas kommen und muss von uns unterstützt werden. Aber in richtiger Weise.
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Sehen Sie in diesem Prozess auch einen Platz für die sozialdemokratischen und grünen Parteien?
Ich will Ihnen darauf antworten, indem ich mich auf Deutschland beschränke. Es fehlt nicht an kritischen Stimmen in den anderen beiden Parteien, aber da ist ein Problem: Jedes mal, wenn es sich im Bundestag darum handelte, über die von der Regierung Merkel vorgeschlagenen Maßnahmen gegen die Krise abzustimmen, haben Grüne und SPD immer mit Ja gestimmt. Und das macht es sehr schwierig, eine gemeinsame politische Arbeit zu entwickeln.
Apropos europäische Krise, vor kurzem wurde das Buch „Gekaufte Zeit, die Krise des demokratischen Kapitalismus “ (Feltrinelli) des deutschen Soziologen Wolfgang Streeck ins Italienische übersetzt. Es stößt auf sehr viel Interesse (Il Manifesto rezensierte es am 7.August). Was halten Sie von seiner These der Rückkehr zum Nationalstaat?
Man muss erwähnen, dass Streeck eines der Gehirne von Schröders rot-grüner Agenda 2010 gewesen ist: er ging mit der These hausieren, dass der Sozialstaat auf nationaler Ebene überholt sei. Jetzt merkt er, dass sein Projekt gescheitert ist: es ist die Bankrotterklärung der Sozialdemokratie und die Sozialdemokraten täten gut daran, darüber nachzudenken. Streeck tut das, jedoch ohne den gehörigen Grad einer Selbstkritik. Mit seiner Schlussthese schließlich, bin ich nicht einverstanden: Eine Rückkehr zu den Fundamenten des Sozialstaates auf nationaler Basis ist unter strategischen Gesichtspunkten keine valide Option.
In unserem Land macht man, mit ähnlichen Argumenten wie sie Merkel im Wahlkampf benutzt, ein großes Palaver über das „Modell Deutschland“ …
Das Modell Deutschland existiert, aber mit einer völlig entgegengesetzten Bedeutung. Für unsere Gegner ist Deutschland das positive Beispiel eines Landes, das Dank der „Reformen“, von Schröder gemacht und von Merkel weitergeführt, nicht unter Krise zu leiden hatte. Aus unserer Sicht jedoch, waren es gerade diese Maßnahmen, welche die Krise entfesselten. Sie hat in den letzten zehn Jahren zu einer starken Polarisierung des Reichtums geführt. Im Bereich des Niedriglohnes gab es eine Reduktion der Realeinkommen um 30%. Das, was Griechenland derzeit als Schocktherapie durchmacht, ist bei uns langsam geschehen, indem es Stufe um Stufe bergab ging. Dem, der sagt, dass Deutschland ein positives Modell sei, möchte ich noch auf etwas anderes aufmerksam machen.
Auf was?
Wir wissen alle, dass die deutsche Regierung eine exportorientierte Politik betreibt: das innere Wachstum ist mager und die Kaufkraft niedrig. Als einzige Möglichkeit bleibt der Verkauf von Produkten
im Ausland. In den letzten Jahren hat sich der Export massiv in Richtung Schwellenländer, wie beispielsweise China, ausgerichtet: Die Peripherie der EU ist nicht mehr so wichtig. Das ist der Punkt: Deutschland kann zurechtkommen, aber sein Modell ist auf Europa nicht verallgemeinerbar. Das deutsche Modell ist das Lehrstück eines „Rette sich wer kann“.
Wenn es wahr ist, dass auch in Deutschland, wie die Linke behauptet, sich das Präkariat ausbreitet und die Armut steigt, warum sieht man keine Aktionen?
Mit ihrem Krisenmanagement ist es der Regierung gelungen, weite Teile der subalternen Klassen an sich zu binden. Ein Beispiel ist die IG-Metall, die wichtigste deutsche Gewerkschaft. Sie ist vollständig in diesem auf Export orientierten Modell aufgegangen: Unsere Autos werden überall auf der Welt verkauft. Das interne Protestpotential ist also reduziert. Ich will gar nicht erst von einem möglichen gemeinsamen Vorgehen reden. Es ist fast unmöglich: Die von der deutschen Metallarbeitergewerkschaft zu verteidigenden Interessen, sind völlig unterschiedlich zu denen in Frankreich oder Italien. Der europäische Mobilisierungstag am letzten 14. November war wichtig, betraf aber nur das meridionale Europa: in Berlin waren dreihundert Personen am Brandenburger Tor. Ein Umschwung, behaupte ich, wird sicher nicht dort aber in Südeuropa geboren werden.
Das Protestpotential in Deutschland wird sich vielleicht noch mehr reduzieren, wenn es wahr ist, dass wir am Anfang einer Phase des Aufschwungs stehen, wie einige Interpreten der kürzlichen Konjunkturdaten von Eurostat sagen…
Um diese Daten wird viel Propaganda gemacht. Wenn wir die Entwicklung von 2000 an betrachten, sehen wir, dass der Pil weniger als 1% gewachsen ist. Die Produktivität stagniert, auch der Export sinkt, weil auch die Schwellenländer bremsen. Jetzt das letzte Trimester wegen 0,5% Wachstum zu feiern, ohne den Ausgangspunkt in Betracht zu ziehen, ist lächerlich. Darüber hinaus gilt es zu begreifen, dass jenseits des Pil, die Lebensbedingungen der Menschen existieren. Und diese ihre Realität sollte dazu führen uns zu fragen, ob die Idee des permanenten Wachstums einen Sinn hat.
Das Paradigma des Wachstums muss zur Diskussion gestellt werden, sagen Sie. Ist die Zukunft der Linken rot-grün?
Die Erneuerung der Linken marxistischer Matrix läuft über die Auseinandersetzung mit dem Ökologismus. Das Drama besteht darin, dass diese Erneuerung der Linken, bei der die Grünen in den achtziger Jahren die Protagonisten waren, nicht richtig gelaufen ist: nach einem guten Anfang hat die Notwendigkeit, die ökologischen Themen „appetitlich“ zu machen, dazu geführt, dass das kritische Potential des Umweltschutzes ins System integriert wurde.Und so hat sich die Scheidung vollzogen zwischen denen die sich weiterhin in der Tradition der Arbeiterbewegung begreifen und denen, die ausgeschieden sind. Um eine autonome Position zur ökologischen Modernisierung einzunehmen, denken wir über die Idee eines grünen Sozialismus nach. Die Frage muss immer lauten: Zu wessen Vorteil geschieht die ökologische Modernisierung? Folglich: Umweltschutz und Kapitalismuskritik müssen zusammen stehen und offen, in dialektischer Methodik, die entstehenden Widersprüche angehen.
Übersetzung: Günter Melle