Another Road for Europe

von R. Rossanda, Altvater, S. Amin, S. George….:

Der Neoliberalismus und die Finanzwelt haben Europa als Geisel genommen und in eine tiefe Krise gestürzt. In den letzten zwanzig Jahren wurde die Bedeutung der Europäischen Union, die an einem konstanten, demokratischen Defizit leidet, auf den engen Blickwinkel des Gemeinsamen Marktes und der Gemeinschaftswährung reduziert. Liberalisierungen, Spekulationsblasen und der Abbau individueller und sozialer Rechte führten zu explosiven, wachsenden Ungleichheiten.

Dies ist nicht das Europa, das vor Jahrzehnten als ein kriegsfreier Raum wirtschaftlicher und politischer Integration entworfen wurde. Dies ist nicht das Europa, das durch wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, wie auch durch die Erweiterung der Demokratie und sozialer Rechte aufgebaut werden sollte.

Jenes europäische Projekt ist nun in Gefahr.

Im Angesicht der Finanzkrise haben europäische Autoritäten und Regierungen unverantwortlich gehandelt: Sie retteten Privatbanken, aber lehnten es ab, Instrumente der Währungsunion zu nutzen, um die Schwierigkeiten der verschuldeten Länder einzugrenzen. Sie erlegten allen Ländern Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen auf, die nun in die Europäischen Verträge eingemeißelt werden. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Finanzkrise sich auf weitere Länder ausweitet, der Euro in Gefahr ist, und eine neue Große Depression mit dem Risiko der europäischen Desintegration lauert.

Europa kann nur überleben, wenn ein anderer Weg eingeschlagen wird. Ein anderes Europa ist möglich. Europa muss Soziale Gerechtigkeit, Verantwortung für die Umwelt, Demokratie und Frieden bedeuten. Danach sehnt sich der Großteil der europäischen Kultur und Gesellschaft. Das ist der Weg, den uns die großen Bewegungen für Gerechtigkeit, für Würde und gegen die Sparpolitik weisen.

Auf der Reise zu einem anderen Europa müssen Visionen der Veränderung, Proteste und Alternativen in einen gemeinsamen Rahmen gestellt werden.

Dafür schlagen wir sechs Ziele vor:

Eine begrenzte Finanzwelt.
Die Finanzwelt – die Wurzel der Krise – sollte daran gehindert werden, die Wirtschaft zu zerstören.

Die Währungsunion sollte neu organisiert werden und eine kollektive Garantie für öffentliche Schulden der Eurozone enthalten; die Europäische Zentralbank sollte die Rolle eines Kreditgebers letzter Instanz für die Union übernehmen. Es darf nicht dazu kommen, dass das Bürden von Schulden Länder in finanzieller Not zerstören.

Alle Finanztransaktionen müssen besteuert werden, Ungleichgewichte, die durch Kapitalmobilität entstehen, müssen verringert werden.

Auch sollten striktere Regeln die spekulativsten und risikoreichsten finanziellen Aktivitäten eindämmen, die Trennung zwischen kommerziellen Banken und Investitionsbanken muss wiederhergestellt werden und eine öffentliche europäische Ratingagentur ins Leben gerufen werden.

Für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik.
Europa darf sich nicht auf alte und neue Stabilitätspakte oder auf Gesetze, die sich ausschließlich auf den Binnenmarkt und die Gemeinschaftswährung beziehen, beschränken. Die Handlungen Europas müssen Ungleichgewichte in der Realwirtschaft betreffen und einen Umschwung in der wirtschaftlichen Entwicklung bewirken.

Wir brauchen profunde Änderungen im Steuersystem und eine europäische Steuerharmonisierung. Außerdem sollte die Besteuerung Arbeitnehmer entlasten und Reichtum wie auch nichterneuerbare Ressourcen belasten. Dies soll neue Einkünfte bringen, um Europäische Ausgaben zu finanzieren.

Öffentliche Ausgaben – auf nationalem und europäischem Niveau – sollten genutzt werden, um Nachfrage zu stimulieren, Sozialpolitik abzusichern, und öffentliche Dienstleistungen zu erweitern.

Die Industrie- und Innovationspolitik muss die Produktion und den Konsum von hochwertigen High-tech Produkten mit Nachhaltigkeit fördern.

Das Einführen von Eurobons betrifft nicht nur die Refinanzierung öffentlicher Schulden, sondern soll auch dazu beitragen, die ökologische Wende der europäischen Wirtschaft zu finanzieren.

Mehr Arbeitsplätze und soziale Rechte, weniger Ungleichheiten.
Der Wohlfahrtsstaat und seine sozialen Rechte stehen im Mittelpunkt Europas. Jahrzehntelang hat die Politik unsichere Arbeitsplätze, Armut und Arbeitslosigkeit hingenommen. Nachdem die Ungleichheit auf den Stand der 1930er Jahre zurückgeschraubt wurde, muss es zur Priorität Europas werden, stabile und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen, Niedrigverdienende zu unterstützen, und die Rechte der Gewerkschaften bei Lohnverhandlungen und Demokratie am Arbeitsplatz zu sichern. Dies gilt vor allem für Arbeitsbedingungen der Frauen und Jugend.

Die Umwelt schützen.
Nachhaltigkeit, die Grüne Wirtschaft, Energie- und Rohstoffeffizienz steht nun im Zentrum des europäischen Wirtschaftswachstums. Alle Entscheidungen müssen die Konsequenzen für die Umwelt einbeziehen, sowie dazu beitragen, dass Klimawandel bekämpft wird und erneuerbare Energien genutzt werden. Es geht darum, saubere, erneuerbare Energien, Energieeffizienz, lokale Produktion und Nüchternheit des Konsums zu fördern.

Demokratie leben.
Die Formen der repräsentativen Demokratie durch Parteien und Regierungen und der Sozialdialog sind immer weniger fähig, aktuelle Probleme zu lösen. Auf dem europäischen Niveau ersetzen Beschlüsse der Mächtigen immer mehr den Prozess der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung.

Die Krise verringert die Legitimität der EU-Institutionen: die Kommission agiert immer mehr wie ein simpler bürokratischer Arm der stärksten Mitgliedsstaaten, die Zentralbank ist nicht rechenschaftspflichtig und das Europäische Parlament nützt nicht die Macht, die ihm zur Verfügung steht, wobei es sowieso immer noch von wichtigen Entscheidungen der Wirtschaftspolitik ausgeschlossen ist.

In den letzten Jahrzehnten haben die europäischen Bürger eine zentrale Rolle bei sozialen Mobilisierungen und gelebter direkter Demokratie gespielt. Sie haben sich für Bewegungen wie das Europäische Sozialforum und die Proteste der „Indignados“ engagiert. Diese Erfahrungen brauchen eine Antwort institutioneller Art. Es ist nötig, eine Brücke zwischen sozialem Wandel und den politischen und institutionellen Begebenheiten, die Überbleibsel der Vergangenheit, zu schlagen.

Die europäischen Gesellschaften dürfen sich nicht nur nach Innen orientieren. Die soziale und politische Integration von Migranten ist eine zentrale Aufgabe für die europäische Demokratie. Engere Verbindungen können, nach dem Fall ihrer autoritären Regime, mit den Demokratisierungsbewegungen der südlichen Mittelmeerstaaten aufgenommen werden..

Frieden bringen und Menschenrechte sichern.
Die europäische Integration hat es ermöglicht, Konflikte aus Jahrhunderten zu überwinden, aber Europa bleibt immer noch ein Standort für Atomwaffen und aggressive militärischer Strategien. Nicht umsonst sind die europäischen Militärausgaben ein Fünftel dessen, was weltweit für Sicherheit und Krieg ausgegeben wird: 316 Milliarden Dollar im Jahr 2010! Drastische Kürzungen und Veränderungen innerhalb der Verteidigungshaushalte müssen eiligst erfolgen, und dies nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Haushaltsprobleme.

Der Frieden Europas ist nicht auf Militärmacht begründet, aber auf eine Politik gemeinsamer, menschlicher Sicherheit, die zum Frieden und Schutz der Menschenrechte führt. Europa muss sich den neuen Demokratien des Mittelmeerraums in gleichem Maße öffnen, wie es sich Zentral- und Osteuropa seit 1989 zugewandt hat.

Wir schlagen vor, diese Agenda für ein Anderes Europa dem Europäischen Parlament und den europäischen Institutionen vorzustellen. Diese neue Bedeutung Europas wird schon von transnationalen Bürgerbewegungen, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und Gewerkschaftskämpfen sichtbar gemacht. Es muss nun das europäische Machtgefüge und die europäische Politik bestimmen.

Vor dreißig Jahren, am Anfang des „neuen Kalten Kriegs“ zwischen Ost und West, kam die Idee auf, ein Europa frei von Militärblöcken zu schaffen. Der Ursprung dieser Idee des Appells für europäische nukleare Abrüstung (European Nuclear Disarmament) lautete : „Wir müssen damit anfangen, so zu handeln als ob ein vereintes, neutrales, und friedliches Europa bereits existiere.“ Jetzt, in Mitten der Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Bürokratiekrise müssen wir damit beginnen, ein egalitäres, friedliches, grünes und demokratisches Europa zu schaffen.

Entwurf eines Appells von Organisatoren und Sprechern des Florenz Forum „Der Weg aus der Krise. Europa und Italien, Wirtschaftskrise und Demokratie“, am 9. Dezember 2011.

Dieser Entwurf wird mit europäischen zivilgesellschaftlichen Netzwerken und Gruppen diskutiert und soll gemeinsame Handlung auf europäischem Niveau ermöglichen.

www.anotherroadforeurope.org

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