Noam Chomsky: Die Sparpolitik verneint die Zukunft der Jugend

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Die Lösungsvorschläge der europäischen Regierungen sind falsch, sagt der amerikanische Linguist. Er spricht über Demokratie, Social Network und die Occupy-Bewegung.

Quelle: daily wired.it, Autorin: Simona Regina;

Welche Rolle spielen die Social Networks, um Demokratie zu gewährleisten? Ist die Occupy-Bewegung tatsächlich gescheitert? Wir haben mit dem Linguisten, Philosophen, Kommunikationstheoretiker und amerikanischen Politologen Noam Chomsky über Politik und Technologie geplaudert. Er hielt sich in Triest auf, um die Ehrendoktorwürde (PhD honoris causa) an der Scuola internazionale superiore di studi avanzati (Sissa) für seine Verdienste in den Neurowissenschaften zu erhalten. Sein Verdienst ist es, zur Entwicklung der modernen Linguistik beigetragen zu haben, und er hat die kognitiven Wissenschaften oder allgemeiner, das westliche Denken von der Philosophie bis zur Politik beeinflusst.

Während der lectio magistralis zum Thema “The minimalist program and language acquisition”, fasste Chomsky seine Theorie der generativen Grammatik zusammen. Er erinnerte daran, dass die Rekursivität der Sprachstruktur ein angeborenes und ausschließliches Charakteristikum des menschlichen Wesens darstelle, das schon in den ersten Lebenstagen des Neugeborenen vorhanden sei. “Dies stellt mit anderen angeborenen Strukturen die Bausteine dar, die als Basis zum Erlernen der Sprache fungieren”, schließt er seinen Vortrag ab.

Chomsky spricht jedoch nicht nur von Linguistik. Im Teatro Rossetti in Triest spricht er vor 1500 Besuchern, denen es gelang, einen Platz zu erobern, auch über seinen kritische Haltung zur neuen Weltordnung. In einer Pause gab Chomsky. 83 Jahre und einer der bedeutendsten lebenden Intellektuellen, eine Pressekonferenz. Er sprach über die Wahlen in den USA, über die Krise, von Occupy Wallstreet und über die Social Networks.

A propos Demokratie und Soziale Medien: Sind die Citoyens von heute bewusster und partizipativer? Verändert die Kommunikation der Internetära die Art und Weise der sozialen und öffentlichen Beziehungen?

“Die sozialen Medien machen keine Revolution, denn die Technologie ist neutral. Es hängt davon ab, wer sie gebraucht. Es ist eigentlich wie mit dem Hammer, du kannst ihn zu Zwecken etwas zu schaffen benützen aber auch, um jemanden zu töten. Es gibt keinen Zweifel, dass die sozialen Medien einen großen Einfluss auf die Kultur ausüben und darauf wie wir kommunizieren. Jedoch ebenso stark war der Einfluss des Telegraphen, der es zuerst den Leuten erlaubte, auf Distanz zu kommunizieren, was sehr viel Zeit einsparte. Dann kam das Telefon und dann die Email-Korrespondenz. Es ist jedenfalls nicht die enorme Quantität an Information, die im Netz zirkuliert, welche den Unterschied ausmacht: Das Internet ist ein äußerst wertvolles Instrument, wenn wir es zu nützen wissen und wenn wir wissen, wo wir suchen müssen.”

Vor einem Jahr zogen tausende Demonstranten zum Zuccotti Park, der dann monatelang zum Hauptquartier von Occupy Wall Street wurde. Was bleibt heute von dieser ansteckenden Bewegung, die von den Vereinigten Staaten aus verschiedene Orte der Welt erreichte, übrig?

Occupy Wall Street ist nicht gescheitert. Die Bewegung repräsentiert die erste große öffentliche Reaktion auf dreißig Jahre Klassenkampf. Sie hat vor allem bei der Presse große Aufmerksamkeit für die soziale und ökonomische Ungleichheit in unserer Gesellschaft hervorgerufen. Heute setzt sich unsere Gesellschaft aus Superreichen zusammen, die 1 Prozent der Bevölkerung ausmachen und die restlichen 99 leben prekär. Darüber hinaus hat die Bewegung das Verdienst, spontan Räume der Diskussion und Konfrontation geschaffen zu haben. Und sie hat ein neues Verständnis von Gemeinschaft und Partizipation gebracht. Sicher haben sich nicht die Strukturen der Macht verändert. Wir werden aber auf lange Sicht die Veränderungen sehen können. Die Siege übrigens, kommen nie in kürzester Zeit. Man erinnere sich an den langen Weg, welcher der Kampf um die Anerkennung der Rechte und der Würde der schwarzen Bevölkerung seit der Rede  von Martin Luther King I have a Dream, 1963, zurücklegte.

Und mittlerweile ist die Welt in den Fängen einer großen ökonomischen Krise.

“Die ökonomische ist nicht die einzige Krise, die wir zu bewältigen haben. Jedenfalls ist ihr nicht mit Sparpolitik zu beizukommen. So wird die Zukunft der Jugend verneint.Mit mit den europäischen Maßnahmen bin ich also nicht einverstanden. Europa riskiert so den Sozialstaat zu demontieren, den es nach dem Zweiten Weltkrieg mit gro0em Erfolg hervorbrachte.”

Versetzen wir uns in die Vereinigten Staaten: derzeit wird dort die Luft der nächsten Präsidentschaftswahl eingeatmet.  Obama oder Romney?

Meiner Nase nach Obama. Es gibt übrigens nicht viel Alternativen. In Amerika jedenfalls sind die Wahlen öffentliche Veranstaltung und es gewinnt, wer die meiste finanzielle Unterstützung erhält und die beste Propaganda macht. Das System ist ein wenig krank. Obama verstand es am besten von diesem System zu profitieren. Er hat die Unterstützung der Wirtschaftspresse bekommen und ist, unter anderem auch, mit dem Preis für die beste Marketing-Kampagne des Jahres ausgezeichnet worden.”

übersetzt von G.Melle

 

Ein Intellektueller zu sein ist eine Berufung für jedermann: Es bedeutet, den eigenen Verstand zu gebrauchten, um Angelegenheiten voranzubringen, die für die Menschheit wichtig sind. Einige Leute sind privilegiert, mächtig und gewöhnlich konformistisch genug, um ihren Weg in die Öffentlichkeit zu nehmen. Das macht sie keineswegs intellektueller als einen Taxifahrer, der zufällig über die gleichen Dinge nachdenkt und das möglicherweise klüger und weniger oberflächlich als sie. Denn das ist eine Frage der Macht.

– Noam Chomsky, 2002 (englisch)[27]

 

 

 

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