Eine Landesarmutskonferenz Gründen – Dokumente I

Input der LAG wohnungslose Menschen

Beitrag Günter Melle

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Liebe Anwesende, Aktivistinnen und Aktivisten im Widerstand gegen die wachsende Armut in unserem Land…

Es ist öfters üblich, einen Redebeitrag mit einem Zitat zu beginnen. Das will ich ebenfalls wagen,  Wir kennen es alle, denn es klingt uns schon in unseren geokulturellen Breiten als Kinder in den Ohren: “Meister, was muss ich tun, um…” Ergänzen Sie das Zitat ruhig in Gedanken und Sie wissen vermutlich auch wie der Dialog endete. Wir wissen alle welchen Weg dieses Zitat in 2000 Jahren Menschheitsgeschichte nahm und so sind wir schon beim heute. Nur eines wäre noch anzumerken: Nach heute herrschenden, von den Reichtumswissenschaften festgelegten unterschiedlichen Armuts-definitionen würden verdammt wenig Menschen eine Chance haben, durchs Nadelöhr zu kommen.

Doch wechseln wir zum eigentlichen Thema der LAG wohnungsloser Menschen in Ba-Wü, zur Wohnungslosigkeit. Neulich war in der Presse zu lesen, dass derzeit in Athen 25ooo Wohnungslose zu überleben versuchen. Unter solchen Umständen hilft auch kein St. Ursulaheim und keine karitative Wohnungslosenhilfe mehr. Unter solchen Umständen reduziert sich der Alltag auf den Kampf ums nackte Überleben, also um Essen, Schutz vor der Witterung, und der Abwehr von Aggressionen und Gewalt. Obwohl das alles weit weg scheint, hat es doch mit uns zu tun. Es ist ein hierzulande kaum wahrgenommener Vorgeschmack auf das, was sich wie Gewitterwolken über uns zusammenbraut. Ich habe in der Berliner Gazette einen Beitrag griechischer Intellektueller zur Schuldenkrise gelesen, der mir sehr gut gefiel, und aus dem ich Ihnen folgende Passage nicht vorenthalten möchte:

“Das auf dem Rücken der Griechen experimentierte Modell ist das einer Gesellschaft ohne öffentliche Dienste, in der die Schulen, die Kliniken und die Abgabestellen für Medikamente zu Ruinen verfallen, in der Gesundheit zu einem Privileg der Reichen wird und in der die besonders verwundbaren Bevölkerungsteile zu einer planmäßigen Eliminierung bestimmt sind, während jene, die noch Arbeit haben, zu extremen Formen der Verarmung und der Prekarität verurteilt werden.”

Wenn Sie dies aus deutscher Sicht vielleicht für übertrieben halten, werden Sie vielleicht zugeben, dass das Zitat in der Tendenz stimmen könnte. Selbst im reichen Bundesland Baden-Württemberg ist eine Zunahme der Wohnungslosigkeit festzustellen (ich verweise auf den Bericht der Liga für freie Wohlfahrtspflege Stichtagserhebung 2011) und trotz derzeit günstiger konjunktureller Entwicklung gibt es keine Signale für eine Umkehr in der Armutsentwicklung. Wie sollte dies auch geschehen, ist doch der Prozess der Entstaatlichung (wie der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske es nennt) für jedes europäische Land erklärtes Ziel. Damit verbunden sind die Privatisierung staatlicher Dienstleistungen, Working Poor (Arbeit zu Armutslöhnen), und die Auflösung gewerkschaftlicher Errungenschaften und sozialstaatlicher Standards.

Im Mai 2010 organisierte die BBI und LAG wohnungsloser Menschen eine Armutskarawane durchs Dreiländereck im Südwesten. Sie nahm bewusst in Straßburg ihren Anfang und hatte als weitere Stationen jenseits des Rheins Mulhouse und Basel auf dem Programm. In Mulhouse erlebte sie eine Aktion der Nouveau Gauche gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters und es gab eine lebhafte Diskussion mit Vertretern aus dem Parteien- und Gewerkschaftsspektrum zur neoliberalen gesellschaftlichen Entwicklung in Frankreich und Deutschland. Ich kann mich noch gut an diesen Tag mit seinem markanten Abschluss in der Eingangshalle des Centre sportife erinnern, wo wir Wohnungslosenaktivisten abends unsere Erfahrungen austauschten und Konsequenzen diskutierten. Am Ende der Karawane 2010 gingen die Ergebnisse dieser Diskussion mit in die 10 Forderungen der Karawane 2010 ein (siehe Forderung 3 und 7).

An diesem Abend wurde auch über die Idee, den Gründungsprozess einer Landesarmutskonferenz voranzutreiben, diskutiert. Dabei war den Teilnehmern durchaus bewusst, dass das regionale Anliegen der Armutsbekämpfung europäisch und auch global einzuordnen ist. Im kommenden Jahr, im August 2011 hatte das 14. Berbertreffen das Thema sozialer Widerstand in Europa als einen Schwerpunkt behandelt. Es gab damals ein Input aus der Schweiz von einer Vertreterin des Planet 13 und über den Tomatenstreik der afrikanischen  Wanderarbeiter von Nardó im italienischen Apulien. Die 10 Forderungen der Karawane 2010 waren hier ebenfalls Thema. Besonders die 7. Forderung bringt den Gedanken der Armutskonferenz in seiner europäischen und globalen Dimension schon klar zum Ausdruck.

Dort heißt es:

“Die Karawane 2010 gegen … “

Es gilt gemeinsam mit Initiativen, Organisationen und Verbänden den Weg der Einmischung konsequent auszubauen.

Das ganze vergangene Jahr über war das Thema Landesarmutskonferenz Bestandteil der inhaltlichen Arbeit der LAG und ihrer Aktionen. So sind wir erfolgreich am heutigen Tag angekommen, um etwas über folgende Fragen Auskunft geben zu können:

Was wollen wir?

gemeinsam mit anderen Teilen der sozialen Bewegungen, mit Vertretern aus Organisationen, Verbänden und Gewerkschaften an einem breiten regionalen Bündnis des sozialen Widerstandes arbeiten.

Was ist unser Selbstverständnis?

Wir sind regionales Bündnis, das europäisch und global denkt und über die Grenzen hinweg neue Bündnispartner anspricht, um uns im gemeinsamen Widerstand gegen die neoliberalen nationalen, regionalen und lokalen Politiken erfolgreich zu positionieren. 

Wie wollen wir arbeiten?

Wir sollten uns als eine weitgehend offene Arbeitsplattform verstehen, um ein demokratisches Bündnis gegen den Neoliberalismus, Rassismus (auch Sozialrassismus) und Entsolidarisierung aufzubauen. Dabei sollten alle mitwirken können, die sich für eine kontinuierliche Mitarbeit in der Landesarmutskonferenz bereit erklären. Die sollte sich übers Jahr verteilt mindestens 2x treffen. Ein zu wählendes Arbeitskomitee, das ein repräsentatives Spektrum der hier anwesenden Gruppierungen (der Basis, der Organisationen bzw. Verbänden und den Vertretern aus den Wissenschaftsbereichen) sollte in der Zeit dazwischen die inhaltliche und organisatorische Weiterentwicklung der LAK gewährleisten.

Wir werden von Seiten der LAG und BBI beim entsprechenden TO-Punkt dazu nochmals unsere Positionen verdeutlichen.

So bleibt nun noch unserem heutigen Vorhaben ein gutes Gelingen und Ergebnis zu wünschen. Schon bald (Ende Mitte Mai) wird die europäisch soziale Bewegung in Frankfurt, in einem der Zentren des Finanzkapitalismus Präsenz zeigen und es könnte eine der ersten Chancen der LAK Ba-Wü sein, Flagge zu zeigen.

1 Comment

  1. Hallo ich bin Dagmar Schneider,
    auch eine Person mit aus unserer gesellschaftlicher Sicht: „Beeinträchtigungen“,
    die von York Töllner von der Landesarmutskonferenz angesprochen wurde. Trotz
    Krankengeldbezug momentan vermutlich zukünftig nicht vor Wohnungslosigkeit, aber
    Langzeitarbeitslosigkeit bedroht.
    Ich hoffe, dass es zukünftig möglich wird, auch in der Stuttgarter Umgebung mehr zum
    Thema Armut zu veranstalten. Ein Möglicher Weg, meiner Meinung nach wäre z. B.als
    Grundlage mindestens 500 Euro Eckregelsatz und paralell weg mit den Sanktionen, §31
    ist verfassungswidrig.
    Gruß Dagmar Schneider
    (www.die-soziale-bewegung.de/staedte waiblingen)

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