Bericht: Roberto Greco
Es ist Spätnachmittag und am Cafè Voyage finden sich die ersten Verdianer/Innen zur Auftaktveranstaltung der Tarifrunde 2012, Öffentlicher Dienst, ein. Bis die Demo beginnt, wird die Gelegenheit zum Smalltalk genützt. Die gerade von der Arbeit kommen, bedienen sich am provisorischen Stand, wo Brötchen und Analkoholika bereitstehen.
Die meisten Demonstranten/Innen kommen aus den unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes, lokale und regionale Verwaltungen, Technische Betriebe, Gesundheits- und Erziehungsbereiche. Erstaunlich viele junge Gesichter, Erzieherinnen, die in der letzten Tarifrunde zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di stießen. Ein beachtliches Kontingent stellen auch die Arbeiter aus den kommunalen technischen Betrieben. Zwei dieser Kollegen tragen ein Transparent, das für einen “gerechten Lohn” wirbt. Es ist zu hoffen, dass sich ihr Gerechtigkeitsempfinden in puncto Lohn, nicht auf die “6,5 % mindestens 200 € Forderung” in der Tarifrunde reduziert. Ein anderer Kollege trägt ein Schild mit sich: “200000 € für Wulff, Keine 200 € für`s Volk?” “Natürlich nicht!” sagt eine Kollegin, die ich von der ver.di Erwerbslosenberatung kenne. Erwerbslos geworden und Mitte vierzig, wurde sie durch den Dschungel der Maßnahmen getrieben. Jetzt ist sie Mitglied in der Gewerkschaft und mittlerweile mit Zeitvertrag in einer Einrichtung der Kommune beschäftigt, beteiligt sie sich am Lohnkampf. Sie hält die Forderungen der Tarifrunde als “zu zahm”. “Man weiß schließlich, was am Ende dabei rauskommt.’
Ein Mann am Rande der Ansammlung, nimmt eines der Flugblätter, die ich verteile. Er hält die 6,5 % Forderung für überzogen. “Am Ende stehen wieder Preissteigerungen und es bleibt alles wie zuvor.” Daran könnte sich eine stundenlange Debatte über den Sinn von Lohnkämpfen hochziehen, denke ich. Es war kein geringerer als Karl Marx, der auf einer Sitzung des Generalrats der I. Internationalen der Arbeiterbewegung am 20. und 27 Juni 1865 gegen diese Ansicht ankämpfte. Sie hat sich bis heute hartnäckig gehalten. Aber wer liest heute noch und wo die kleine Broschüre zum Thema “Lohn, Preis, Profit?”
Die Demonstration beginnt, nachdem der Bus aus Achern mit den Kolleginnen und Kollegen verspätet eingetroffen ist. Die Stimmung ist gut, Buh-Rufe, Pfeifkonzert. einige lockere Entertainmentparolen. “Wollt ihr ein? …. Nein! … Zwei? … Nein! … Was wollt ihr dann? … 6,5 % mindestens 200 €!” Irgendjemand ruft “Maoam”. Man zieht durch die Innenstadt, die Hauptstraße entlang zum Rathausplatz. Dort steht der riesige Mindestlohntruck von ver.di, der während der Tarifrunde unterstützend eingesetzt wird, um für einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € zu werben – eine in Bezug auf die Höhe durchaus umstrittene Forderung unter den Gewerkschaftsmitgliedern.
Während der Abschlusskundgebung ist Zeit, sich etwas umzusehen. Es sind auch Kollegen anderer Gewerkschaften anwesend. Marianne, Betriebsrätin bei der IGM hält es für wichtig, dadurch ihre Solidarität zu zeigen. Auch ihre Gewerkschaft hat für die Tarifrunde die 6,5 % Forderung im Gepäck. In den Reden wird die Position der Dienstleistungsgewerkschaft in der Tarifrunde 2012 nochmals erläutert. Selbst im Boomjahr 2011 gab es Reallohnverlust. Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes in den letzten Jahren ist geprägt durch die “Politik der Entstaatlichung” wie es der Vorsitzende der Gewerkschaft ausdrückte. Für die Beschäftigten immer schlechtere Arbeitsbedingungen (weniger Personal, Zeitverträge, hoher Arbeitsdruck) und über die letzten Jahre hinweg nur Lohnverlust. Kritiker der 6,5 % Forderung meinen, dass ein zweistellige Forderung notwendig wäre, um die negative Lohnentwicklung seit Einführung der Agenda 2010 aufzufangen. Schade, dass über diese Zusammenhänge niemand etwas sagte. Denn die Brechstange der rückläufigen Lohnentwicklung war die Agenda 2010 und insbesondere Hartz IV.
Stattdessen versuchte sich der Geschäftsführer in Nationalökonomie und meinte, dass 6,5 % “auch die deutsche Nation” stärkt. Er sang das alte Lied von Mr. Keynes von der Stimulierung der Wirtschaftsleistung durch die Stimulierung der Kaufkraft. Es ist ein Lied mit schrägen Tönen, das überdies auf der Kundgebung noch deutschtümelnd gesungen wurde. Da sind Teile der christlichen Kirchen schon weiter. Erst kürzlich sprach der Vorsitzende von Caritas Internationalis davon, dass der Kapitalismus keine Lösung für das Ende der Armut anzubieten habe ujnd sprach sich für eine umfassende Reform des Wirtschaftssystems aus. Wie diese Reform auch immer aussehen mag, sie wird auf grundlegende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens Antworten geben müssen: Wie hält sie es mit dem System des Kapitalismus.