Das Ende des Frühlings

  |   Maurizio Matteuzzi

libysche Rebellen in Brega

Mit dem Tod des Tyrannen – vielmehr seiner Exekution –, ist der Bürgerkrieg in Libyen und der “humanitäre Krieg” der NATO zu Ende (auch wenn die NATO und die Führungsnationen Frankreich, Großbritannien, Vereinigte Staaten und das mühselig hinterherhinkende Italien bereits angekündigt haben, dass sie auch weiterhin bleiben werden, um über den Sieg und seine Sieger zu wachen). Das Ende Gaddafis war abzusehen.

Es war ein Ende, wenn auch brutal und demütigend, für einen Beduinen, der weder fliehen noch sich ergeben wird, wahrscheinlich. Monsignore Giovanni Martinelli, der ihn gut kannte, sagte es ihm voraus. Doch der Tod Gaddafis, der unvermeidlich und nach 42 Jahren Herrschaft vorhersehbar war, ist nicht, wie viele meinen, eine Fortsetzung des “arabischen Frühlings”, der in Tunesien begann und in Ägypten fortgeführt wurde. Im Gegenteil! Jene Kette ist in Libyen wahrscheinlich definitiv gerissen.

Der libysche Aufstand

Warum war er von Anfang an, am 17. Februar in Bengasi, mitnichten vergleichbar mit der Bewegung in Tunesien im Dezember  und im Januar in Ägypten?  In Tunesien und Ägypten handelte es sich um eine Revolte der Massen und des Volkes. Es waren vor allem unbewaffnete und friedliche Revolten. Die “Revolution vom 17. Februar” war von Anfang an ein bewaffneter Aufstand, hochgerüstet und bestimmt – ein Aufgeben oder eine Flucht Gaddafis war unwahrscheinlich und wurde es noch mehr nach dem übereilten Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag –,  sich in einen blutigen und grausamen Bürgerkrieg zu verwandeln (und nicht nur durch “afrikanische Söldner”). Mit der Intervention der UNO und der scheinbar immer mehr zu ihrer “Militäragentur” werdenden NATO (wenn es um  den Trick der “humanitären Operation zum Schutz der Zivilisten” geht) lagen sofort klare Konnotationen einer Intervention nach neokolonialem Muster, mit ganz anderen politischen und ökonomischen Zielen als der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung, vor. Es ging um einen Regimechange, insofern der “alte Hund” in Tripolis, trotz seiner Orientierung auf den Westen, für ein Schlüsselland an der Schnittstelle Mittlerer Orient, Mittelmeer und subsaharisches Afrika, nicht als vertrauenswürdig erachtet wurde. Umso mehr als Libyen über reichlich Petroleum von ausgezeichneter Qualität verfügt, das leicht zu fördern ist und da ist das Wasser aus dem Großen Fluss (Great Manmade River, auf arabisch النهر الصناعي العظيم), das reichlich fließt – was zukünftig mehr wert sein wird als das Öl. 

Der hemmungslose und verdächtige Aktivismus von Frankreich und England (man denke nur an die Rolle des abgedroschenen neuen Philosophen Bernard-Henri Levy) verweist jeden, der noch etwas Gedächtnis besitzt, eher auf das englisch-französische Abenteuer von 1956 gegen den Suez Kanal und das Ägypten Nassers, als auf eine Operation des internationalen roten Kreuzes.

Die demokratische Welle, die sich vom Maghreb zum Mashriq bewegte, diente der NATO und dem Westen als Vorwand, sich einer unbequemen Figur zu entledigen. Gaddafi war weniger in Bezug auf seine Präsentierbarkeit unbequem (man müsste ansonsten in der halben Welt “humanitäre Eingriffe” organisieren), sondern in Bezug auf seine Vertrauenswürdigkeit in einem als strategisch wichtig geltenden Land.  Und so ist das Libyen des Februar 2010 nicht ein neues Kapitel im unvollendeten und noch nicht zu Ende gelangten Drama des “arabischen Frühlings” gewesen. Es handelte sich um einen fremdgesteuerten, bewaffneten Aufstand, ohne damit die in vielen Fällen heroische Teilnahme junger libyscher Revolutionäre schmälern zu wollen. Was aber bis jetzt aus dem Rauch des Sieges auftaucht, sind alte Anhänger Gaddafis die eiligst das Pferd gewechselt haben und nun in Reihe bei den amerikanischen und französischen Sponsoren anstehen oder die Islamisten und sogar ex – ex?-Jihadisten, die  der Laizist Gaddafi mit dem Segen des Westens in Stücke schnitt.     

Der “humanitäre Krieg” begann nicht zufällig  in der Nacht des 19. März, wenige Stunden nach der Resolution 1973 in der der Sicherheitsrat den “Schutz der Zivilbevölkerung” durch die französischen Jagdflugzeuge autorisierte, welche ihre Raketen auf die Anlage Bab al-Aziziya in Tripolis abfeuerten. Sie hofften so Gaddafi gleich beim ersten Schlag mürbe zu machen. Er endete auch nicht zufällig mit tausenden Luftraketen der NATO auf den Konvoi, der sich auf der Flucht aus Sirte befand, die mit aller Wahrscheinlichkeit und bevor nicht das Gegenteil bewiesen ist, dem Kolonel das Ende bereiteten (Apropos, wo war die UNO zum Schutz der  Zivilbevölkerung der Stadt, die seit über einem halben Monat der Hölle belagert und fortgesetzten Bombardements ausgesetzt wurde?)

Für alle Beteiligten war es besser so mit diesem Ende. Für die Aufständischen, die Gaddafi in einem neuen Libyen den Prozess machen wollten und die vielleicht nicht schlecht gestaunt hätten über die vielen Ex-Getreuen; für die westlichen Sponsoren, die ihn vor dem internationalen Strafgerichtshof aburteilen wollten und nicht schlecht gestaunt hätten, dass sich der Angeklagte Gaddafi an die Handküsse und die Bücklinge erinnert mit denen er noch vor wenigen Monaten von denen begrüßt wurde, die ihn jetzt der Menschenrechtsverletzung beschuldigen. Vielleicht auch besser so, weil der internationale Strafgerichtshof innerhalb weniger Jahre jede Glaubwürdigkeit verloren und zum Strafgerichtshof des Westens mutierte, der sich gegen die Bösen Afrikas oder Ex-Jugoslawiens als Tribunal der Sieger über die Besiegten richtet.

Mit dem Tod des Tyrannen Gaddafi ist auch der arabische Frühling gestorben, auch wenn das Chronogramm der Sieger eingehalten wird: eine Übergangsregierung innerhalb eines Monats, eine konstituierende Versammlung innerhalb 8 Monate, eine Verfassung und “freie” Wahlen Anfang 2013. Und schließlich das “neue Libyen”, das zum demokratischen Staat wird, ohne dass das Gespenst des Islamismus an seiner Zukunft kratzt.

Das scheint ein Widerspruch, ist es aber nicht. Es war einleuchtend, dass nach Tunesien und Ägypten, dem Sturz der Tyrannen Ben Ali und Mubarak, die freiheitliche und demokratische Welle auch das Libyen Gaddafis passieren würde. Nach Libyen, Syrien würde sie das Herz der arabischen Halbinsel erreichen: Jemen, Bahrein, Katar sowie die anderen Petro-Monarchien des Golfes und schließlich Saudi-Arabien, das Ziel jeder Befreiungsbewegung, die diesen Namen verdient. All diese Länder und Ländchen sind aufgebläht von Petroleum und Dollars, fast immer von den alten Kolonialmächten erfunden –Großbritannien, Frankreich, Vereinigte Staaten – als Geschenk für die Scheichs, Emire und Könige.

Der arabische Frühling ist in Libyen gestorben durch das perverse Linkage von feudalen Petro-Monarchien des Golfes und einem demokratischen Westen, der die Werte der Demokratie und Menschlichkeit verteidigt, um den Wert des Petroleums zu retten.

übersetzt von Günter Melle

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