Die Comune von Madrid

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Der Polizei gelang es nicht, sie aufzuhalten und so gibt es nunmehr im Zentrum von Madrid bei der Puerta del Sol eine selbstorganisierte Stadt. Sie reklamiert Bürgerrechte und trägt somit die Rebellion der Mittelmeerländer mitten in die Festung Europa. Die Demonstration zeigt, dass diese Festung alles andere als uneinnehmbar ist. Die Ideen der Frauen und der Männer und der Geschichte, die immer noch lebt, sind stärker als alle Grenzen.

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Es ist nicht leicht, das spontane Zusammenleben hunderter Personen im Zentrum der Stadt zu organisieren, die aus den unterschiedlichsten Bereichen  stammen und die sich nicht kennen. Sie müssen essen, sich waschen, schlafen, für Sauberkeit sorgen, kommunizieren und v.a. den öffentlichen Diskurs voranbringen.

Das alles, berichtet El Pais in einer Reportage zur Demokratiebewegung, geschieht ohne Hierarchien, ohne Gurus und charismatische “Führer”. Eine Stelltafel informiert die Demonstranten, die auf dem Platz ankommen: wo sich die Schlafzone befindet; wo es Lebensmittel gibt; und sogar, wo Fundsachen abzuholen sind. Es gibt acht Komitees, in Ausschüsse gegliedert, an denen viele Freiwillige partizipieren. Irgendjemand hat dafür gesorgt, das Zeltdächer aufgestellt werden, um sich vor Sonne und Regen zu schützen, die in den vergangenen Stunden reichlich vorhanden waren. Es sind auch Holzplatten aufgetaucht, die als Fußboden benützt werden und jemand hat sogar Sofas und Liegestühle organisiert.

“Wir brauchen Brot und Kaffee” wurde gestern über Twitter bekannt gegeben. Einige Restaurantbesitzer des Viertels haben Essen und Apfelwein gespendet. Ein Moderator kümmert sich um die Gesprächsleitung. Einige Sitzungen dauern Stunden, weil alle von sich erzählen wollen. Es kümmern sich viele darum, was ins Netz gestellt wird, andere organisieren den Rechtsschutz und dass alle die Adresse eines Rechtsanwaltes bei sich führen, der im Falle einer Verhaftung zu erreichen ist.

imageDie wichtigste Demonstration fand am 15. Mai in Madrid statt. “Toma la calle el 15 de mayo, sin futuro y sin miedo” (Besetzt die Straße am 15. Mai ohne Zukunft und ohne Angst) stand auf den Transparenten der Demonstration von Studenten und Prekären, welche die “italienische Praxis” der Book Bloc übernahmen: Beschriftete Kartons als Schild gegen die Bildungsreform Gelmini.  Tausende von Jugendlichen und Studenten hatten Welfare  und Einkommen gegen die Sparpolitiken der Regierung gefordert. Ähnliche Proteste haben am 15. Mai die Straßen von mehr als 50 Städten Spaniens mit Demonstranten gefüllt.

So kam es am am 16. Mai, dem Tag darauf, zur Besetzung der Puerta del Sol, einer der zentralen Plätze von Madrid. Auf den Spuren der Initiative Madrids, gab es Demonstrationen in Barcelona, Valencia, Zaragoza, Palm de Mallorca, Sevilla und Bilbao. Die Bewegung lehnt feste Sprecher ab und niemand hat die Intention, sich  von schon bekannten Schemata gefangen nehmen zu lassen.

Das, was eine Botschaft, die in das stürmische Meer des Netzes und Social Network  geschickt wird, auszeichnet, ist ihr Etikett, das “tag”. Wenn ihr Nachrichten und Entwicklungen der spanischen Bewegung in diesen Tagen verfolgen wollt, sucht im Netz unter “15m”. Es ist das Kennzeichen, das seit dem Tag als alles begann, benutzt wird. Dann gibt es noch “acampadasol”, ein Begriff, der von Puerto del Sol stammt, als das “Camping” tausender Personen auf dem Platz organisiert wurde. Im Social Network ist auch der Begriff “spanishrevolution” aufgetaucht, deutlich inspiriert von den Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Orient.

Den kommende 22. Mai werden in Spanien Regionalwahlen abgehalten. Einige politische Exponenten haben ihre Meinung kund gegeben, nachdem die Polizei des aufgelösten Madrid das Zeltlager räumte. Auch der sozialistische Kandidat Madrids, Tómas Gómez, konnte das Völkchen von Puerto sol nicht verurteilen, aber er versuchte den Protest in altbekannten Schemata zu kanalisieren. Er vergaß dabei zuerst die Verantwortung der Partito Popolare von Aznar, welche die spekulative Blase nährte und dann die der Sozialisten, welche keine Antwort auf die Krise hatten. Er meinte: “Ich ermuntere die Jugendlichen zu rebellieren und identifiziere mich mit ihren Forderungen, aber ich will auch sagen, dass es einen Weg gibt, die Welt zu ändern, das zu ändern, was falsch ist: und das ist die Politik.” Gómez meinte weiter, dass er die Besorgnis der Demonstranten verstünde, da “ein ganzes ökonomisches und politisches System gescheitert ist… Dennoch sind die wirklichen Gegner des Systems die Anarcho-Liberalen, die in ihren Büros sitzen und den öffentlichen Organen, Dienstleistungen und dem Sozialstaat den Garaus machen wollen.”

Der Vorsitzende der Izquierda Unida (Vereinigte Linke), Cayo Lara, konzentrierte seine Wahlkampagne auf die Mängel angesichts der Krise des Partito popolare und die der sozialistischen Regierung unter dem Premier José Rodríguez Zapatero. Lara beschuldigte Zapatero, den Bänkern die sozialen Rechte verkauft zu haben und er erklärte der Bewegung gegenüber seine Unterstützung. “Wir wollen niemanden instrumentalisieren. Wir unterstützen diese Bewegung der Rebellion und der Empörung, denn wir sind ein Teil von ihr. Aber wir sind keine Opportunisten und suchen auch nicht die Rampenlichter”, sagte Lara auf einer Demonstration in Sevilla. Er verurteilte die gewalttätige Repression der Polizei gegen die Demonstranten und sagte: “Izquierda Unida stellt fest, dass der Vicepremier den Protest unterdrückt, anstatt sich um eine Lösung zu kümmern.” Die Kommentatoren bemerken, das die Rechte des Partito Popolar sich nicht besonders über die Proteste aufregt: sie betrachten sie eher als eine interne Angelegenheit der Linken.

Die Sprecher der Bewegung wechseln täglich. “Wir verlangen eine politische, soziale und ökonomische Veränderung”, erklärt Oscar Rivas, der gestern Sprecher war. “Die Wahlen des 22. Mai sind nicht das Datum, welches diese Bewegung beenden wird. Wir wollen weiter jeden Abend an die Puerta del Sol kommen und zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.” Die Wahlkommission ist in Schwierigkeiten: Die Regeln erlauben vor der Wahl keine politischen Manifestationen, aber es gab eben nie zuvor eine ähnliche Anomalie. Ein Pressekommuniqué verspricht: “Das ist erst der Anfang. Die Plattform, horizontal, basierend auf offenen Versammlungen unter Partizipation der Arbeiter, Erwerbslosen, Studenten, Jugendlichen, Pensionären wird weiter ihre Arbeit vollziehen. Wir wollen den Weg vertiefen, den wir begonnen haben. Wir glauben, dass eine gerechte Gesellschaft möglich ist. Und wir werden es beweisen.”

Ein Junge indessen trägt sein Schild vor sich her, worauf geschrieben steht: “Ich habe es satt, die Zukunft zu sein, ich bin die Gegenwart.”

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