Quelle: Il Manifesto
Autor: Zvi Schuldiner
Zvi Schuldiner ist Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem und ein prominenter Aktivist der Friedensbewegung sowie der israelischen Linken. Er schreibt regelmäßig in Il Manifesto aber auch in der alternativen Schweizer "Wochenzeitung" (WoZ).
Der ganze mittlere Orient, Nordafrika, vielleicht der Iran: es ist fast unmöglich das Gewitter in dieser Region zu beschreiben, das nach der Revolte losging, die Ben Ali wegfegte.
Gegenüber einem wunderbaren Schauspiel der Völker, die stolz und optimistisch ihren Kopf aufrecht halten und für eine bessere Zukunft kämpfen, stehen die Massaker des “Ex-Progressisten” Muammar Gaddafi sowie die Versuche die Bewegungen, welche gegen die verschiedenen Diktaturen aufbegehren, zu domestizieren.
Einem gesunden, tröstlichen Optimismus stehen die “antiquierten Pessimisten” entgegen, welche die Notwendigkeit anmahnen, die Strukturen, Klassen und mögliche Enttäuschungen der von den herrschenden Klassen vereinnahmten Bewegungen zu analysieren. Oder sie warnen vor den Gefahren des religiösen Fundamentalismus, wenn es keine starken laizistischen Kräfte gibt, welcher die Perspektive der Rückkehr zu einer Politik anbieten können, die nicht nur den Kampf um die Macht darstellt. Das “Phantasma des terroristischen Islamismus” wird von denen bemüht, die bedacht sind die Volksbewegungen herabzusetzen. Die “Gefahr” der iranischen Kriegsschiffe ist Anlass von Bestürzung in Jerusalem, Washington und weiterer westlichen Hauptstädte. Es ist leicht Slogan zu bemühen, schwerer ist es, die unterschiedlichen und widersprüchlichen Prozesse in der Region einzuordnen.
Demokratie ist ein bequemes Wort. Einfach. Bekannt. Vielleicht sogar ein fundamentales Element der Propaganda. Israel ist “die einzige Demokratie” in der Region. Beh, es herrscht mit Gewalt über drei Millionen Palästinenser, die jedes politische oder individuelle Recht verloren haben, die Objekte einer brutalen Okkupation oder Opfer eines kriminellen Krieges gegen Zivilisten in Gaza sind. Im Innern diskriminiert “die einzige Demokratie” die palästinensisch-israelischen Bürger und diskutiert verschiedene politische Initiativen der Repression: im Stile McCarthy, rassistisch, faschistisch.
Die Vereinigten Staaten, unter Barak Obama, die Paladine der Demokratie, unterstützen die gesellschaftlichen Kräfte, die Hosni Mubarak in Ägypten entthronen. Sie schweigen zu Bahrein, stottern beim Iran, hegen Zweifel angesichts der Massaker Gaddafis in Libyen. Und sie “exportierten die Demokratie” in den Irak mit einem Krieg der hunderttausenden das Leben kostete. Sicher, der Krieg im Irak wurde von Bush begonnen. Aber es ist die Administration Obama, die ihr Veto im Sicherheitsrat der Uno, gegen eine fast einstimmige Haltung zu den illegalen Siedlungen Israels auf palästinensischem, besetztem Territorium, einlegt. “Demokratie” ohne die Palästinenser?
Über Jahrzehnte hinweg hat Israel die illegale ägyptische Politik angegriffen, welche den israelischen Kriegsschiffen die Passage durch den Suezkanal verwehrte. Sie müsste seit dem Abkommen von Konstantinopel im 19. Jahrhundert garantiert sein. Das Problem wurde erst mit dem Friedensabschluss zwischen Ägypten und Israel gelöst. Mit welchem Recht schlagen Israel und die Vereinigten Staaten Lärm gegen die “Gefahr” oder “iranische Provokation” wegen der Passage zweier iranischer Schiffe in Richtung Syrien? Nur in einer Kriegssituation könnten die Ägypter die Passage der beiden Schiffe verwehren – die im übrigen schon nicht mehr für die Propaganda des Westens “bedrohlich” sind; der nicht weiß, wie er sich den neuesten Ereignissen in der Region gegenüber verhalten soll.
Die israelische Regierung, die wegen der Abstimmung, trotz amerikanischen Vetos, in die Defensive geraten ist, spürt den wachsenden Druck und beginnt nun eine Diskussion über Neubauten in Jerusalem –und zwischenzeitlich, während sie “die Gefahr des Islam” schreit, sucht sie erneut nach einem Heilmittel.
Angesichts der sich in Ägypten vollziehenden Änderungen, winden sich die Studierten vor den Spiegeln, um ihre seit Jahren vorherrschende Blindheit zu erklären. Auf der israelischen “Straße” werden vielfältige Meinungen geäußert. Einerseits die Angst, der Islam, die Friedensabkommen: wir waren so an Mubarak gewöhnt. Andererseits wird dieses Volk beneidet, das bereit ist für eine Änderung zu kämpfen und den Sieg davonträgt. Ganz am Rande begann in Israel ein moderater Protest gegen die Preise für Benzin und Wasser. Aus Furcht vor der “Ansteckungsgefahr Kairo”, versprach Premier Netanjahu sofort Veränderungen vorzunehmen und nahm einige “Kosmetik in der Bilanz” vor.
Alle fragen sich nach der Zukunft des israelisch-ägyptischen Friedens – manche denken jedoch, dass der Friede unter einem demokratischen Regime, das wirklich auf die Interessen der Ägypter antwortet, sicherer sei.
Aber was geschieht eigentlich tatsächlich in Ägypten? Nach Wochen der Euphorie, beginnt sich die Lage unter widersprüchlichen Signalen zu stabilisieren. Welches Resultat brachte die Revolte? Die ägyptische Armee ist zentraler Akteur einer Entwicklung, die vielleicht mehr demokratische Öffnung verspricht und Schritte in Richtung mehr politischem Liberalismus garantiert. Aber sie ist ebenfalls Teil eines Übergangs zu mehr ökonomischem Liberalismus.
Ein Drittel der ägyptischen Ökonomie ist direkt in Händen der Armee, die von Plastik bis zum Olivenöl alles produziert. Aktive Offiziere (oder ausgeschiedene) im Dienst und ihre Freunde herrschen über eine Ökonomie, die einen positiven Wachstumsindex erzeugte. Dieses Wachstum aber kam bei den Millionen Ägyptern, die vom “Zyklus des Reichtums” ausgeschlossen sind, nicht an. Das alte Dogma von Wachstum ist nicht die Antwort auf die Bedürfnisse des ägyptischen Volkes. Wir haben in diesen Tagen viele Kämpfe der Arbeiter um die Erhöhung des bei 100 Dollar garantierten Monatseinkommens erlebt.
Mubarak ist gegangen, das System zu ändern ist jedoch schwieriger. Und die Amerikaner, voller demokratisierender Intentionen, werden kein Ägypten dulden, das sich vom “Konsens mit Washington” abwendet. Also auch in Bezug auf Ägypten ist es notwendig die Stereotypen beiseite zu lassen und die strukturellen Realitäten zu analysieren.
(Übersetzung: Roberto Greco)