Gewerkschaftsbewegung in Tunesien

Der Gewerkschaftsbund UGTT bildete während der Kolonialzeit den Rahmen der tunesischen nationalen Bewegung. In Tunesien beruft sich jeder auf Ferhat Hached, einem der Gründer der tunesischen Gewerkschaftsbewegung. Er wurde 1952 von rechtsextremen Kolonialisten mit Hilfe der französischen Geheimdienste ermordet. UGTT ist größtenteils aus der französischen CGT entstanden; während des Zweiten Weltkrieges ist es jedoch zu einem Bruch gekommen, weil die PC (Kommunistische Partei) und die PS (Sozialistische Partei) die Forderung nach Unabhängigkeit ablehnten. Die UGTT hat sich daraufhin dem nationalen Flügel genähert, den Bourguiba verkörperte, der im Übrigen zur Sozialistischen Internationale gehörte. Aus dieser Zeit stammen also die komplexen Verbindungen zwischen der UGTT und dem tunesischen Staat.

An die Macht gekommen, hat Bourguiba das Prestige der UGTT genutzt, um seine Herrschaft zu sichern. Daraus resultiert ein ständiges Hin und Her der UGTT zwischen zwei großen informellen Strömungen. Der eine Flügel ordnete sich dem Machtapparat unter, zum Teil bis zur völligen Integration unter den Staatsapparat. Dadurch erhielten sie zahlreiche Geschenke, wie z. B. Posten als Abgeordneter. Als Gegenleistung rief die Gewerkschaftsdirektion auf, die Partei, die an der Macht war, zu wählen. Sie versuchte, die gewerkschaftlichen Kämpfe zu bremsen – sie bekämpfe sie sogar.  Der andere Flügel hatte zum Ziel, der Regierung zu wiederstehen. Ihm gehören starke Verbände wie die Lehrergewerkschaft, die Gewerkschaft für Post und Telekommunikation sowie regionale und lokale Gewerkschaftsgliederungen. Für zahlreiche soziale und/oder politische Oppositionelle dienten die Räumlichkeiten dieser gewerkschaftlichen Strukturen als Basis (Unterschlupf) ihrer Aktivitäten. Diese Strömung hat eine entscheidende Rolle in den Streiks, Versammlungen und den Demonstrationen gespielt, die die Diktatur  schließlich zum Sturz gebracht haben.

Zwischen den beiden Flügeln gibt es eine ganze Reihe von unterschiedlichen Positionen.
Zwei Beispiele:
Der UGTT-Sekretär von Gafsa war gleichzeitig Abgeordneter der Ben-Ali Partei und Chef eines Subunternehmens, das für die Phosphatminen Aufträge erhielt.  Er war persönlich verstrickt in Kungeleien bei der Einstellung des Minenpersonals und bevorzugte seine Sippe. Als sich die Bevölkerung gegen diese Ungerechtigkeit mobilisierte, entließ er einfach die Gewerkschafter, die darin involviert waren. Um dem Skandal noch die Krone aufzusetzen, wurde er auch noch von der Gewerkschaftszentrale unterstützt. Der für diese Angelegenheit zuständiger Gewerkschaftler – Mitglied seiner Sippe – erklärte die Mobilisierung der vielen Menschen als "das Werk gefährlicher Extremisten"! Auf diese Weise wurde der Repression gegen Mitglieder seiner eigenen Gewerkschaftsorganisation grünes Licht gegeben, sie wurden inhaftiert und einige sogar gefoltert.

Aber ein anderer Teil der Gewerkschaft (u.a. die Lehrergewerkschaft und die Gewerkschaft der Post und der Telekommunikation) hat sich für die Angeklagten in Redeyef-Gafsa eingesetzt. Schlussendlich musste die Gewerkschaftszentrale vor Eröffnung des Prozesses den Gewerkschaftern aus Redeyef ihr Mandat zurückgeben und ihnen und ihren Familien finanzielle Unterstützung geben.

Zweites Beispiel: Die regionale Union von Tunis ist  natürlich die wichtigste interprofessionelle Struktur der UGTT. Nachdem sie sich lange Zeit der Macht unterworfen hatte, kam es teilweise zur Kritik am Regime. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sie unter diesen Bedingungen am 27. Dezember zu einer Versammlung auf dem berühmten Platz vor dem Sitz der UGTT aufrief. Das brachte ihr die öffentliche Ächtung des Generalsekretärs  der UGTT: Er kritisierte namentlich den Generalsekretär der Lehrerschaft, der dort eine Rede gehalten hatte und beklagte die feindlich gesinnten Rufe gegen Ben Ali seitens der Demonstranten.


Quelle: Auszug aus einer Analyse der französischen Gewerkschaft Solidaires über die Bewegung in Tunesien, >

www.europe-solidaire.org/spip.php?article19923
Internetseite der tunesischen Gewerkschaft UGTT: > www.ugtt.org.tn/fr
siehe auch: "Warum die Gewerkschaft UGTT eine große Rolle gespielt hat",> www.maghrebemergent.com/actualite/maghrebine/1976-pourquoi-le-syndicat-a-joue-un-role-aussi-important-dans-lintifada-tunisienne.html
Ausführlicher Bericht (auf Deutsch) von Bernard Schmid:>
www.labournet.de/internationales/tn/benali6.html

Die langen Arbeitskämpfe in Gafsa (2008-2009) sind Vorboten der tunesischen Aufstands gewesen > http://www.europe-solidaire.org/spip.php?article19786

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