Niemand darf uns die Revolution klauen

 

circoli il manifesto

Quelle: Il Manifesto

Autor: Michele Giorgio, Kairo

“Armee des Volkes verlasse das Volk nicht”, rufen hunderte Demonstranten den Panzerbesatzungen zu, die sich in ihren Türmen und Tanks verschanzt haben. Die Militärs rühren sich nicht, schweigen und die Menge setzt ihren Sprechchor fort. Es regnet, manch eine/r sucht Schutz in der Zitadelle kleiner Zelte, die auf der Grasfläche der kleinen Gärten am Platz Tahrir angelegt wurde.

Andere strecken ihre Arme aus,  so als begrüßen sie den in diesem Land so sehnlichst erwarteten Regen. “Vor kurzem hat das Militärkommando mitgeteilt, dass einige der Panzer in die Kasernen zurückberufen werden. Wir wollen das nicht. Ihr Abrücken wird den Aggressionen der Baltagiyya freien Lauf lassen. Die Soldaten müssen hier bleiben!” sagt Hani, ein Ingenieurstudent, der Maurerkleidung trägt. Er zeigt auf die Panzer, die vor dem Ägyptischen Museum positioniert sind. Der Sprechchor geht weiter. Ein Mann versucht der ihn verfolgenden Menge zu entkommen. Er wird geohrfeigt, er erhält Fußtritte, dann wird er laufen gelassen. “Es ist ein Mukhabarat (Stasi, d.Ü.), er hat Glück, denn hier sind friedliche Leute die niemandem Böses antun wollen”, kommentiert Hani. Weiter hinten, beim Innern des Platzes, wenden sich Redner an die Menge, die sie beschwören nicht aufzugeben und versichern, dass der Sieg gewiss und nahe ist. Der Diktator Mubarak wird bald gezwungen sein, das Land zu verlassen.

Nach dem “Tag des Aufbruchs des Rais” und dem “Sonntag der Märtyrer”, versammeln sich auf dem Platz Tahrir und in anderen Städte Ägyptens Hunderttausende. Auf dem zum Symbol der Revolte gewordenen Platz sieht man Wut und Freude. Der Erfolg der Mobilisierung des Volkes gegen das Regime ist unzweifelhaft. Die Solidarität ist enorm. Alle greifen zu, von der Frau, die Biskuits und Brot verteilt bis zu den Ärzten und Sanitätern. Letztere haben kleine Ambulanzen eingesetzt, welche die vergangenen Tage die Demonstranten versorgte, die von den Aggressionen der “Pro-Mubarak” verwundet wurden. Jetzt widmen sie sich der Pflege von Personen, die von der Erschöpfung und dem Stress von 12 Tagen besiegt wurden.

Die Front der Revolte schließt die Reihen der Opposition noch enger. Eine neue politische Gruppe wird ins Leben gerufen, die ermächtig ist, im Namen des Platz Tahrir zu sprechen. Teil dieser Gruppe sind die Nationalversammlung für einen Wechsel von Mohammed El Baradei, ehemalige Mitglieder der Partei Tagammu (Linkspartei), der Leader der Moslembrüder Mohamed Beltagy und der Leader der zentristischen Partei Ghad, Ayman Nour. Und da gibt es noch die ägyptischen Kopten, die sich in ansteigender Zahl der Revolte anschließen, um sich von der “Protektion” des Raìs zu befreien. Heute, Sonntag,  feiern die Kopten ihre Messe auf dem Platz Tahrir und bekunden so ihre Eintracht mit den Moslems, die an Neujahr durch das Attentat auf die Heiligenkirche in Alexandria empfindlich gestört wurde.

Aber nicht alle Nachrichten, die in den letzten Stunden ankommen, sind angenehm für die, welche die sofortige Dimission von Mubarak quasi zu ihrer Lebensaufgabe machten. Teile der Opposition, darunter die Partei Tagammu und Wafd (Rechtspartei) haben mit dem Vizepräsidenten Omar Suleiman Kontakt aufgenommen – das berichtete auch gestern das State Departement USA – und entzogen sich der am Tag zuvor auf dem Platz Tahrir gefassten Entscheidung, nicht mit dem Regime zu verhandeln, bevor sich Mubarak nicht definitiv davon gemacht hat.

“Sie schmieden ein Komplott gegen die Revolution" und zögern nicht, uns zu verraten, wir werden uns mit einer neuen Regierung nicht zufrieden geben, wir geben unser Leben für etwas besseres und wir werden nicht aufgeben”, sagt entschieden Abdallah, ein Angestellter des Gesundheitsministeriums. Auch der bekannte Schriftsteller Alaa al Aswani reflektiert über einen unannehmbaren Kompromiss für den Platz Tahrir: “Die Gefahr besteht, aber dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt”, betont Aswani, "… der dekorativen Opposition, die seit Jahren die ägyptische Politik beschädigt und die mit dem Regime zusammenarbeitet, wird es nicht gelingen, das Land zu einem Rückwärtssalto zu bewegen.”

Nicht wenige Anti-Mubarak Demonstranten schauen mit gesteigertem Misstrauen auf die Linie der US-Administration. “Obama behauptet unsere Rechte zu verteidigen, aber er will das Regime retten. Er befürwortet die Dimission von Mubarak, will aber das System der Macht auf den Beinen halten, indem er die Schlüssel für die Maschinerie Suleiman aushändigt”, sagt Haider Kandil, ein Lehrer und er fügt hinzu, “niemand kann uns die Revolution klauen, niemand darf den Platz Tahrir verraten.”

Als sich unter den Demonstranten die Nachricht verbreitet, dass auf Suleiman ein Attentat verübt worden wäre (die Bodyguards seien getötet worden) – was sofort trocken von den Sicherheitsapparaten des Landes dementiert wurde – gibt es unterschiedliche Reaktionen. Einige reden von “interner Faida” des Regimes, andere von einer gezinkten Nachricht, um Chaos im Land zu verbreiten.

Im Verlauf dieser Tage beginnen die dem Präsidenten – und dafür generös belohnten – traditionell ergebenen Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft ihren Druck hörbar zu machen, dass die politische Krise eine schnelle Lösung finde und Mubarak in der Präsidentschaft verbleibe. In erster Reihe steht das große Kapital, das auf das Recht des Rais besteht, sein Mandat ordentlich zu beenden. Unternehmer aber auch einige Intellektuelle und ägyptische Juristen haben eine eigene Lösung ausgearbeitet. Das erklärte Naguib Sawiris, der reichste Mann Ägyptens. Er ist weiterhin Exekutivpräsident von Orascom und Wind Telecom und in Italien von Wind Telecomunicazioni. Der Vorschlag lautet: mehr Macht für Suleiman, Auflösung des Parlaments, Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Mubarak sagt Sawiris “muss an der Spitze des Landes bleiben” bis zum Ende seines Mandats zum kommenden Oktober, um “seine Ehre” und “die  Ehre der Ägypter” zu schützen. Sawiris vernachlässigt die “Nebensächlichkeit” von 300 Menschenleben, die Mubarak in den vergangenen Tagen nicht “schützte”, als er seiner Polizei befahl auf die Demonstranten zu schießen. “Die Leute sind besorgt um die Stabilität und wollen zur Normalität zurückkehren, einige haben kein Essen und kein Geld mehr und die Unternehmen stehen vor dem Ruin”, bekräftigt Sawiris und schätzt den  durch die Krise verursachten Verlust auf 10% des ägyptischen Bip.

Unterstützt vom Regime und dem Großunternehmertum, ist Mubarak gestern in den Ring zurückgekehrt. Er nahm an der Regierungskonferenz teil, die sich der sozioökonomischen Situation des Landes widmete. Unter den durch die Exekutive benannten Zielen steht, die Bevölkerung zur Rückkehr an die Arbeit zu überzeugen, indem versucht wird, die äußerst schwierige Situation der Ärmsten anzusprechen, die ohne Geld dastehen und gezwungen werden mit der Erhöhung der Grundlebensmittelpreise fertig zu werden. Die Minister haben aber nicht über das unschätzbare Glück diskutiert, das dem Präsidenten und seiner Familie erlaubte, in den vergangenen dreißig Jahren der Macht zwischen 40 und 70 Milliarden Dollar –nach Schätzung der internationalen Presse- anzuhäufen. Dabei handelt es sich um Prestigeimmobilien auf der ganzen Welt, Finanzeinlagen, einen Strom an Geld, der auf Geheimkonten im Ausland, v.a bei der Schweizer Bank Ubs und der Bank von Schottland gestaut ist.

Laut Christopher Davidson, Professor für mittelorientalische Politik an der Durham University, seien es die First Lady Susan und der zweite Sohn Gamal (mehrmals als zukünftiger Präsident genannt, der jedoch gestern auf den Vorsitz der Pnd –der Partei des Systems-verzichten musste), denen über die Jahre das Glück der Familie Mubarak hold war. Sie profitierten von den Partnerschaftsverträgen mit Investoren und ausländischen Firmen, während der Pharao zum Wohlwollen des Westens Ägypten regierte und die Islamisten bekämpfte. Es ist kein Zufall, dass Mubarak ein Freund von Berlusconi ist. Gestern veröffentlichte die Megaphonepresse des Regimes die Erklärung des Präsidenten des Ministerrats von Italien: “Mubarak ist ein weiser Mann”.

Dieser Weise hat gerade wenigstens 500 Ägypter einsperren lassen. Nicht wenige von ihnen sind spurlos verschwunden. Gestern erkundigte sich ein auf dem Platz Tahrir nach seinem 16jährigen Sohn, der seit Tagen verschwunden ist, eine Frau hat seit Beginn der Proteste keine Nachricht mehr von ihrer 14jährigen Tochter. Sie könnten in den Klauen der Polizei sein. Die Demonstranten auf dem Platz Tahrir wissen sehr gut, wenn sie verlieren, sind sie gebrandmarkte Frauen und Männer. “Auch deshalb müssen wir gewinnen und das Regime schlagen”, meinte Azim, ein Junge aus der Bewegung 6. April. Und er sagte weiter: “Wenn wir jetzt zögern, werden wir alle den Preis dafür zu zahlen haben.”

Übersetzung: Roberto Greco

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