Quelle: http://www.carta.org/articoli/19857
Autor: Enzo Mangini
Der Generalstreik, der für Mittwoch, 1.2.2011, durch die ägyptische Opposition proklamiert wurde, könnte die letzten Zuckungen des Regimes Mubarak darstellen. Die Welle des Protests hört nicht auf und für den Westen wäre es an der Zeit, seine Behäbigkeit zu beenden, mit der er die arabische und moslemische Welt interpretiert. Der Platz Tahrir ist näher als manch eine\r glaubt.
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Sechster Tag der Proteste auf dem Platz Tahrir. Sie stehen im Zeichen des Generalstreiks, der von der Opposition ausgerufen wurde. Das könnte das Ende des dreißigjährigen Regimes von Hosni Mubarak bedeuten. Der Präsident, der in die Enge getrieben ist, versucht seine Haut zu retten mit einer hastigen, zwielichtigen und zu späten Regierungsumbildung. Die neuen Minister stehen in der Kontinuität der Auswahl von Omar Suleiman als Vice-Präsident; d.h. in der Betonung des repressiven Apparats, der momentan für das Regime der einzige Bezugspunkt im Untergang scheint.
Bezeichnend ist die Tatsache, dass die einzige Regierung, die Mubarak volle Unterstützung zusagte, die israelische ist. Besorgt um einen möglichen Einfluss der Moslembruderschaft, ist der Regierung Netanyahu nichts besseres eingefallen, als die internationale Staatengemeinschaft aufzufordern, Mubarak zu verteidigen und zu unterstützen.
Das Verhalten der israelischen Regierung ist Ausdruck einer Furcht, die sie mit vielen Regierungsspitzen in Europa und mit Washington teilt. Unfähig, die schrillen Töne der Revolte zu begreifen, die nunmehr aus Tunesien und Kairo schallen, versuchen sie mit den politischen und sozialen Oppositionen in Dialog zu kommen, um zu vermeiden, dass der Zusammenbruch der in Wut ertränkten Regimes, sich auf die Länder auswirkt, welche sie bis gestern noch unterstützten. Der nunmehr erfolgende Politikwechsel ist im Grunde die Konsequenz der Rede des amerikanischen Präsidenten, die er zu Beginn seines Mandats in Kairo gehalten hat.
Die akute Phase des “Krieges gegen den Terror” der Ära Bush ist zu Ende und auch in Washington hat man seit geraumer Zeit bemerkt, dass sich der Islamismus in der Al Qaida Version nicht in der öffentlichen Meinung der arabischen Länder durchsetzen konnte. Und das war sicher nicht das Verdienst der despotischen Regierungen in ihrer inneren Unzulänglichkeit. Der Zeitpunkt wäre also gekommen, um die lang hinausgeschobenen Versprechen in den ungleichen Beziehung zwischen dem Westen und den arabischen Völkern einzulösen: eine Ungleichheit die nach der Welle des arabischen Nationalismus wieder aufgebaut wurde und der Dekolonisierung, die Dank großzügiger Geschenke an das Militär und ebenso großzügiger Komplizenschaft bei der Verletzung von Menschenrechten durchgeführt wurde. Dieses Verhalten des Westens kann man studieren anhand der Bilder, die vom Platz Tahir zu uns gelangen: Die Panzer, welche von den Massen umringt werden, sind us-amerikanischer Herkunft.
Die Frage, welche sich die westlichen Regierungen stellen ist: Was geschieht, wenn Mubarak stürzt? Es können viele Dinge geschehen, was aber wichtig ist, dass es die Ägypter sein werden, die entscheiden, was geschehen wird. Und Ägypten ist wegen seiner wichtigen Position für Asien und Afrika ein Orientierungspunkt der arabischen Welt und ein Gigant in der moslemischen. Die großen Wellen des Protests der Demonstration auf dem Platz Tahrir reichen bis Ryad und Rabat, und sogar darüber hinaus: Das Echo der Demonstrationen von Teheran gegen den Wahlsieg von Ahmadinejad ist noch frisch in Erinnerung.
Der schlimmste Irrtum, den die Regierungen in Rom, Paris, London oder Washington begehen können, wäre all das im religiösen Kontext zu lesen. Der politische Islam hatte so gut wie kein Gewicht in der tunesischen Revolution – er wird es vermutlich auch für die Zukunft des Landes nicht haben. Er wird sicherlich in Ägyptens Übergangsphase ein stärkeres Gewicht haben, jedoch kann man nicht alles auf die Moslembruderschaft reduzieren.
Die Revolten dieser Wochen sind ein Fenster auf die in den arabischen Gesellschaften vollzogenen Veränderungen der letzten fünfzehn Jahre (mindestens) und auf die, welche noch kommen werden. Sie beginnen beim selbstverständlichen Gebrauch der digitalen und horizontalen Kommunikationsformen, die auch den politischen Islam konditionierten. Der ist seinerseits selbst zu einer “traditionellen” Institution geworden, insbesondere wegen seiner holistischen Anmaßung, auf jedes Problem der Gesellschaft eine Antwort bereit zu haben. Auch in Kairo begann die Revolte, bevor die Moslembrüder ihren Segen gegeben haben. Es gibt kein Zweifel, dass diese sozial verwurzelte und wachsame Bewegung selbst die Ikhwan mit ihrer Tiefe und Reife der Protestkultur überrascht hat.
Aus diesem Blickwinkel sind die tunesische und ägyptische Revolte eine historische Neuheit. Dies nicht nur für die arabische und moslemiche Welt: Wie die Studentenproteste in Italien und Großbritannien, wie die Proteste gegen das Sparregime in Griechenland, sind sie auch das Auftauchen einer neuen Generation auch der politischen Bühne, die nur teilweise, zum kleinsten Teil in laufenden geopolitischen Kategorien erfasst werden kann. Der Platz Tahrir ist näher als so manch eine/r denkt.
Übersetzung: Roberto Greco