Neujahrsempfang ver.di Offenburg

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Bericht eines ver.di Mitglieds und Aktivisten der Erwerbslosenarbeit

Noch vor einigen Jahren hätte ich gesagt, lass mich bloß in Ruhe mit diesen langweiligen Ritualen. Wenn man die Gewerkschaft braucht, ist sie nicht da. Doch an diesem Abend des 27. Januar zeigte der kleine Ortsverband Offenburg  der Gewerkschaft ver.di mit seinen dreitausend Mitgliedern, dass er voll im Leben und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort steht.

Zum Empfang im alevitischen Kulturzentrum waren etwas über hundert der Mitglieder und ehrenamtlichen Funktionäre gekommen. Anwesend waren auch Funktionäre der Einzelgewerkschaften und des DGB. Ich glaube, sie hatten guten Grund etwas neidisch auf den gelungenen Abend zu blicken. Da war die kämpferische Stimmung, die sich schon im Kulturprogramm bemerkbar machte. Bei 500 000 Ein€Jobber,  2 Millionen Leiharbeiter, jede Menge Mini-, Midijobs- Entlohnung unter Hartz IV Niveau ist es konsequent an die Tradition der Armenbewegung mit dem Hungerlied von Georg Weerth zu erinnern, das er im Vormärz der bürgerlich demokratischen Revolution   getextet hat. Als Martin Schütt das Lied interpretierte, war mir die Realität des Hartz IV-Alltags angesprochen. Ich schaute hinüber zum Tisch, wo sich Wohnungslose hingesetzt haben und sah auch dort ähnliche Emotionen ins Gesicht geschrieben, wie sie mir beim Text des Liedes hochkamen.

“In Deutschland muss niemand um Essen anstehen” (Presseclub). Man kann in dieser Republik nur hinter vorgehaltener Hand sagen, dass inzwischen wieder in Teilen der Bevölkerung die Erfahrung von sehr schlechtem Leben, inklusive Hunger, gemacht werden. Aber in der Gewerkschaft scheint es inzwischen – wenn auch die Koordinaten der Ärmsten andere sein mögen – angekommen. Hungerlöhne, die dazu führen, dass Familien für ihre Kinder nicht mehr ordentlich sorgen können, eine Stütze für sogenannte “Langzeitarbeitslose”, die sich an den ökonomischen Notwendigkeiten der Banken- und Finanzrettungsschirme des Kapitals orientiert und die Überflüssigen gerade noch mit dem Notwendigsten versorgt.

Auf die Koordinaten der Gewerkschaft ging der Referent dieses Abends, Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen ein. Er ist Bereichsleiter für Politik und Planung in der Bundesverwaltung der Gewerkschaft ver.di. Abgesehen davon, dass er den freien Redestil beherrscht und in einer halben Stunde keine Minute langweilig wirkte, als er die Themen der Gewerkschaftspolitik skizzierte, waren für mich drei Punkte seines Vortrags von besonderer Bedeutung: die  Leiharbeit, Arbeitszeitverkürzung und Solidarität.

Gewerkschaften können den Grund ihrer Existenz nicht negieren, so schlecht sie auch sein mögen, sie werden eines Tages daran erinnert und müssen sich die Frage ihres Überlebens als eine Institution der Zivilgesellschaft stellen, die den Anspruch hat, die sozialen und ökonomischen Bedingungen der lohnabhängigen Bevölkerung zu verbessern. Tun sie das nicht, existieren sie nur als Selbstzweck, mutieren sie zu Berufsverbänden, aber auch zum Ordnungsfaktor von Kapital- oder Staatsinteressen. In der sozioökonomischen Auseinandersetzung zwischen Lohnarbeit und Kapital sind diese Gefahren ständig vorhanden. Insofern war die Bemerkung von Kollege Wolfgang Uellenberg zu begrüßen, dass die Gewerkschaften mit der Zustimmung zur Leiharbeit einen folgenreichen Fehler machten. Er schlug direkt in der Substanz gewerkschaftlicher Auseinandersetzung und Organisierung zu Buche, indem die Veränderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der effizienteren Profitmaximierung des Kapitals diente und die Organisierung der Lohnarbeit schwächte.

Dies gilt gleichfalls für den Angriff der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder, der mit seiner Agenda 2010 auf die tabula rasa der sozialen Verhältnisse zielte. Divide et impera ist die Maxime des Kapitals und seiner politischen Vertreter. Dass Schröder, Fischer und Clement,  nach ihrer politischen Karriere bei Konzernen anheuerten, imagespricht Bände. Sie haben die sozialen Verhältnisse in der Arbeitswelt nach der Devise des Walmartkapitalismus umgestaltet: “Beliebig verfügbar, abrufbar und ausbeutbar!”

“Die Kapitalisten sind die Herren unserer Zeit!” sagt der Kollege und plädiert für die Wiederaufnahme des Kampfes um Arbeitszeitverkürzung. An dieser Stelle gibt es verhaltenen Applaus. “Der Beifall ist aber schwach”, rufe ich. Der IGM – Sekretär neben mir meint, “… weil die Kollegen schon lange nicht mehr solche Töne hörten. Ja, es wird Zeit, dass diese Melodie wieder in Erinnerung gerufen wird. Wie sagte Karl Marx: “Das Reich der Freiheit beginnt da, wo die Arbeit aufhört!”  Und da gibt es noch eine andere Melodie, wozu im Beitrag Ausführungen gemacht werden: “Die Solidarität!” Leiharbeiter/innen und Stammbelegschaft, Prekäre und Arbeitslose, Teilzeit und Vollzeit: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.

Günter Melle

 

2 Comments

  1. Hallo Günter,
    war von diesem Abend total begeistert.
    Eigentlich müsste hier jedes SPD-Noch-Mitglied,z.B.Herr Fank,sofort austreten.Die Verlogenheit der SPD ist es die Zustände ;die ihre Protagonisten selbst bewusst herbeigeführt haben ,jetzt zu bedauern aber nicht zu verändern.Nach dem SPD-Motto:Mit ´dem haben wir nichts zu tun.
    Aber die Verantwortlichen Macher ,STEINMEIER ;GABRIEL;sind immer noch in der Verantwortung.Und inhaltich steht man immer noch zu Harz 4,verspricht aber jetzt in der Opposition all die Sachen ,die in einer neuerlichen SPD Regierung nie gemacht werden.
    Das fieseste ist nun das die SPD die alte Politik mit neuen Gesichtern verkauft(siehe SPD-Vorstandmitglied Frau Schwesig )jung und sympatisch,wird aber zur MIMIKRI verwendet um die WählerINNEN zu täuschen
    Grüsse Reinhar Bross
    Landtagskandidat DIE LINKE OFFENBURG

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    1. Lieber Reinhard,
      du hast recht, dass der Neujahrsempfang eine gelungene Veranstaltung des ver.di Ortsvereins Offenburg war. Warum, beschreibt aus einer Erwerbslosensicht der Artikel. Jedoch wäre dieser Empfang nie ohne den Kollegen Fank zustande gekommen, der hier viel Energie und Zeit investierte. Ihm raten zu wollen wie er sich parteipolitisch zu orientieren hat, wäre eine Anmaßung, die auch nicht meinem Verständnis von Einheitgewerkschaft entspricht. Die Ebene deines Diskurses ist gelinde gesagt, pubertär. Willst Du ihm damit etwa suggerieren in die Linkspartei einzutreten? Ver.di -und das ist wichtig- entwickelt sich zu einer Gewerkschaft, die in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung an Gewicht gewinnt. Wichtig ist nicht das Bekenntnis und die Mitgliedschaft in der Partitokratie, sondern die Gemeinsamkeit des Widerstands gegen die soziale Bruchlandschaft, welche der Neoliberalismus, auch mithilfe des SPD-Direktoriums geschaffen hat. Als Landtagskandidat der Linken mag dein Eifer und deine Angriffslust legitim sein, erlaube mir aber, dass ich bezweifle, dass eine qualitative Veränderung der sozialen Verhältnisse in Richtung Gerechtigkeit, Demokratie und Teilhabe aller Citoyen an politischen Entscheidungsprozessen parlamentarisch gelöst werden kann. Ich bin überzeugt, dass wir in diese Richtung gehen und da kommt es darauf an, dass viele mitgehen. Das entscheidet aber weder Mitgliedschaft noch Wahlurne, sondern allein der ehrliche Wille zur sozialen Veränderung.
      Günter

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