“Do hen d’Schwobe nit schlecht guckt”, sagt Paule, wobei ihm der volle Schalk in den strahlenden Augen steht.
Wir befinden uns schon auf der Rückfahrt von Stuttgart nach Offenburg. Der Bus ist voll besetzt und die Laune ist so gut, dass sie sich in einem Repertoire von Lied und Gesang Luft macht. Wieder einmal war die Landesarbeitsgemeinschaft Wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg – wie so oft in diesem Jahr- unterwegs in Sachen Armut und Ausgrenzung.
Die meisten der Teilnehmer beteiligten sich auch im Mai an der “Karawane 2010 gegen Armut und Ausgrenzung”. So stand auch dieser Tag in der Landeshauptstadt noch stark unter dem Eindruck dieses nachhaltigen Erlebnisses und der Frage: Und nun? Wie soll es weitergehen?
Am 17. Juli 2010 hat sich das Karawanenprojekt nochmals in Offenburg getroffen, um die Erfahrungen dieser 10-tägigen Reise im Dreiländereck aufzuarbeiten, dessen Ergebnisse sich in den dort verfassten und beschlossenen 10 Forderungen der Karawane 2010 niederschlug. Dieser 21. Oktober auf dem Schlossplatz in Stuttgart forderte geradezu heraus, sich darüber Gedanken zu machen wie die Bewegung der Wohnungslosen weiterzuführen sei. Dazu wurden verschiedene Überlegungen angesprochen. In dem zum Aktionstag verteilten Flugblatt wurde für ein breites Bündnis gegen Armut und Ausgrenzung plädiert.
Landesarmutskonferenz in BW ab 2011
Armutsberichterstattung in BW ab 2011
Landessozialplanung für alle Landesteile!
Ausbau von Demokratie und Mitbestimmung in BW!
Das Straßentheater sorgte am Nachmittag für den notwendig bissig kulturellen Rahmen der Aktion. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes experimentierendes Spektakel. Mittendrin war die Devise, mittendrin in dem mit warmer Sonne durchsetzten Nachmittag und seinen vorbeifließenden Shoppingströmen.
“Ich bin voll integriert eij!” meinte ein zuschauender Passant als er von der Pharmalobby die Glückspille Euphenol angeboten bekam. “Weiter so!” applaudierte eine gut bürgerlich gekleidete ältere Dame, die mit Interesse und Freude am Spiel der Aufführung folgte. Wie wenig es manchmal bedarf, um die karge Kulturlandschaft in diesem Ländle mit Lebendigkeit zu versehen.
Die Kulisse bildete der Schlossplatz, die Requisiten des Spektakels waren: ein Holzsarg “Sozialstaat ade!”, ein Umzugskarton “Sparpaket zurück an die Bundesregierung”; für musikalische Begleitung sorgten Roger mit seiner Gitarre und Wolfgang mit der Quetschkomode. Für das Rahmendrehbuch und für die Regie sorgte ein Profi in Sachen Klein- und Mundartkabarett. Er war mit der Aufführung offensichtlich zufrieden: “Gel, mer sin gued, Martin!” Antwort: Jo,jo,jo…mer sin widder do!“
Das Stuttgarter Publikum war phantastisch. Wer das grießkrämige Publikum in Mittelbaden gewöhnt ist, fühlte sich heute ja fast schon auf der kabarettistischen Karriereleiter. Wolfgang meinte, dass die bewegungserprobten Stuttgarter mittlerweile auf derartige Schauspiele abfahren. Unser Mitmachangebot wurde wahrgenommen. Als die Politikerlobby auftrat, rief ein Zuschauer spontan: “Wir haben die eingestellt und bezahlen die und jetzt halten sie sich für unkündbar!”
Die Logistik hat bei solchen Auftritten besondere Erwähnung verdient. Die eifrigen Helfer im Hintergrund sind bei derartigen Aktionen unentbehrlich. Detlev feierte gestern noch seinen 60. Geburtstag und fuhr heute, trotz Urlaub, den Kleinbus mit Anhänger, der Stelltafeln, Tische, Bänke und Pausenmahlzeit herbeibrachte. Die Küche des St. Ursulaheims in Offenburg sorgte für die Bereitstellung der Versorgung. Als wir um 13 Uhr ankamen, war der Platz ungemütlich und steril, nur wenig später mit dem Eintreffen von Detlev verwandelte er sich nach und nach in die bunte Bühne sozialer Bewegung.
Eine Demonstration gehört selbstverständlich zu solch einem Tag. “Der TREFFPUNKT Rotebühlplatz ist Veranstaltungsort für die Mediothek der Stadtbücherei, für die Musikschule, für den Treffpunkt Senioren und für die Volkshochschule…” wirbt die Homepage des TREFFPUNKT. Heute war der TREFFPUNKT ein Treffpunkt der LAG wohnungsloser Menschen, die sich hier zur Demonstration formierte. Man braucht keine Massen, um das Anliegen nach dem Menschenrecht auf Wohnen in die Öffentlichkeit zu tragen und es gilt auch nicht mit Stuttgart21 zu konkurrieren. Die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts ist Teil einer demokratischen Kultur, die in zwei Jahrzehnten neoliberaler Herrschaft, ebenso wie das Streikrecht immer mehr in Misskredit gebracht und gesetzlich eingeschränkt wurde. Dabei haben die etablierten Parteien kräftig mitgewirkt. Gerade sogenannte “Randgruppen der Gesellschaft” haben es schwerer, Zugang zu einer weitgehendst abgebauten Kultur des Widerstandes zu finden.
Es bedarf besonderer und einfallsreicher Demonstrationsformen, um sich in einer entpolitisierten Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Ob dieser Tag uns auf die richtige Spur brachte? Wir meinen, ja! Und wir beenden unsere Stippvisite in der Landeshauptstadt mit dem Song von Hannes Wader:
Heute hier, morgen dort,
bin kaum da, muss ich fort,
hab‘ mich niemals deswegen beklagt.
Hab es selbst so gewählt,
nie die Jahre gezählt,
nie nach gestern und morgen gefragt.
Manchmal träume ich schwer
und dann denk ich,
es wär Zeit zu bleiben und nun
was ganz andres zu tun.
So vergeht Jahr um Jahr
und es ist mir längst klar,
dass nichts bleibt, dass nichts bleibt,
wie es war.
Günter Melle
Die Forderung nach einer Landesarmutskonferenz BW ist blödsinnig, den es giebt sie schon. Nur leider wurden im „Jahr 2010 gegen Armut und Ausgrenzung“ die Wohnungslosen ausgegrenzt!!! Die Forderung muß somit direkt an die Landes Armutskonferenz gerichtet werden. Ich habe mich da auch schon mit einer Mail gemeldet, habe aber keine Antwort bezüglich der Ausgrenzung von Wohnungslosen bekommen. Mir schien es als würder man die Wohnungslosenproblematik verdrängen.
LikeLike