Der Kreistag lädt ein zur geschlossenen Sitzung zu Hartz IV
14.7.2010 – Was war das nun heute im Sitzungssaal des Kreistags der Ortenau? Offiziell eine Diskussionsrunde der Bundestagsabgeordneten des Kreises zu Hartz IV; also der Reihe nach CDU, Grüne, FDP, SPD. Wer Namen braucht, erkundige sich in den Lokalblättern; sie sind nicht gerade Hit im Zusammenhang mit diesem Thema. Es begrüßte der Landrat und sorgte dafür, dass zumindest rhetorisch die Kulisse stimmt. Eingeladen wurden die Kreisräte der Fraktionen, Wohlfahrtsverbände und Arbeitsfördergesellschaften, Gewerkschaften und Kirchen. Von den Gewerkschaften war kein offizieller Vertreter anwesend. Ich selbst hatte über die Linkspartei Zugang zur geschlossenen Veranstaltung und vertrat nicht die ganze Bandbreite gewerkschaftlichen Klientels, also nur ganz eingeengt das Ambiente der Personengruppe Erwerbsloser in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Von der Veranstaltung habe ich auch nicht von der Gewerkschaft erfahren, sondern von der Linkspartei, was einem zu dem Satz verleiten könnte: Man merkt die Absicht und ist verstimmt!
Es soll hier gar nicht gleich, zu Beginn des Artikels, der Eindruck eines neutralen Berichts vermittelt werden, wichtiger ist, das subjektiv Empfundene zu beschreiben, das bei Menschen mit noch einigermaßen sozialem Gewissen in diesem Land, für manchen Leser und manche Leserin bedeutsamer ist, als die ohnehin wohlbekannte Sprache unserer Weiterso-Bundestagsabgeordneten. Beim Anblick der Christlichen ist mir zumute, den Rest des Lebens in einer Franziskanerklause zu verbringen, bei Bündnis 90/Grüne wäre ich jetzt gerne außerhalb des Stammland unseres Imperiums oder wie Orwell sagt: in der Außenwelt; bei den Liberalen habe ich ständig das Bedürfnis eines vertieften Studiums der politischen Ökonomie und bei den Sozialdemokraten? Nun ja Erfurter Parteitag, Lasalle, Hilferding, Kautsky… und ihre Kinder haben die völlige Abhängigkeit der arbeitenden Bevölkerung vom kapitalistischen System von Ausbeutung und Krieg betrieben – kein Grund für irgendeine emphatische Gefühlsregung.
Thema der ausgewählten Runde demokratischer Gesprächskultur war „Hartz IV Weniger, Mehr oder anders!“ Vorweg: Ehrlich, darüber wollte sich niemand so recht äußern. Die Technokraten sind noch am durchrechnen, ließ die FDP durchschimmern, die anderen Abgeordneten sahen die Geldnot des Staates. Prognose nach der Runde: Faites votre jeu! Als ich den gut klimatisierten Sitzungssaal betrat, lief ich dem stellvertretenden Amtsleiter in die Quere. Wie ich es bei ihm gewohnt bin, machte er sich Sorgen. Genauer gesagt, fragte er, ob ich etwa ein Transparent zum Entrollen dabei hätte. Da braucht man einen Amtsleiter, der einem auf das Handwerkszeug des Aktivismus hinweist. Ich hab’s vergessen und beruhige ihn, dass jetzt nicht die Zeit für Transparente sei, worauf sich sein Gemüt freundlich gesprächig gibt.
Der Moderator, führt kurz ins Thema ein, vier Punkte wolle er abfragen. Sie wurden mit eigener Überschrift und jeweiliger Einführung ins Thema versehen. Zuvor richtet der Landrat seine Ansprache an die Damen und Herren Oberbürgermeister und Bürgermeister und an die Vertreter der sog. Zivilgesellschaft. Er macht sich auch Sorgen, der Herr Landrat. Sorgen darüber, dass es Leute gibt, die von ihrem Vollzeitjob nicht leben können und mit den geplanten Reformen zum kommenden Jahr, die Rentenversicherung für Hartz IV Empfänger gekappt werden soll und die Zuschüsse des Bundes an den Kreis ebenfalls magerer daher kommen sollen als bisher. Eigentliche Sorgen macht er sich nur um das eigene Budget, denn weniger sprudelnde Fleischtöpfe bedeuten weitere finanzielle Belastungen der kommunalen Haushalte. Dabei wird nochmals die eigene Ware angepriesen, wie wirksam und rührig doch der Optionskreis Hartz IV umsetzt und schlägt die Trommel für größere Spielräume vor Ort.
Hartz IV als zweite Lohntüte? Einleitend steht die Einführung durch den schon im Bericht eingeführten stellvertretenden Amtsleiter. Gemeint ist eigentlich die vielen Mini-, Midijobs, Sklavenarbeit und Billiglohn, die zum Überleben aufstockendes Hartz IV notwendig machen. Wie der Landrat schon ausführte, ein Anwachsen der Klientel, die mit ihren Ausbildungsberufen den notwendigen Lebensbedarf nicht mehr decken können. Der Amtmann wartet mit Zahlen auf. 10% von 12 000 Erwerbsfähigen in Hartz IV verdienen bis zu 100 € monatlich, 50 % bis zu 400 €, weitere 25 % bis 800 und darüber liegen 15 % von Hartz IV Empfängern. Es ist erstaunlich wie trocken die Zahlen daherkommen und keiner auf den Gedanken kommt, sie zu hinterfragen. Klar doch, vorn am Podium diskutierten Vertreter/Innen der großen Hartz IV-Koalition, die sicherlich schlecht zugeben können, dass mit Einführung der Schröder’schen Agenda 2010, der Arbeitsmarkt ganz ordentlich nach der Formel mit 1 € Jobs in Richtung Billigarbeit + Sozialhilfe verändert wurde. Jetzt machen sie sich schon wieder mal Gedanken wie die beschworenen Geister los zu werden sind. Dabei fällt ihnen nichts anderes ein, als die alten Formeln wie ein Ritual zu beschwören: ein mehr an Aktivierung, ein mehr an Sanktionen. Das nimmt natürlich vor Ort groteske Züge an. Leute, die arbeiten wollen, schickt die Behörde in die Sozialhilfe. Leute, die keine Arbeit finden können, werden in der x-ten Trainingsmaßnahme „zu Tode“ aktiviert. Der Amtmann knöpft sich die Einkommen von 100 bis 400 € vor. Klar doch, denn hier hat die Behörde am meisten zu blechen. Also Reform der Einkommensbereinigung, sprich der Freibeträge, sprich des weiteren Ausbaus der 1 € Jobs unter gleichzeitiger Senkung der Regelleistung um 30 % für die sog. Nichtarbeitswilligen. Was die Hartz-Koalition meint? Grundsätzlich richtig meint die CDU, jetzt wird aber richtig angepackt, Ärmel aufgekrempelt, Generalrevision. Die ersten 400 € werden angerechnet, dann seien die Minijobs weg. Die Zuverdienstregelung wird umgedreht. Grundsätzlich richtig meint die SPD aber fehlerbehaftet, da sind Pannen passiert, bei den Menschen die in Sozialsysteme eingezahlt haben, und sich darauf verlassen haben. Meines Wissens hat sich sich die SPD beim Arbeitervolk nie für die Pannen entschuldigt und bleibt genau dort an ihre Krankheit gefesselt, wo sie Gelegenheit hätte, die Pannen aus dem Weg zu räumen. Genauer betrachtet liegt sie ja aber schon im Delirium und streichelt liebebedürftig die Hände des Kapitals. Die Grünen äußern sich pragmatisch, wir mussten damals handeln, es gab keine Alternative zu Hartz IV, aber heute gilt es neu zu bewerten. Ansätze zu einer Verbesserung der Regelsätze, das bringt evtl. Stimmen im intellektuellen Bestand des Prekariats. Eine qualitativ notwendige Verbesserung sieht ihr Bundestagsabgeordneter in der damaligen, 2005 vollzogenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die FDP bleibt beim alten Spruch: Arbeit muss sich wieder lohnen – das schon allein aus Gründen der Solidarität mit den Arbeitenden.
Fördern und Fordern. Über diese Formel ist das Philosophieren in jeder Richtung angesagt. Die Gutmenschen an der sozialen Front widmen ihr das Gehirnschmalz ebenso wie die Hierarchien an Bürokraten im Staatsapparat. Ganze Juristenheere sind mit ihr beschäftigt und die Politiker von klein bis groß sorgen dafür, dass mit ihr die Maschinerie gut geschmiert bleibt. Man lässt also für die Einführung harmlose Sozialpädagogen ran. Die Aufgabe hieß: Die Guten und die Bösen in Hartz IV am Fallbeispiel zweier Jugendlicher. Man lässt Leute ran, die am Tropf der kommunalen Gelder hängen: Diakonisches Werk und Jugendberufshilfe Ortenau e.V. Was von ihnen erwartet wurde, haben sie sicherlich mit Bravour gelöst.
Die Vertreterin des diakonischen Werks zeigte, dass sie ihren Johann Hinrich Wichern gut beherrscht. Ganz nach seinem Grundsatz „Wir schmieden unsere Ketten von inwendig und verschmähen die, so man von außen anlegt“, wusste sie nicht nur ein positives Fallbeispiel vorzutragen, sondern gab auch noch zum besten, dass sie sich besondere Gedanken sozialpädagogischer Neigung zum „Prinzip“ Fördern und Fordern gemacht hat. Das Diakonische Werk kooperiert besonders eng mit dem Optionskreis und wird nach eigenen Aussagen mit einem Förderprojekt in Lahr für Jugendliche vom Kreis finanziert. So hat die Vertreterin, wie sie betont, für sich und ihre Zöglinge das Fördern durchbuchstabiert:
F = freiwillig; O = ordentliche Arbeit; E = Eingliederungsvereinbarung; R = Regelmäßigkeit durch kontinuierliche Teilnahme; D = Durchhalten; E = Erlernen von Verhaltensweisen; R = Regeln kennen und einhalten; N = nicht aufgeben.
Das Prinzip als eine bessere Spielwiese also für verhinderte Sozialpädagogen. Der nächste Vertreter von der Jugendberufshilfe blies in das gleiche Horn, wenngleich am Negativbeispiel: Sein Fallbeispiel „gehört nun mal zu den Fällen, die uns ratlos zurücklassen“. Der Diskurs liegt ganz in der Quadratur der Vorgaben einer Hartz IV – Verwaltung, die, da sie nun mal geschaffen wurde, gefüttert werden muss. Kritische Worte sind da nicht zu erwarten, es sei denn, dass man sich mit Geldsorgen (der Kampf um die Fleischtöpfe) flehentlich an die Abgeordneten wendet.
Vor allem für MdB Weiß (Arbeitnehmerflügel der CDU) ist das Prinzip Anlass, nochmals die Posaunen des Ordnungsrufs zu blasen. Interessant, dass eben in seinem Wahlkreis am meisten sanktioniert wird. Aber, so tönt es, sei die dortige ARGE auch sehr erfolgreich in der Aktivierung. Überhaupt ist der Hardliner mit leicht cholerischer Tonlage sehr darauf bedacht, das System Hartz IV in seinen ganzen repressiven Möglichkeiten gegen Arbeitslose und Billigjobber wirksamer auszugestalten. Der neue Wind der Koalition diesbezüglich macht auch vor den Freibeträgen bei Zuverdienst nicht Halt. In Zukunft will er jedes Erwerbseinkommen bis 400 € in die Staatskasse einspeisen. Ich habe selten einen Abgeordneten erlebt, an dem so selbstsicher wie ein Klotz jegliches Bemühen um Realität abprallt. Seine Denkstrukturen sind mit polizeilicher Hellhörigkeit auf diejenigen eingestellt, die sich im System einrichten: die alleinerziehende Mutter etwa mit ihrem 100 bis 400 €-Putzjob. Und da das System zumindest in seinem Kreis funktioniert, bleibt seine Devise, die Verfolgungsbetreuung muss vor Ort mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten oder anders ausgedrückt: das Optionsmodell ist das Steckenpferd, das er reitet.
Insgesamt eine traurige Veranstaltung, da die Podiumsdiskussion keine Diskussion, sondern lediglich Statements und politische Anbiederung an die lokalen Verwaltungseliten und ihrer Handlanger inszenierte. Dass die große Koalition der Hartz IV – Parteien etwas anderes bieten würde, war auch nicht anzunehmen. Erschreckend aber waren die Schrägtöne, die unverhohlene Anleihe der ideologischen Tiefschläge gegen die ohnehin Wehrlosen: In der Behörde spricht man von Sozialadel (so MdB Weiß) oder das Wir Deutsche Theorem, das ja wohl auch von SPD und Grünen ohne Widerspruch hingenommen wurde.
(G.M.)
Interessant, daß man auch mal Einblick in eine geschlossene Sitzung erhält!
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