Abschied auf Raten von der gestaltenden Tarifpolitik oder aktive Mitbestimmen zur Rückgewinnung des Qualitätsjournalismus und seiner tarifvertraglichen Grundlagen
Die Tarifgremien der Deutschen Journalisten-Union (dju) haben sich vor Monaten Gedanken über die kommende tarifpolitische Zeit gemacht. Die bundesweite Branchensituation angesehen, die etwas bessere Lage im Süden der Republik und da und dort an einigen Verlagsstandorten eingeschätzt und kamen zu dem Ergebnis, mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger in Spitzengesprächen zu sondieren, ob und wie eine tarifpolitische Lösung zur Beschäftigungssicherung aussehen könnte.
Kurz gesagt: ist der Verlegerverband bereit, so wie andere Arbeitgeberverbände in anderen Branchen, einen Beschäftigungs-Pakt zu schließen? Zielgedanke der dju war, für den Erhalt der Beschäftigtenzahl und -struktur für einen überschaubaren Zeitraum mit einem Gehaltsabschluss, der dann nicht ganz so üppig ausfiele, zu verbinden.
Das Ergebnis der Sondierung war: die Verleger denken gar nicht daran, auch nur für zwei Jahre weiterem Personalabbau zu entsagen. Dies kann für die kommende Tarifrunde als Kampfansage betrachtet werden, es geht um eine klassische Auseinandersetzung, um den Erhalt und Verbesserung der Arbeits- und Gehaltsbedingungen in Verbindung mit dem Freien-Tarifvertrag für Tageszeitungen.
Das Spitzengespräch mit dem BDZV fand zwei Mal statt und zeigte ein gutes Ergebnis für die freien hauptberuflichen Journalisten an Tageszeitungen:
Die Verhandlungsführer stehen zu der am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen „angemessenen Vergütung“, bei Zeitungsverlagen, die sich vor der materiellen Anwendung und Umsetzung dieser Mindestvergütung für freie Journalisten und Journalistinnen drücken, dürfen mit Druck des BDZV rechnen.
Das haben wir gerne gehört und werden es in jedes sparsame Verleger-Ohr mit der Vuvuzela in die Ohrmuschel tröten. Denn bisher waren viele taub für diese gesetzeshalber vorgeschriebene Vergütung.
Die Aktion FairPay beginnt im Lande peu a peu. Aus der Stuttgarter Zeitung ist zu hören, dass die hauptberuflichen Freien die angemessene Vergütung rückwirkend ab 1. Februar erhalten. Allerdings wurden die Redaktions-Etats nicht erhöht. Mehr Zeilengeld bei dann weniger Aufträgen.
Ein nicht so gutes Angebot gibt es für die festangestellten Redakteure und Redakteurinnen, das deshalb auch keine Zustimmung bei der dju gefunden hat!
Genannt wird es ein „Moratorium“. In der Realität ist es ein Stillhalteabkommen seitens der Beschäftigten für den weiteren Abbau tarifvertraglicher Leistungen bei vordergründig vorgetäuschter Beschäftigungssicherung. Wer darauf herein fällt, weil er denkt, na ja, die Tarifverträge sind für drei weitere Jahre in wesentlichen, aber nicht in allen Teilen, gerettet, und wir haben einen Flächen-Tarif in der Bundesrepublik, den wir im Zweifel in einem Streik eventuell nicht mehr bekommen, der übersieht, dass das Annehmen dieses „Moratoriums! ein Abschied auf Raten bei der gestaltenden Tarifpolitik ist. Und das können wir uns heute und in der Zukunft nicht leisten!
Wie sieht das Sterben auf Raten aus?
Die Volontärs-Vergütungen sind zu hoch. Sie sollen gesenkt werden und dafür sollen mehr Volontäre vielleicht beschäftigt werden.
Die Eingangs-Gehälter der Redakteure sollen abgesenkt werden.
Wer ein gutes Gedächtnis hat, kennt das noch aus der Wunschkiste der Zeitungsverleger zum Gehaltstarifvertrag II. Sozusagen ein sekundärer Arbeitsmarkt, eine Leichtlohngruppe zur Gesundung der Ertragslage und als Köder: Damit würden abtrünnige Verlage zurück in den Tarif geführt. Eine Garantie gibt es aber auch dafür nicht.
Wir kennen das aus dem ersten Tarifwerk bei der Rheinpfalz und jetzt bei der Main-Post, wo die Beschäftigten tariflich unter den Bundestarifen arbeiten, um so die Milliarden der Schaub-Gruppe zu gewährleisten, die damit weitere Zeitungen kaufen kann. Das ist auch bei der Süddeutschen und bei der Stuttgarter Zeitung zu sehen, also einem Konzern, wo diese Verleger-Dynastie ihr Wesen gegen den Grundgesetz-Artikel 5.5 praktiziert.
Zurück zum Moratorium:
Das ist noch nicht alles: Das Einkommen eines Jahres soll reduziert werden dürfen, ohne weitere Verhandlungen mit dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft und auch ohne den Nachweis (Testat eines Wirtschaftsprüfers) einer wirtschaftlichen Not:
Wenn der Verleger morgens aufwacht und fühlt, dass seine Zeitung in Not ist, dann erklärt er den beschäftigten Redakteuren: Das Jahreseinkommen wird um fünf Prozent reduziert. Das kann in Gestalt von Einsparungen von Urlaubsgeld oder Jahresleistung passieren. Für die Dauer dieser Einkommenskürzung erhalten die Redakteure eine Beschäftigungssicherung. Diese kann aber jederzeit vom Verleger wieder beendet werden, in dem dieser den Redakteuren, das gekürzte Einkommen zurückerstattet und dann kündigen kann.
Wir können uns Herrn Döpfner (Springer) vorstellen, der angesichts seines schönen ersten Halbjahresergebnisses gleich noch die Einkommen der Welt-Redakteure um fünf Prozent kürzt und wenn er glaubt, dass er noch ein paar Beschäftigte zu den bereits etwa tausend „freisetzen“ kann, die Einkommenskürzung wieder zurückzahlt und sich von deren Arbeitskraft befreit.
Der gegenwärtige Urlaub aller Redakteure soll für die Laufzeit des Moratoriums auf dreißig Tage gedeckelt werden. Das heißt, die Alt-Redakteure und Redakteurinnen mit mehr als 30 Tage Anspruch sollen verzichten. Das ergibt bei zehntausend Redakteuren eine schöne Zahl von Arbeitstagen. Das ist unbezahlte Mehrarbeit. Das ist bares Geld für neue Investitionen oder die Gesellschafter. Wer sich daran erinnert: 30-Tage Urlaub waren das Tarifziel der Tageszeitungsverleger 2004, das wir ihnen durch unseren Streik verweigerten. Jetzt soll es temporär kassiert werden und ein Schelm, der glaubt, dass diese reduzierte Tarifpraxis wieder rückgängig gemacht würde. (Wer streikt sie zurück?)
Für all diese Goodies gibt es endlich, zwei kleine Einmalzahlungen und eine kleine, im Eins-Komma-Bereich liegende, lineare Erhöhung der Gehälter in drei Jahren und eine Fortschreibung der Nicht-Kündigung des Manteltarifvertrags und des Altersversorgungs-Tarifvertrags für Redakteure an Tageszeitungen.
In Baden-Württemberg halten wird das für nicht annehmbar und wir suchen Bündnispartner für diese Ansicht, die natürlich in ihrer Schlussfolgerung STREIK zum Ergebnis hat. Und Warnstreik und Streik heißt, Kolleginnen und Kollegen in mühsamer Arbeit am Arbeitsplatz davon zu überzeugen, dass dies notwendig ist, dass Ökonomie etwas mit der Qualität ihres Arbeitsplatzes zu tun hat.
Wir haben die ersten Kontakte geknüpft: Zu unseren Kolleginnen und Kollegen nach Bayern, auch zum DJV in Baden-Württemberg.
Der Gehaltstarifvertrag ist zum Ende Juli 2010 kündbar. Er ist gekündigt.
Der Manteltarifvertrag ist mit sechs-Monats-Frist zum Jahresende 2010 kündbar, wir werden es nicht tun, die Verleger haben gekündigt.
Der Altersversorgungs-Tarifvertrag ist mit Jahresfrist zu Ende 2011 kündbar, wir werden es nicht tun, die Verleger denken darüber nach.
Wenn wir die oben beschriebenen Opfer bringen, haben wir einen Burgfrieden bis 2014. Wir sind gegen das Sterben auf Raten unserer Tarife! Wir werben dafür, wieder unsere Tarifpolitik selbst zu gestalten.
Gute Leute, Gute Arbeit, Gutes Geld!
Und dass wir uns morgens mit gutem Gewissen im Spiegel ansehen können.
Wer diesen langen Brief zur Tarifpolitik gelesen hat, sollte die Mobilisierung in den kommenden Monaten ernst nehmen, mitmachen und seine Bereitschaft aufbauen, im Herbst die wärmere Zeit dieser beginnenden Tarifrunde 2010/2011mit einzuläuten.
Wir machen uns Mut, wir trainieren, wir motivieren uns für „Qualität im Journalismus und in unseren Tarifverträgen.“