Die Regierung Berlusconi streicht die Wiedergutmachungsansprüche italienischer Opfer des Nazi-Regimes
Vorbemerkung: In Zeiten des neudeutschen Fußballnationalismus ist ratsam, zu wissen, was man da im Gepäck der Geschichte mit sich herumschleppt. Dass sich Kanzlerin Merkel und Premier Berlusconi gut verstehen, ist spätestens seit dem Versteckspiel vor laufenden Kameras in Triest 2008 bekannt. Dass die Kanzlerin auch den Machismo des italienischen Premier verzeiht, war während des G8 Gipfels in Strasbourg-Kehl zu erfahren, wo sie erst mal eine Zeit lang seinen breiten Rücken vom roten Teppich aus bewundern durfte, bevor das Protokoll zur Anwendung kam. Die kleinen Neckereien machen sich jedoch für Deutschland bezahlt, wenn es um die historischen Beziehungen beider Länder geht. Im folgenden ein Bericht der Dazibao online zu einem Gesetz, das quasi dafür entschädigt, dass Silvio ab und an mit seiner Angela üble Späße treibt und nicht immer nur ernste Politik im Sinn hat.
Per Dekret Gesetz
Alessandro Bongarzone
Als Akt, weiß Gott, welcher Dringlichkeit, dekretierte die Regierung Berlusconi das Gesetz „Rettet die Nazis“. Mit einem Federstrich hielt sie die Merkel bei guter Laune (schließlich weiß man nie bei der eigenen prekären Kassenlage) und beschloss, die Entschädigungsansprüche der Opfer der Nazis und ihrer Familien auszulöschen. Die Ansprüche resultieren aus den Repressalien deutscher Besatzung und der Deportation italienischer Kriegsgefangener in die Arbeitslager des tausendjährigen Reiches.
Das dekretierte Gesetz 63 wurde am 28. April 2010 von Silvio Berlusconi, seinem Justizminister Angelino Alfano und dem Außenminister Franco Frattini unterzeichnet. Die italienische Regierung negiert so das Recht der Opfer auf Entschädigung durch die Bundesrepublik Deutschland. Bereits mehrmals wurde durch Zivil- und Militärgerichte in Italien bestätigt, dass sie zivilrechtlich für die von der Wehrmacht und der SS verübten Verbrechen verantwortlich ist.
Das Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, welche im Massaker von Civitella am 29. Juni 1944 Angehörige verloren haben. Dort war es die Division Hermann Göring, die 244 Personen hinrichtete. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer von Distomo (Griechenland), wo die SS 218 Personen, darunter 34 Kinder, hinrichtete. Dafür verurteilte der Oberste Gerichtshof Italiens am 21. Oktober 2008 die BR Deutschland zu einer Entschädigungszahlung von 50 Millionen Euro.
Ebenso schlimm verfährt die italienische Regierung mit den 200 Deportierten in deutsche Arbeitslager, für die in nahezu 50 Prozessen (einige sind noch im Gange) Entschädigungen von insgesamt 20 Millionen Euro beantragt wurden.
Nun ist alles zu Ende, alles blockiert. Das gilt auch für die vom Berufungsgericht in Florenz am 25. November 2008 bestätigten und erwirkten Schuldtitel. Die Richter bezogen sich auf eine Urteil des Konstitutionsgerichtshofes von 1992. Dort wurde festgestellt, dass ein für Kriegsverbrechen verantwortlicher Staat, in Italien mit dem dort vorhandenen Besitz zur Entschädigung herangezogen werden kann, selbst wenn die Verbrechen im Ausland begangen wurden. Es wies damals die Einsprüche der italienischen und auch deutschen Regierung zurück und bestätigte die Grundbuchschuld, die für die Villa Vigoni eingetragen wurde. Diese Villa am Lago die Como ist Sitz des deutsch-italienischen Studienzentrums und Eigentum der Bundesrepublik Deutschland.
Also ist alles erst mal mit dem Dekret „Rettet die Nazis“ gestoppt.
Begründung: „um den Spannungen in den internationalen Beziehungen ein Ende zu setzen… wird die Wirksamkeit erwirkter Titel für den Fall ausgesetzt, dass der ausländische Staat diesbezüglich ein Verfahren vor dem internationalen Gerichtshof anhängig hat.“ Vermutlich ist dies der einzige Fall, da gerade Deutschland deshalb ein Verfahren in Den Haag eingeleitet hat, um den Einzug der vorgesehenen Güter in Italien, zur Entschädigung für die Verbrechen im Juni 1944, zu verhindern.
Doch damit nicht genug. Wie es bei dieser Regierung Gewohnheit ist, setzte sie noch ein zweites und drittes Komma, um darüber noch hinauszugehen. Sie bekräftigten in einem Unsatz zum einen „die Suspendierung der Verwaltungsmaßnahmen und/oder Sicherstellungen, welche aus erwirkten Schuldtiteln (wie im vorigen Absatz beschrieben) resultieren. Zum anderen verfügte sie auch die Suspendierung der laufenden Verfahren und erwirkten Schuldtitel ab Inkrafttreten des Dekrets.
Sache ist! Rien ne va plus, les jeux sont faits! Alles steht still bis zum Urteilsspruch des Gerichtshofs in Den Haag. Deutschland hat sich dort hingewandt, da es keine Berufungsmöglichkeit gegen das Urteil des Kassationsgericht (entspricht dem Bundesgerichtshof; d.Ü.) gibt. Es soll erreicht werden, dass die Entschädigungszahlungen als illegitim erklärt werden. Nach Auffassung der Vertreter Deutschlands sei das souveräne Handeln der Staaten über die staatliche Immunität geschützt und eine Abweichung von diesem Prinzip brächte „globale Unsicherheit bezüglich der legalen Position“ von Staaten.
Dies ist ein Konzept, mit dem – wenn auch in schizophrener Art und Weise – die italienische Regierung leben kann. Während sie zurecht für die Kriegsverbrechen zahlt und zahlt, die das faschistische Italien in Lybien beging, hat sie im Falle Deutschland eine andere Haltung:
„Die Vollstreckung von Verwaltungsmaßnahmen, bei denen ein Urteil über die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns vor einer übernationalen Institution aussteht, haben zum einen tiefgreifende Auswirkungen auf der internationalen Ebene der Beziehungen, zum anderen erwecken sie bei den bedachten Akteuren legitime Erwartungen, die im Falle eines günstigen Urteils einer Instanz des ausländischen Staates oder einer internationalen Institution erlöschen.“
(auszugsweise Übersetzung, Roberto Greco)
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