„Querdenker“ plädieren für eine neue Debatte über Arbeitszeitverkürzung
Die Frage der Arbeitszeitverkürzung ist – wie viele andere Aspekte im Zusammenhang mit Tarifpolitik – eine Frage der Umverteilung. Um tarifpolitisch wieder aus der Defensive zu kommen, müssen wir bei den Bedürfnissen der Kolleginnen und Kollegen ansetzen. Dem ungehemmten Verbreiten neoliberalen Gedankenguts, das einhergeht mit einem Sozialraub, der immer unverschämter in die Taschen der Mehrheit der Bevölkerung greift, müssen wir etwas entgegensetzen. Wir müssen die Abwärtsspirale bei den Löhnen stoppen und die gesellschaftliche Arbeit umverteilen …Plädoyer für eine neue Debatte über der Arbeitszeitverkürzung
„Statt nur noch Abwehrkämpfe zu führen müssen die Gewerkschaften wieder in die Offensive gehen.“ Welcher gewerkschaftlich engagierte Mensch würde angesichts der tristen Realität diesen Anspruch nicht sofort unterschreiben.
„Arbeitszeitverkürzung, das war … wann? … Lange her, in einer anderen Zeit? … Als aktuelle Forderung?“ „Ja“, sagen einige „Querdenker“ aus dem ehemaligen IG Medien-Bezirk Südost-Württemberg, die sich in unregelmäßigen Abständen in Doren, einem kleinen Örtchen im Bregenzer Wald treffen, um über den gewerkschaftlichen Tellerrand hinaus zu blicken.
Bei einer völlig offenen Umfrage, „was wünschst du dir als Tarifforderung“, kam ein interessantes Ergebnis zustande. Unabhängig von einander wollte ein großer Teil der Gefragten „Arbeitszeitverkürzung“. Aus den unterschiedlichen Fachgruppen wurden unterschiedliche Akzente gesetzt. So kam beispielsweise aus dem Bereich der Papierverarbeitung gehäuft die Forderung nach Besserstellung der unteren Lohngruppen und Änderungen der Lohnstruktur. Durchgängig durch alle Bereiche zog sich der Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung.
Wie diese aussehen sollte, darüber muss in den Gewerkschaften wieder intensiv diskutiert werden. Die „Querdenker“ in Doren diskutierten verschiedene Varianten: die Wochen- oder Lebensarbeitszeit verkürzen, Arbeitszeitguthaben, persönliche Auszeiten, mehr Urlaub, denkbar ist vieles. Wenn Beschäftigte individuell kürzere Arbeitszeiten wünschen, müssen Arbeitszeiten so organisiert werden, dass sie zu den Bedürfnissen der Menschen passen.
Auch die Begründungen für die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung wiesen ein breites Spektrum auf. Der Wunsch nach Reduzierung von Stress, Arbeitszeitverkürzung als Reaktion auf die Verdichtung von Arbeit, oder um mehr Zeit für die Familie, Freizeit oder Weiterbildung haben, Gründe, die für eine neue Arbeitszeitdebatte sprechen sind vielfältig. Nicht zu vergessen: Wir haben Millionen Erwerbslose, für sie ist die Arbeitszeit radikal verkürzt – auf Null.
1984 wurde in einem wochenlangen Streik der Einstieg in die 35-Stunden-Woche erkämpft. Vor etwa 20 Jahren war in vielen Branchen unseres Fachbereichs die 35-Stunden-Woche – tariflich – erreicht. Heute wird in zahlreichen Betrieben längst schon wieder länger gearbeitet.
Laut Spiegel-online vom Juli 2009 ist Deutschland bei den Arbeitszeiten in der Spitzengruppe innerhalb der EU. ,,Die Deutschen arbeiten deutlich länger als die meisten anderen EU-Bürger. Einer neuen Studie zufolge beträgt die durchschnittliche reale Arbeitszeit hierzulande 41,2 Stunden pro Woche“. Die Zahlen geben noch den Stand vor der Krise wieder. Durch die Auswirkungen der Krise sank die Arbeitszeit statistisch vor allem aufgrund von Kurzarbeit.
Die Frage der Arbeitszeitverkürzung ist – wie viele andere Aspekte im Zusammenhang mit Tarifpolitik – eine Frage der Umverteilung. Um tarifpolitisch wieder aus der Defensive zu kommen, müssen wir bei den Bedürfnissen der Kolleginnen und Kollegen ansetzen. Dem ungehemmten Verbreiten neoliberalen Gedankenguts, das einhergeht mit einem Sozialraub, der immer unverschämter in die Taschen der Mehrheit der Bevölkerung greift, müssen wir etwas entgegensetzen. Wir müssen die Abwärtsspirale bei den Löhnen stoppen und wir die gesellschaftliche Arbeit umverteilen.
Wir haben Millionen von Erwerbslosen und gleichzeitig Millionen von unbesetzten Arbeitsplätzen, die gesellschaftlich notwendig wären: im Gesundheitswesen, der Kinderbetreuung, der Bildung, im öffentlichen Dienst.
Wenn wir als Gewerkschafter für eine Verkürzung der Arbeitszeit kämpfen, tun wir etwas für unser Leben, für unsere Gesundheit, für die Zukunft unsere Kinder und der Kampfkraft der Gewerkschaft.