ein Artikel aus der Jungen Welt vom 07. Juli 2010:
Kapital & Arbeit
Daniel Behruzi
Ver.di-Funktionäre üben heftige Kritik an DGB/BDA-Initiative zur gesetzlichen Wiederherstellung der »Tarifeinheit« per Gesetz. Einschränkung des Streikrechts befürchtet
Gegen die gemeinsam vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geforderte Wiederherstellung der »Tarifeinheit« per Gesetz regt sich innergewerkschaftlicher Widerstand. Die ver.di-Bundesfachgruppe Verlage, Druck und Papier hat ihre Organisation und den DGB aufgefordert, »zur Verteidigung von Streikrecht und Tarifautonomie« zurückzukehren. Auch Helmut Platow, langjähriger Leiter der ver.di-Rechtsabteilung, erklärt in einer jW vorliegenden Stellungnahme, die von Gewerkschaftsbund und Unternehmervertreter geforderte Regelung stelle »nichts anderes dar als eine gesetzliche Neudefinition der Friedenspflicht und damit einen Eingriff in das Streikrecht Dritter«.
»Das Streikrecht ist das wichtigste Grundrecht von Arbeitnehmern«, stellt die ver.di-Fachgruppe Verlage, Druck und Papier in einer, am vergangenen Wochenende einstimmig beschlossenen Resolution fest. »Streikrecht und Tarifautonomie müssen gegen alle Angriffe von Arbeitgebern und Politik unbedingt und mit allen Mitteln verteidigt werden«, so die für Gewerkschafter eigentlich selbstverständliche Positionierung. Daß nun ausgerechnet der DGB in einer gemeinsamen Initiative mit dem BDA eine neue Form der »Friedenspflicht« einführen will, sei »ein fataler Vorstoß in die falsche Richtung«.
In einem gemeinsamen Papier hatten DGB und BDA vom Gesetzgeber verlangt, den vom Bundesarbeitsgericht (BAG) beseitigten Grundsatz der »Tarifeinheit« wiederherzustellen. Konkret soll nur noch der Tarifvertrag gelten, der von der Gewerkschaft abgeschlossen wurde, die im jeweiligen Betrieb die meisten Mitglieder hat. Für Beschäftigte, die nicht in dieser Gewerkschaft organisiert sind, würde die Friedenspflicht gelten. Gerichtet ist dieser Vorstoß gegen Konkurrenzorganisationen wie den Marburger Bund, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder die Flugbegleiterorganisation UFO, die den DGB in manchen Bereichen einer »Überbietungskonkurrenz« aussetzen. Doch auch ver.di selbst könnte in einigen Branchen zum Leidtragenden einer gesetzlich fixierten »Tarifeinheit« werden, wie in der Resolution festgestellt wird: »Für den Fachbereich Medien, Kunst und Industrie könnte die Initiative schwerwiegende Folgen haben, insbesondere bei den Journalisten in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, wo die Konkurrenzorganisation DJV in vielen Betrieben die Mehrheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe stellt.«
Doch auch aus grundsätzlichen Motiven sprechen sich die Gewerkschafter gegen die DGB/BDA-Initiative aus: »Wer in Zeiten der kapitalistischen Krise eine Regierung auffordert, das in 60 Jahren seines unveränderten Bestehens bewährte Tarifvertragsgesetz zu ändern – womöglich noch verbunden mit einer Grundgesetzänderung zur Einschränkung des Grundrechts auf Streiks – liefert die Tarifautonomie auch künftig allen politischen Begehrlichkeiten der Arbeitgeber und ihrer politischen Parteien aus.« Die gemeinsame Stellungnahme mit der BDA sei daher »ein elementarer Verstoß gegen die gesamte Geschichte, Politik und Kultur der Gewerkschaftsbewegung«.
Die ver.di-Funktionäre kritisieren außerdem das Zustandekommen des Papiers. Es habe weder im Gewerkschaftsbund noch in ver.di entsprechende Beschlüsse gegeben. »Gerade bei einer so grundsätzlichen Frage (…) hätte es im Vorfeld einer breit angelegten Diskussion in den Gewerkschaftsgremien zur demokratischen Willensbildung bedurft.«
Der Arbeitsrechtler Platow weist ebenfalls darauf hin, daß es »in den DGB-Gewerkschaften in den einschlägigen Gremien weder Diskussionen über die Sinnhaftigkeit und die Risiken noch Beschlüsse zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative« gegeben habe. Im Gegenteil hatte ver.di-Chef Frank Bsirske auf dem letzten Bundeskongreß im Oktober 2007 noch gefordert, »allen Angriffen auf das Streikrecht, wen immer sie treffen«, gewerkschaftlich entschieden entgegenzutreten. Platow betont: »Die Garantie des Streikrechts ist keine taktische Opportunitätsfrage, es gilt umfassend. Nach der Grundkonzeption des Streikrechts darf es in diesem Punkt keine Interessenübereinstimmung mit den Arbeitgebern geben.« Es bestehe nun die große Gefahr, so Platow weiter, daß die Regierung »die Gunst der Stunde nutzt, das Streikrecht zumindest in den Fragen der Urabstimmung, des Kampfes um Firmentarifverträge (Sozialtarifvertrag), des Schlichtungsrechts und des Unterstützungs-/Partizipationsstreiks gleich mit zu regeln, da diese Fragen unmittelbar zum Themenkreis ›konkurrierender Tarifverträge‹ gehören«.
Die IG Metall zumindest könnte froh sein über den BAG-Beschluß, da er die zuvor geltende Regel, wonach der »speziellere« Tarifvertrag gilt, beseitigt hat. Das hat zur Folge, daß kein DGB-Mitglied in einen »Dumping-Tarifvertrag«, zum Beispiel mit »christlichen Gewerkschaften« gezwungen werden kann. Platows Fazit: »Die Ausdehnung der Friedenspflicht (…) trifft ausschließlich kampffähige Gewerkschaften. Im Verhältnis zu ›Dumpingvereinen‹, wie CGM, CGZP, DHV, medsonet usw. ist sie bedeutungslos, weil sie eh nicht streiken (können).«